Sie schenkte ihm zuvor BlumenFrau stach Lafontaine nieder – heute lebt sie im Heim

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Stand bei dem Attentat im Jahr 1990 direkt neben Oskar Lafontaine: Johannes Rau (1931-2006).

von Maternus Hilger  (hil)

Köln – Es ist der Abend des 25. April 1990. Plötzlich unterbrechen TV- und Radiosender an diesem Mittwoch ihr Programm mit einer Eilmeldung. Auf den SPD- Kanzlerkandidaten und saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine ist in Köln ein Attentat verübt worden.

Wie es um den schwer verletzten Politiker steht, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Die Republik ist geschockt. Aschfahl im Gesicht, geben Politiker hilflos Statements ab.

Lafontaine trat in der Stadthalle in Köln-Mülheim auf

Der damals 46-jährige Lafontaine ist an jenem Abend der umjubelte Redner in der voll besetzten Stadthalle in Köln-Mülheim – als Zugpferd kurz vor der Landtagswahl in NRW. Der Andrang ist riesig. Mehr als 1700 Menschen sind gekommen, um Oskar live zu erleben. Gegen 20.45 Uhr ist der Auftritt vorbei.

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Lafontaine und der Ministerpräsident von NRW, Johannes Rau (damals 59), plaudern noch angeregt auf der Bühne miteinander, während die Zuhörer aus dem Saal strömten.

Nur ein TV-Team und ein paar Schaulustige drängen nach vorn – darunter eine blass geschminkte Frau mit knallroten Lippen in einem weißen Kleid mit zwei Blumensträußen in der Hand, die zuvor schon mehrmals vergeblich versucht hatte, auf das Podium zu gelangen.

Attentäterin überreichte Lafontaine und Rau noch Blumen

Doch dieses Mal lassen Ordner die vermeintlich harmlose SPD-Sympathisantin passieren. Zielstrebig marschiert sie auf die beiden Politiker zu, bietet ihnen wortlos einen Strauß an und bittet schließlich Lafontaine um ein Autogramm.

Als der nichtsahnend nach einem Stift sucht, zieht die Frau plötzlich ein etwa 30 Zentimeter langes Fleischermesser hervor und sticht es ihm kaltblütig in die rechte Halsseite.

Lafontaine-Attentat: Schlagader nur knapp verfehlt

Lafontaine bricht zusammen, während sich um ihn herum sofort eine riesige Blutlache ausbreitet. Sicherheitsbeamte werfen sich sofort auf die Attentäterin, die sich widerstandslos festnehmen lässt.

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Helfer bemühen sich in der Köln-Mülheimer Stadthalle nach dem Messeranschlag um den am Boden liegenden Oskar Lafontaine, versuchen den Blutstrom aus der Wunde zu stoppen.

Ihr lebensgefährlich verletztes Opfer versorgen Ersthelfer so gut es geht, bevor es in die Uni-Klinik gebracht wird. Der Messerstich hat die Halsschlagader nur knapp verfehlt, wie sich später herausstellt. Zwei Stunden lang operiert ein Ärzteteam unter Leitung von Gefäßchirurg Professor Heinz Pichlmaier Lafontaine – mit Erfolg.

Attentäterin war bereits aktenkundig

Knapp acht Stunden nach dem Attentat, um 4.15 Uhr, erwacht er aus der Narkose. SPD-Chef Hans-Jochen Vogel, SPD-Ehrenvorsitzender Willy Brandt und andere Parteifreunde, die ebenso wie Lafontaines damalige Lebensgefährtin Christa Müller noch in der Nacht zur Uni-Klinik geeilt sind, atmen auf.

Während die Ärzte noch um das Leben von Lafontaine kämpfen, wird die Attentäterin bereits im Kölner Polizeipräsidium verhört. Zunächst will sie ihren Namen nicht nennen. Doch schnell wird klar, dass es sich bei ihr um die 42-jährige Arzthelferin Adelheid S. aus Bad Neuenahr handelt – eine aktenkundig geistesgestörte Frau, die sich vor Außerirdischen fürchtet und merkwürdige Sympathien für Extremisten zeigt.

Adelheit S. sympatisierte mit RAF-Terroristen

1986 hatte sie dem inhaftierten RAF-Terroristen Christian Klar Blumen ins Gefängnis geschickt. Wegen einer Brandstiftung im selben Jahr vor Gericht gestellt, wurde sie als nicht schuldfähig eingestuft. Sie leide, so Gutachten, an paranoider Schizophrenie. „Ich wollte einen töten – Rau oder Lafontaine, um vor Gericht gestellt zu werden“, sagt sie in Köln aus.

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Ein Zeichen habe sie setzen wollen, weil es in Europa unterirdische Operationssäle gebe, in denen Menschen mit Zustimmung der Politik umgepolt würden. Dass sie Lafontaine und nicht Rau niederstach, habe sie erst in letzter Sekunde entschieden. Reue zeigt sie keine. Auch andere Politiker hatte sie im Visier, ihre Namen und ihre Auftrittstermine waren in einer Kladde notiert.

Lafontaine-Attentäterin nach 23 Jahren frei unter Auflagen

Im Prozess attestieren ihr Gutachter erneut eine paranoide Schizophrenie mit einem „geschlossenen Wahnsystem“. Das Kölner Landgericht weist sie dauerhaft in eine geschlossene psychiatrische Anstalt in Bedburg-Hau ein, wo sie unter falschem Namen lebt. S. stelle weiterhin eine Gefahr dar, vor allem für Politiker, heißt es.

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Lafontaine mit dem heutigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble, der 1990 auch Opfer eines Attentats wurde. Seitdem ist der CDU-Politiker an den Rollstuhl gefesselt.

Seit Juli 2013 ist die heute 73-Jährige allerdings wieder auf freiem Fuß – die Unterbringung wurde „unter Auflagen und Weisung zur Bewährung ausgesetzt“.

Sie kam in ein Pflegeheim. „Zugleich traf das Gericht dezidierte Weisungen hinsichtlich des Aufenthaltes der Verurteilten, ihrer Betreuung in einer forensischen Überleitungs- und Nachsorgeambulanz, ihrer Medikation und entsprechender Kontrollmaßnahmen sowie einer eingerichteten gesetzlichen Betreuung“, heißt es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des heutigen Vizechefs der CDU-Landtagsfraktion Gregor Golland, der damals die klammheimliche Entlassung scharf kritisiert hatte.

Lafontaine verlor später die Kanzlerwahl

Lafontaine erholte sich rasch vom Anschlag. Ein halbes Jahr später scheiterte er bei der Bundestagswahl gegen Helmut Kohl. Acht Jahre später wurde er – inzwischen SPD-Chef – Finanzminister im Kabinett von Kanzler Gerhard Schröder, bis er sich 1999 mit ihm überwarf und alles hinwarf.

Später verließ er auch die SPD und schloss er sich der neu gegründeten Linkspartei an. Rückblickend sagte der heute 76-Jährige einmal: Das Attentat habe ihn verändert. Er stelle sich immer die Frage: »Lebst du so, dass du dann, wenn es morgen vorbei ist, sagen kannst, du hast einigermaßen richtig gehandelt und richtig gelebt?“