Als Bauarbeiter 2020 in Freiburg menschliche Knochen fanden, teilte die Polizei mit: Es handle sich „aller Wahrscheinlichkeit nach um einen archäologischen Fund aus mittelalterlicher Zeit“. Anderthalb Jahre und über 400 Skelette später gibt es schon erste Erkenntnisse.
Schock-Entdeckung bei BauarbeitenGrusel-Fund gibt erstmals historische Einblicke
Freiburg. Diese Baugrube ist eine besondere - das wird schon daran deutlich, dass die Männer hier mit Pinseln im Erdreich unterwegs sind. Wo mal die Zufahrt zu einer Tiefgarage entstehen soll, legen sie an diesem Morgen wieder einen Schädelknochen frei.
Mehr als 400 Skelette haben sie an der Baustelle in Freiburg, Baden-Württemberg, seit dem vergangenen Jahr zutage gefördert. Das Gros der Toten: ehemalige Bewohner eines sogenannten Leprosen- oder Gutleuthaus. Das Gebäude, das Leprakranke beherbergte, wurde erstmals im Jahr 1251 erwähnt. 1632, während des Dreißigjährigen Kriegs, brannte es ab.
Lepra – eine gefährliche Infektionskrankheit
Die Lepra ist eine der ältesten bekannten Infektionskrankheiten. Das Bakterium Mycobacterium leprae befällt nach Angaben der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe Haut und Nervensystem. Im Verlauf bilden sich Beulen und Knoten auf der Haut und auf Dauer Nervenschäden, Betroffene verlieren das Gefühl in Händen oder Füßen. Einen Impfstoff gibt es nicht, Lepra ist aber mit Hilfe von Antibiotika heilbar.
Während die Krankheit in Deutschland vor 300 Jahren verschwand, infizieren sich jedes Jahr weltweit Hunderttausende Menschen neu - vorwiegend in tropischen und subtropischen Ländern der Südhalbkugel.
Das Leprosenhaus in Freiburg
Dass in Freiburg ein Leprosenhaus stand, wusste man. Daher war auch der Knochenfund keine Überraschung, wie Bertram Jenisch vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart sagt.
Doch nicht nur Lepra-Erkrankte wurden hier beerdigt. An manchen Knochen fanden die Experten Hinweise auf die Geschlechtskrankheit Syphilis. Andere Tote identifizierten sie anhand von Knöpfen und Uniformresten als französische Soldaten, die 1744 während des österreichischen Erbfolgekriegs und der Belagerung Freiburgs gefallen sein müssen.
Untersuchungen des Leprafriedhofs sollen für neue Erkenntnisse sorgen
Der mittelalterliche Leprafriedhof in Freiburg gehört nach Angaben des Denkmalamts bundesweit zu den am besten untersuchten Grabstätten dieser Art. Auch seien die Skelette jetzt nach modernsten Standards geborgen worden, sagt Jenisch. So wurden etwa Bodenproben um den Magenbereich genommen, die auf Reste von Darmbakterien untersucht werden können. „Da erhoffen wir uns Rückschlüsse auf Krankheiten.“ Er habe schon Anfragen von internationalen Forschungsprojekten bekommen.
Auch für die heutige Behandlung der Lepra seien archäologische Funde solcher Leprosenbestattungen indirekt wichtig, erklärt der Vorsitzende der Gesellschaft für Leprakunde, Ralf Klötzer. Man könne sehen, dass Leprakranke zum Teil mit schweren Symptomen überlebten und andere mit nur leichten Symptomen an anderen Ursachen starben.
Es gebe in Deutschland zwar viele Leprafriedhöfe. Nur bei den seltenen konservierenden Bodenverhältnissen unter Luftabschluss sei aber die archäologische Auswertung interessant, so Klötzer. Die wichtigsten Aspekte der Geschichtsforschung sind aus seiner Sicht etwa die Erkennbarkeit von Leprasymptomen an den Skeletten, das Lebensalter der Toten und Todesursachen anderer Bestatteter.
Was passiert mit den gefundenen Knochen?
Die Knochen aus Freiburg kommen nach Jenischs Auskunft zunächst nach Konstanz. Eine Anthropologin wird sie dort reinigen, vermessen und analysieren. Bei einigen soll auch das genaue Alter datiert werden.
Im Landesamt kümmert man sich um die sonstigen Funde wie Sargnägel, Amulette und Überreste von Rosenkränzen. Diese Stücke werden gegebenenfalls in Museen zu sehen sein - anders als die menschlichen Überreste. „Das verbietet der pietätvolle Umgang“, sagt Jenisch. „Das sind keine Schaustücke, keine musealen Exponate.“
Die Corona-Pandemie stimmt nachdenklich
Schon die Grabungen hätten interessante Einblicke in den damaligen Glauben und Aberglauben ermöglicht, sagt der Experte. So sei zum Beispiel ein Geköpfter mit einem Stein zwischen Haupt und Hals bestattet worden - wohl damit der Körper nicht wieder zusammenwachse.
Nachdenklich gestimmt hätten ihn die Grabungen nicht zuletzt auch wegen der Corona-Pandemie, sagt der Experte. Leprosenhäuser lagen vor den Toren der Stadt. Wer dorthin musste, erhielt vorher noch die Sakramente. „Der galt rechtlich als Toter“, betont Jenisch. „Kein Vergleich, wenn man sich anschaut, wie heute mit Menschen umgegangen wird, die mit einer hoch ansteckenden Krankheit infiziert sind.“ (dpa)