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„Man riecht nur den Tod“Deutsche in Gaza flehen: „Holt uns aus der Hölle“

Der 75 Jahre alte Deutsch-Palästinenser Jamal Abdel Latif, der im Gazastreifen auf seine Ausreise aus dem Kriegsgebiet wartet, schaut in die Kamera.

Der 75 Jahre alte Deutsch-Palästinenser Jamal Abdel Latif, der im Gazastreifen auf seine Ausreise aus dem Kriegsgebiet wartet, schaut in die Kamera.

Tausende wollen aus Gaza ausreisen. Doch die Flucht in die Sicherheit bleibt vielen bisher verwehrt. Betroffene Deutsche fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen.

Seit Tagen wartet der Deutsch-Palästinenser Mazen Eldanaf am Grenzübergang Rafah im Gazastreifen auf die erlösende Nachricht. Systematisch gehe er die neuen Ausreiselisten durch, sagt der 61-Jährige. Doch sein Name und der seiner Frau seien wieder nicht dabei gewesen. „Hunderte Staatsbürger, von allen Nationen, dürfen raus, aber wir stecken hier fest“, sagt Eldanaf, der seit 43 Jahren mit seiner Frau in Bonn lebt und nun in dem Kriegsgebiet feststeckt.

Eigentlich kam Eldanaf nach Gaza, um seine Familie zu besuchen, erzählt er. Als Autohändler könne er Geschäftliches mit Privatem verbinden. Maximal zehn Tage wollten sie demnach bleiben. Seine vier Brüder, seine Schwester treffen. Doch aus dem Familienbesuch wurde ein Alptraum.

Deutsche im Gazastreifen: „Ich will hier raus“

Seit fast vier Wochen hätten er und seine Frau Khitam wegen der israelischen Bomben nicht mehr geschlafen. „Ich will hier raus“, sagt Khitam mit schwacher Stimme am Telefon. „Das hier ist kein Leben, das ist nur Tod. Man riecht nur den Tod, man sieht nur den Tod, es gibt kein Leben hier“, sagt die Sozialpädagogin.

Das Schlimmste sei für sie, dass ihre vier erwachsenen Kinder in Deutschland nicht wüssten, ob sie ihre Eltern jemals wiedersehen würden. „Meine Kinder können nicht arbeiten, sie können sich nicht konzentrieren, weil sie hören, was in Gaza passiert. Keiner weiß, ob wir lebend herauskommen.“

Mehrere Hundert Palästinenserinnen und Palästinenser mit deutscher Staatsbürgerschaft sind aktuell noch in dem Kriegsgebiet. Insgesamt warten laut ägyptischen Angaben rund 7000 ausländische Staatsangehörige aus 60 Ländern auf die Ausreise. Nur wenige Deutsche durften bislang vor den anhaltenden Luftangriffen Israels nach Ägypten flüchten. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, am Freitag (3. November 2023) hätten über 30 Deutsche das Küstengebiet verlassen können, davor am Mittwoch sei es „eine niedrige einstellige Zahl“ gewesen.

Khitam Eldanaf und ihr Mann seien in den vergangenen Wochen mehrfach geflohen, erzählt sie weiter. Sie hoffe, dass die deutsche Regierung bald reagiere und sie „aus der Hölle“ heraushole. Doch die Sorge um die anderen Familienmitglieder im Gazastreifen ohne deutschen Pass würde natürlich bleiben. Die Situation sei insgesamt erschütternd. „Menschen, die 30 Jahre auf eine Wohnung gespart haben – mit einer Bombe, alles zerstört“, sagt Eldanaf. „Mehr als 9000 Menschen tot.“

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Mazen Eldanaf macht der Bundesregierung und insbesondere Außenministerin Annalena Baerbock Vorwürfe. Jahrelang habe er die Grünen gewählt, für ihn eine Partei, die für Frieden stehe. Nun sei er nur noch enttäuscht von der fehlenden Unterstützung bei der Ausreise. „Nichts passiert, Anfragen bei der Botschaft bleiben unbeantwortet“, sagt Eldanaf. Auch seine Kinder in Deutschland kämen nicht weiter. Keiner höre ihnen zu.

Er und seine Familie seien in Deutschland stark verwurzelt. „Wir haben Geschäfte, Angestellte, zahlen Steuern, wählen, aber wenn es um unsere Rettung geht: nichts“, sagt Eldanaf. Aus Ägypten habe er gehört, dass die ägyptische Regierung mit der Haltung der deutschen Bundesregierung im Konflikt sehr unglücklich sei. „Und das wird nun auf unseren Schultern ausgetragen“, so sein Vorwurf.

Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es am Freitagabend, dass „intensiv“ daran gearbeitet werde, weiteren deutschen Staatsbürgern die Ausreise aus dem Gazastreifen zu ermöglichen. Die Bemühungen würden fortgesetzt.

Gaza: Tausende Menschen in den Süden geflüchtet

Aber auch der 75 Jahre alte Deutsch-Palästinenser Jamal Abdel Latif macht der deutschen Botschaft in Ramallah Vorwürfe. „Eine Mail beantworten, das kann doch in so einer Situation nicht zu viel sein“, beklagt Latif, der in den 1980er-Jahren an der Technischen Universität in Berlin studierte. Das einzige, das er hörte, sei gewesen: „Wir haben vorgewarnt, keiner soll in das Gebiet fahren“.

Latifs Zuhause ist eigentlich in der Stadt Gaza im Norden des Küstenstreifen, erzählt er. Mit seiner Frau und zwei seiner Kinder sei er in den Süden geflüchtet. Nun lebt er 25 Kilometer entfernt bei Verwandten in der Stadt Dir Al-Bala. „Nur vorübergehend“, sagt Latif. Er will unbedingt ausreisen. „Sobald unsere Namen auf der Liste stehen, machen wir uns auf zum Grenzübergang“, sagt er.

Der Weg sei sehr gefährlich gewesen. Auch im Süden komme es regelmäßig zu Bombenangriffen. „Die Israelis haben gesagt, flieht in den Süden, wir sind in den Süden geflohen und was passiert, sie bomben hier weiter“, sagt Latif und spricht immer wieder von einem „Massenmord“.

Ein Problem sei, dass der palästinensische Pass seiner Frau abgelaufen sei. „Wir haben nicht mit diesem Krieg gerechnet, wir wussten es nicht, sonst hätten wir uns natürlich um eine Verlängerung bemüht.“ Ohne seine Frau werde er nicht ausreisen. Er habe der Botschaft deshalb die beglaubigte Hochzeitsurkunde geschickt, aber keine Rückmeldung erhalten. „Ich kann nicht nach Rafah fahren, ohne zu wissen, dass meine Frau auch über die Grenze kommt.“

Wie es dann weitergehe für ihn und seine Familie, wisse er nicht. „Zurück nach Gaza zu gehen, wäre unser Todesurteil“, sagt Latif. Ob sein Haus noch steht? Er glaube schon, aber in seiner Straße gab es wohl einen Einschlag, habe er gehört. Die Fensterscheiben seien zerborsten. Aber auch im Süden fühle er sich nicht sicher.

Vor wenigen Tagen habe seine Nichte ihren 10-jährigen Sohn in ein Geschäft geschickt, um das Handy zu laden. Strom in den Häusern gebe es schon lange nicht mehr. Der Laden habe sich in einem Hochhaus befunden. Plötzlich sei eine israelische Bombe in das Hochhaus eingeschlagen und dieses komplett zusammengesackt. „Der Sohn meiner Nichte war einfach weg, einfach weg, alle Menschen in dem Haus, einfach weg.“ Das habe ihm noch mal gezeigt, dass er aus Gaza rausmüsse. (dpa)