Unsere ukrainische Kollegin, die Journalistin Yuliia Dysa, schreibt in einer regelmäßigen Kolumne über ihre ganz persönlichen Gedanken und Gefühle während des schrecklichen Krieges in ihrer Heimat sowie über das Leben ukrainischer Geflüchteter.
So denken Ukrainerinnen und Ukrainer über Deutsche„Warum seid ihr eigentlich so verdammt unflexibel?“
von Yuliia Dysa (yd)
Einmal, nachdem ich in der Abteilung einer Verwaltung ein weiteres Tausend-Blatt-an-Blatt-an-Blatt in deutscher Sprache ausgefüllt hatte, stellte ich mir eine unerwartete und – zugegeben – etwas seltsame Frage.
Was wäre, wenn wir eine umgekehrte Situation hätten (mal abgesehen von den Details): deutsche Geflüchtete in der Ukraine? Wie würde das aussehen? Würden sie überhaupt zurechtkommen?
Ukrainerin in Deutschland: Warum seid ihr oft so unflexibel?
Es schien, als hätte ich diese Frage gar nicht in Gedanken, sondern laut gestellt. Also beeilte sich meine 15-jährige Schwester mit der Antwort: „Auf keinen Fall.“ Wir lachten und wechselten das Thema.
Dennoch blieb es in meinem Kopf hängen. Denn es geht nicht um diese spezielle Situation, sondern um die kulturelle Vielfalt und darum, wie sich die Leben in unseren beiden unterschiedlichen – im Einzelfall viel zu unterschiedlichen – Ländern gestalten.
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Im Moment habe ich das Gefühl, dass der grundlegende und zentrale Unterschied die Lebensgeschwindigkeit ist, die wir als Ukrainerinnen oder Ukrainer und Sie als Deutsche wählen.
Und hier kann ich meine subjektive Wahrnehmung mit dem untermauern, was ich – und das nicht nur einmal – im Sozialamt und einigen anderen Institutionen sowie von deutschen Durchschnittsbürgerinnen und -bürgern gehört habe.
Im Allgemeinen klingt es so: „Ihr, die Ukrainer, wollt, dass die Dinge schnell erledigt werden.“
Oh ja, das tun wir. Bei euch Deutschen aber ist das Gegenteil der Fall. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das praktisch alles bestimmt. Und überall.
Schauen wir uns die Bürokratie in der Ukraine an, die zwar auch furchtbar ist, aber zumindest größtenteils online abläuft und mit Sicherheit nicht so viel Zeit für jeden einzelnen Schritt erfordert wie in Deutschland.
Ukrainerin: „Die Deutschen warten, bis endlich der erste Weg klappt“
Oder die Arbeitsweise der Deutschen Bahn: Ich kann mir kaum vorstellen, wie dieser sogenannte Fahrplan in irgendeinem anderen Land funktionieren kann.
Oder wenn wir überhaupt daran denken, hier in Deutschland einen Termin zu vereinbaren – egal wo – man bekommt ihn so gut wie immer (mindestens) zwei Wochen später. Die Liste ist endlos: Arbeitsabläufe, Online-Bestellungen, Bankgeschäfte, Wohnungsmiete ...
„Kein Grund zur Eile“ – das hören wir als ukrainische Geflüchtete derzeit oft. Nun, wir haben festgestellt, dass dieser Ansatz auch hier zu einem Mangel an Flexibilität zu führen scheint. Weil man sie einfach nicht braucht.
Wenn es nicht so funktioniert wie geplant, finden wir in der Ukraine in ziemlich kurzer Zeit eine andere Möglichkeit, das zu bekommen, was wir wollen oder brauchen. Während die Deutschen offenbar warten, bis endlich der erste Weg klappt.