Der Fall Vera BrühneEiskalter Mord oder Deutschlands berühmtester Justiz-Skandal?

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Vera Brühne neben einem Polizisten während des Doppelmordprozesses 1962. Als das Urteil gesprochen ist, beteuert sie noch einmal ihre Unschuld.

von Maternus Hilger  (hil)

München – „Aber ich bin doch, bitte, unschuldig.“ Als Vera Brühne am 4. Juni 1962 leise diese Worte auf der Anklagebank in München flüstert, ist gerade das Urteil über sie und ihren Freund Johann Ferbach gefallen: Lebenslange Haft wegen Doppelmordes.

Stets hatte die attraktive 52-Jährige ihre Unschuld beteuert. Sie, die als blonder Teufel und kaltblütiges, geldgieriges Luder und Lebedame beschimpft worden war. Das Urteil stand schon fest, bevor es fiel.

Prozess um Vera Brühne: Ansturm auf Landgericht legt Verkehr lahm

Es war das Ende eines spektakulären Prozesses, der die Öffentlichkeit im biederen Deutschland, Anfang der 60er Jahre, wie kein anderer erhitzte. Der Ansturm auf das Münchener Landgericht legte teilweise den Verkehr lahm.

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Viele lechzten nach immer neuen „Leckerbissen“ aus Vera Brühnes angeblich ausschweifendem Sexualleben, das vor und während des Prozesses ausgebreitet wurde.

Ob die schlüpfrigen Enthüllungen wahr waren oder nicht – die wenigsten interessierte es, auch nicht das Gericht. Kein Wunder, dass manch seriöser Beobachter von einer Hexenjagd sprach.

Mordfall Vera Brühne: Die Toten in der Villa am Starnberger See

Es war ein Verbrechen, das bis heute nicht aufgeklärt ist – ebenso wenig wie die Rolle, die Geheimdienstagenten und Leute aus dem Dunstkreis von CSU-Chef Franz Josef Strauß – damals Verteidigungsminister in Bonn – dabei gespielt haben könnten.

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Starben Ostern 1960: Der Gynäkologe Dr. Otto Praun und seine Haushälterin Elfriede Kloo.

Strauß, inzwischen bayrischer Ministerpräsident, war es auch, der Vera Brühne 1979 nach 18 Jahren Haft begnadigte. War sie ein Justizopfer – oder nur eine grandiose Lügnerin?

Justiz-Skandal um die „blonde Hexe“: Blutverschmierte Leiche im Flur

19. April 1960, der Dienstag nach Ostern. Als der Gynäkologe Otto Praun nicht in seiner Praxis erscheint und sich auch nicht am Telefon meldet, fahren am Abend eine Sprechstundenhilfe und ihr Freund zu seiner Villa in Pöcking am Starnberger See.

Die Terrassentür steht offen, im Flur entdecken sie die blutverschmierte Leiche Prauns – neben sich eine Pistole. Die alarmierte Polizei findet wenig später im Keller Prauns Haushälterin Elfriede Kloo – ebenfalls erschossen.

Der Fall scheint klar. Erweiterter Suizid am Karfreitag, eine penible Spurensicherung und eine Obduktion sparen sich die Ermittler, die Toten werden zur Bestattung freigegeben.

Vera Brühe stand in Prauns Testament

Erst später nimmt der Fall eine Wende, als Prauns Sohn bei der Testamentseröffnung erfährt, dass sein Vater Vera Brühne, die dieser vor Jahren in einer Gaststätte kennengelernt und als Fahrerin beschäftigt hatte, eine Finca im spanischen Lloret de Mar zur Nutzung überlassen hat.

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Das Feriendomizil, so heißt es, habe er noch kurz vor seinem Tod verkaufen wollen. Ein Ferienhaus als Mordmotiv?

Erst jetzt wird auf Antrag des Sohnes eine Obduktion angeordnet. Sie ergibt, dass es kein Suizid, sondern Mord war. Brühne und ihr langjähriger Freund Johann Ferbach (für manche auch ihr Geliebter) werden verhaftet.

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Vera Brühne und Johann Ferbach (mit einem Justizbeamten) während ihres Prozesses vor dem Münchner Landgericht.

Ferbach, der die gebürtige Essenerin (zweimal geschiedene) und ihre Tochter einst im Krieg aus einem Trümmerhaus in Köln gerettet hatte, als mutmaßlicher Schütze – Brühne als eiskalte Anstifterin, die vor der Villa im Auto gewartet habe.

Vera Brühnes eigene Tochter belastet die Mutter schwer

Beweise gibt es keine, auch keine Geständnisse. Zum Verhängnis werden den Angeklagten aber Zeugenaussagen – von einem Mithäftling Ferbachs in der U-Haft, der aussagt, dass ihm Ferbach die Tat gestanden habe – und von Brühnes Tochter Sylvia.

Auch sie gibt ein angebliches Geständnis ihrer Mutter zu Protokoll – erst einem befreundeten Journalisten, dann den Ermittlern – eine Aussage, die sie später aber komplett widerruft. Staatsanwaltschaft und Gericht ignorieren das.

Die verlegen sogar den Todeszeitpunkt auf Gründonnerstag, weil ab Karfreitag Brühne und Ferbach Alibis hatten. Reine Willkür, wie später neue Studien über die gut dokumentierte Leichenstarre zeigten.

Gründonnerstag, das ist heute klar, kommt als Mordtag nicht infrage. Und Brühne selbst verstrickt sich immer wieder in Widersprüche und Lügengeschichten – und besticht sogar Zeugen. Ihr glaubt man schließlich schlicht gar nichts mehr.

Otto Praun wohl in dubiose Waffengeschäfte verwickelt

Mit den Jahren nach dem Prozess verdichten sich aber plötzlich Hinweise auf Schmiergeldzahlungen im Rahmen dubioser Waffengeschäfte des 66-jährigen Praun – wie im Zusammenhang mit dem Skandal um die Beschaffung des Schrott-Schützenpanzerns HS-30.

Schon lange fragten sich viele: Woher hatte Praun als Arzt mit schlichter Praxis das Geld für seine Villa am Starnberger See und die Finca in Spanien? Die Waffengeschäfte wären eine Erklärung. Kommen die wahren Täter aus diesem Milieu?

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Franz Josef Strauß (73) begnadigte Vera Brühne. 

Ein belgischer Geheimdienstler und Waffenlobbyist erzählt 1967, er sei mit einem Referenten von Franz Josef Strauß und einem gewissen „Schröder“ in der Karfreitagnacht bei Praun gewesen.

Man kannte sich. „Schröder“ habe drinnen was klären wollen, während er und der Referent draußen gewartet hätten. Hat „Schröder“ womöglich Praun und seine Haushälterin als lästige Zeugin erschossen?

War der Bundesnachrichtendienst (BND), der jede Mitwirkung stets abstritt, der Auftraggeber? Mussten Praun und Elfriede Kloo sterben, weil der Arzt Politiker erpresste, die – wie er – in Waffengeschäfte verwickelt waren und Schmiergelder kassiert hatten?

Für all diese Spuren und Mutmaßungen gibt es null Beweise. Franz Josef Strauß selbst erklärte, unter Eides statt, nichts mit dem Mordfall zu tun zu haben.

Bis zuletzt beteuerte sie ihre Unschuld

Und Vera Brühne? Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis lebt sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2001 unter dem Namen Maria Adam in ihrer alten Eigentumswohnung in München – betreut von einem Mann, den sie als Sohn adoptiert hatte. Bis zuletzt beteuert sie ihre Unschuld.

Sie wurde 91 Jahre alt. Johann Ferbach war bereits 1970 während der Haft gestorben – im Alter von 56 Jahren. Wiederaufnahmeanträge wurden stets abgelehnt.

Der Fall Brühne – er bleibt wegen der ungeklärten Schuldfrage, schlampigen Ermittlungen der dünnen Beweislage und anderen Ungereimtheiten als Justizskandal in Erinnerung.