„Reicht überhaupt nicht“Virologe Drosten sicher: Es wird wieder Corona-Verschärfungen geben

Charité-Virologe Christian Drosten (hier im Juli 2021) rechnet fest damit, dass im Herbst wieder gesamtgesellschaftliche Kontaktbeschränkungen nötig werden.

Charité-Virologe Christian Drosten (hier im Juli 2021) rechnet fest damit, dass im Herbst wieder gesamtgesellschaftliche Kontaktbeschränkungen nötig werden.

Wie geht es weiter mit der Pandemie? Charité-Virologe Christian Drosten rechnet fest damit, dass im Herbst wieder Kontaktbeschränkungen nötig werden. Die Impfquote reiche nicht. Kommt das große Aufatmen im Frühjahr, wie derzeit manche sagen?

Berlin. Die vierte Pandemie-Welle hat Fahrt aufgenommen: Deutschland startet mit einer deutlich höheren Zahl täglicher Corona-Neuinfektionen in den Herbst als im Vorjahr. Zwar gibt es eine wachsende Impfquote von derzeit rund 60 Prozent und Risikogruppen sind weitgehend geschützt - doch reicht das, um ohne neue Einschränkungen durch den Winter zu kommen? Wie wird das anstehende Winterhalbjahr, wie das Frühjahr - und haben die bisherigen Prognosemodelle des Robert Koch-Instituts (RKI) noch Bestand?

Aus Sicht des Berliner Virologen Christian Drosten sollte das bisherige RKI-Szenario überarbeitet werden. Denn die Delta-Variante, die in Deutschland inzwischen vollständig dominiert, hat die Lage grundlegend verändert. Würde die RKI-Modellierung nicht entsprechend dieser veränderten Lage aktualisiert, stünde die Einschätzung und Planung für den Herbst und Winter wissenschaftlich auf „dünnem Eis“, sagte Drosten der Deutschen Presse-Agentur.

Corona im Herbst: „Infektionszahlen werden noch einmal steigen“

Im Herbst würden die Infektionszahlen noch einmal steigen, prognostizierte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, am Donnerstag. Die Zahl schwerer Erkrankungen werde allerdings deutlich unter der des vergangenen Winters bleiben. Für das Frühjahr ist Gassen sehr optimistisch. „Bis dahin wird die Impfquote noch einmal etwas höher liegen, vor allem nimmt aber auch die Zahl der Genesenen mit Antikörpern zu.“ Einschränkungen würden dann wohl gänzlich unnötig werden, sagte er. „Ich gehe davon aus, dass im Frühjahr 2022 Schluss sein wird mit Corona.“ Doch lässt sich das tatsächlich schon sagen?

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In seiner jüngsten Einschätzung im Juli war auch das RKI noch optimistisch, dass bei Erreichen bestimmter Impfquoten eine vierte Welle vermieden werden könne. Nach der damals entworfenen Modellierung müssen mindestens 85 Prozent der 18- bis 59-Jährigen und 90 Prozent der Senioren ab 60 Jahren vollständig geimpft sein, damit eine ausgeprägte neue Welle mit vollen Intensivstationen im Herbst und Winter unwahrscheinlich wird. Das RKI-Papier beruhte allerdings auf damals noch unvollständigen Informationen zur Delta-Variante.

Neue Kontaktreduktionen im Herbst nötig

Inzwischen liegen verlässliche Daten über die nachweislich erhöhte Übertragung und auch die ansteigende Hospitalisierungsrate vor. Vor allem aber machte das RKI in dem Modell Annahmen über das Fortschreiten der Impfquote in Deutschland, die schon jetzt nicht mehr zutreffen - selbst wenn die Impfmöglichkeit der über 12-jährigen Kinder jüngst einbezogen wurde.

Man müsse die RKI-Analyse nun zeitnah aktualisieren, sagte Drosten. „Man sollte sich nicht täuschen und durch zu wenig Vorsicht in eine Situation hineinlaufen, die man sich nicht wünscht und die untragbar ist: Dass es weitere Lockdowns gibt und die Schulen wieder schließen müssen.“

Eine Nebenannahme in der aktuellsten RKI-Version: Man brauche gegen Anfang Oktober eine 10-prozentige Kontaktreduktion und gegen Anfang November eine 30-prozentige nochmalige Kontaktreduktion, angesichts der erwartbaren Lage in den Krankenhäusern, zitiert Drosten.

Virologe Drosten: „Werden Zahl der Kontakte einschränken müssen“

Drosten hält angesichts dessen neue Corona-Beschränkungen durchaus für möglich. „Wir werden gesamtgesellschaftlich die Zahl der Kontakte wieder einschränken müssen“, sagt er „Deutschlandfunk “. Die Infektionslast steige im Herbst, man müsse nun gesamtgesellschaftlich an der Impfquote arbeiten.

„Man kann sich da schon rausimpfen“, sagte Drosten weiter. Bisher blieben die deutschen Quoten aber zum Beispiel im Vergleich zu England deutlich zurück. 61 Prozent vollständig Geimpfter reichten überhaupt nicht. „Mit dieser Quote können wir nicht in den Herbst gehen“, sagte Drosten dem Sender.

Drosten: Viruslast steigt bei Infektion, wenn Impfung Monate her ist

Für ihn gibt es noch einen wenig beachteten weiteren Faktor bei der Beurteilung des kommenden Pandemieverlaufs: Die Viruslast im Hals von Geimpften bei einer Ansteckung steigt wieder, wenn die Impfung einige Monate her ist. „Sie haben den Erreger nur kurz, aber mit hoher Viruslast im Hals“, erklärte der Virologe. Entsprechend steige mit zunehmendem Abstand zur Impfung das Risiko, dass Geimpfte das Virus an andere weitergeben. Letztlich werde sich unter anderem aus diesem Grund jeder Mensch infizieren.Stand jetzt sei davon auszugehen, dass es noch einige Jahre lang ein starkes Infektionsgeschehen unter Erwachsenen geben werde, prognostizierte Drosten. Für Geimpfte ohne Risikofaktoren sei das nicht weiter schlimm, weil die Erkrankung bei ihnen dann einer Erkältung ähnele. Der durchschnittliche gesunde Erwachsene müsse sich wahrscheinlich in den kommenden Jahren mehrmals infizieren, um einen länger haltbaren Schleimhautschutz aufzubauen.

DIVI rechnet Ende des Jahres mit Impfstoff für Kinder unter 12 Jahren

Der Status „geimpft“ erlaube dies ohne schwere Krankheits- oder Langzeitfolgen. „Es ist von einem weitgehenden Schutz auch gegen Long Covid durch die Impfung auszugehen“, sagte Drosten. Nicht zu Risikogruppen zählende Kinder würden durch die Infektion selten überhaupt krank.

Der Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Florian Hoffmann, rechnet bereits Ende diesen Jahres mit einem Impfstoff für Kinder unter zwölf Jahren. Diese Gruppe werde voraussichtlich eine reduzierte Impfstoffdosis bekommen, sagte der Kinderarzt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstag). „Wir gehen fest davon aus, dass es ab kommendem Jahr Impfstoffe für alle Altersklassen geben wird, sogar zugelassen bis hin zu Neugeborenen.“

Die Ständige Impfkommission macht dazu keine Prognosen. Noch gebe es weder neue Studienergebnisse der Hersteller noch Zulassungen und ihm sei der Fahrplan dafür auch nicht bekannt, sagte Stiko-Chef Thomas Mertens. Er wolle nicht spekulieren. (dpa/mg)