New York 20 Jahre nach den Anschlägen: Der 11. September 2001 veränderte alles. Eine Chronologie der Terroranschläge, die die Welt veränderten.
20 Jahre nach 9/11Als New York zum Opfer des Terrors wurde
New York City. Vermutlich jede und jeder erinnert sich, wo sie oder er am 11. September 2001 war. In welcher Situation man die ersten TV-Bilder sah. Wie man gebannt auf ein vermeintliches Unglück starrte und live mit ansehen musste, dass es kein Unglück war, sondern ein Terrorakt unvorstellbaren Ausmaßes.
Der 11. September hat sich eingebrannt. Hat die Geschichte in ein „Davor“ und ein „Danach“ geteilt – und New York, diese großartige Stadt, für immer verändert.
9/11 hat bei vielen ein Trauma hinterlassen
Traumatisierung. Das erlebte die Welt am 11. September vor 20 Jahren. Der Live-Charakter der Anschläge trug dazu bei, ist sich Stefan Weidner, Autor des gerade erschienenen Buches „Ground Zero: 9/11 und die Geburt der Gegenwart“ sicher. Er beschreibt es als das erste weltgeschichtliche Ereignis, das in Echtzeit übertragen wurde.
Die Traumatisierung durch das Gefühl des Live-Dabei-Seins beobachtet Weidner jetzt wieder – bei Afghanen, die im Ausland leben, aber die schockierenden Ereignisse am Flughafen von Kabul über die Medien verfolgen. 20 Jahre später ist klar: Die Anschläge sind kein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte. Sie wirken bis heute nach, nicht nur politisch, auch im Bewusstsein der Menschen, bis hinein in ihren Alltag, wenn sie z. B. in den Flieger in den Urlaub steigen.
9/11: Man musste plötzlich mit allem rechnen
Das Gefühl, das vor 20 Jahren abgespeichert wurde: „Wenn etwas so Unwahrscheinliches möglich ist, muss man mit allem rechnen.“ Das, was wir an jenem Tag sahen, bleibt surreal, auch für diejenigen, die hautnah dabei waren...
Bob Beckwith (89) wird vergesslich. Manchmal stutzt er im Satz, fragt seine Frau, worüber er gerade geredet hat. Doch an den Moment vor 20 Jahren, als er Arm in Arm mit dem US-Präsidenten vor der Weltöffentlichkeit stand, wird der Ex-Feuerwehrmann sich immer erinnern.
Nach 9/11: Amerika rückt zusammen
Es ist der 12. September 2001, Beckwith gräbt in den Trümmern des World Trade Center nach Leben. Unermüdlich sucht er nach dem vermissten Sohn eines Freundes. Er steht gerade auf einem zerstörten Feuerwehrwagen, als Bush auftaucht. „Er streckt den Arm aus, und ich ziehe ihn hoch“.
Die Bilder – Bush mit Megafon und dem Arm um Beckwith – gehen als Symbol amerikanischen Durchhaltewillens um die Welt. Die Tage 2001 gehörten zu den schlimmsten seines Lebens, sagt Beckwith. Er war doch schon längst pensioniert, im Angesicht des Grauens entschied er sich aber, seinen Kameraden zu helfen.
Nach 9/11: Die Leere stehen lassen
Zwei Jahrzehnte, nachdem Beckwith in dem Trümmerfeld grub, erfüllt heute das Geräusch plätschernden Wassers Ground Zero. Nach dem Willen seines Erbauers soll sich das Rauschen mit dem eigenen Herzschlag vermischen.
Die Brunnen symbolisieren die früheren Grundrisse des World Trade Center, an ihrem Rand sind die Namen der Opfer graviert. „Nichts darf dort je wieder gebaut werden“, dachte Stararchitekt Daniel Libeskind (75), als er nach den Anschlägen zum felsigen Fundament der Türme hinabstieg.
Die Vision des Architekten, einen Ort der Erinnerung zu schaffen und das neue Hochhaus One World Trade Center an den nördlichen Rand des Areals zu verbannen, wurde Wirklichkeit. Wer heute an diesen Ort hinuntergeht, ist im Museum, das Libeskind entworfen hat.
Die Opfer von 9/11 werden nie vergessen
Durch einen Raum hallen die aufgezeichneten Stimmen von Überlebenden. Einige Schritte weiter sprechen Angehörige die Namen ihrer ermordeten Freunde, Partner, Kinder aus. Unvergessen sind die Opfer, deren Bilder weltweite Erschütterung auslösten.
Die mit Staub eingedeckte „Dust Lady“ Marcy Borders, die danach zehn Jahre lang nicht arbeiten konnte. 2015 starb sie an Krebs – mit 42. Oder „The Falling Man“, ein an der Fassade des Wolkenkratzers kopfüber hinunterstürzender Mann. Es wurde nie geklärt, wer er war.
Die Aufarbeitung ist nicht abgeschlossen. Der Wiederaufbau auch nicht. Ein Hochhaus ist noch im Bau. Aber: New York als Stadt ist nicht nur wieder aufgestanden, sondern wächst. Und blüht wieder. Doch viele Helden von damals zahlen einen hohen Preis. Sie waren Giftstoffen ausgesetzt. Bob Beckwith muss wieder in die Klinik: „Ich werde zum vierten Mal operiert. Bösartige Melanome im Gesicht.“ Er nennt es den „Krebs des 11. Septembers“.
9/11: Der Ablauf des Terrorakts in den USA – eine Chronologie
Der chronologische Ablauf der Ereignisse vom 11. September 2001 – Ortszeit New York:
- 8.46 Uhr: Ein Flugzeug kracht in den nördlichen Turm des World Trade Centers.
- 9.03 Uhr: Ein zweiter Jet fliegt in den Südturm.
- 9.05 Uhr: George W. Bush wird beim Besuch einer Grundschule in Sarasota (Florida) informiert. Stabschef Andrew Card flüstert: „Amerika wird angegriffen“.
- 9.30 Uhr: Bush spricht vor Kameras von einer „nationalen Tragödie“ und von Terrorattacken.
- 9.37 Uhr: Ein drittes Flugzeug kracht ins Pentagon. Ein Teil des US-Verteidigungsministeriums wird verwüstet. Pentagon, Weißes Haus und das Kapitol werden evakuiert.
- 9.59 Uhr: Der Südturm des World Trade Center stürzt ein.
- 10.03 Uhr: Ein viertes Flugzeug stürzt südlich von Pittsburgh (Pennsylvania) nach einem Kampf im Cockpit auf freiem Feld ab. Passagiere hatten sich gegen die Entführer gewehrt. Diese wollten wohl Kurs aufs Weiße Haus oder das Kapitol nehmen.
- 10.28 Uhr: Der nördliche Turm des WTC stürzt ein.
- 12.16 Uhr: Der Luftraum der USA ist gesperrt. Nur Militär- und Rettungsmaschinen fliegen noch.
- 12.36 Uhr: Präsident Bush hält eine TV-Ansprache.
- 13.27 Uhr: Notstand in Washington wird ausgerufen.
- 20.30 Uhr: Bush kündigt im Fernsehen an, dass die Täter gnadenlos verfolgt werden: „Wir werden keinen Unterschied machen zwischen denen, die diese Attacken ausgeführt haben, und denen, die ihnen Schutz bieten.“
9/11: Terrornetz reichte bis ins Rheinland
Das Netz des Terrors – es war auch über Deutschland gespannt. Die Gotteskrieger des fanatischen Osama bin Laden (†54) lebten mitten unter uns.
Tatort Bonn: Hier verbrachte Marwan al-Shehhi (†23) die ersten Monate seiner Deutschlandzeit Mitte der 90er Jahre. Seiner Vermieterin erzählte er: „Ich will Schiffbau studieren.“ Dem EXPRESS erzählte die Rentnerin im September 2001: „Das hat mich schon überrascht. Er hatte überhaupt keine Ahnung von Physik und Mathe.“
Nach nur vier Monaten zog der damals 18-Jährige aus. Seiner Vermieterin sagte er nichts über seinen neuen Wohnort Hamburg – bei seinem Cousin Mohammed Atta (†33), den Todespiloten des Nordturms. 17 Minuten später krachte al-Shehhi mit einer Boeing 767 in den Südturm des WTC.
Tatort Hamburg: Sieben Jahre studierte Mohammed Atta an der Technischen Hochschule in Hamburg-Harburg. Ein stets höflicher, gebildeter Ägypter, erinnerten sich seine Kommilitonen damals. Seit Anfang 1999 leitete der eine Islam-Gruppe – darunter auch al-Shehhi und Ziad Jarrah (†26), der die abgestürzte Maschine steuerte, die als Ziel vermutlich das Weiße Haus oder das Kapitol hatte.
Tatort Bochum: Ziad Jarrah hatte dort eine Freundin – eine junge Türkin. Sie ahnte nichts von seiner teuflischen Seite, meldete ihn nach der Attacke auf das WTC als vermisst. Bei der Hausdurchsuchung fanden Ermittler einen Koffer von Jarrah. Inhalt: Unterlagen über Flugzeuge und Flugtraining.
9/11: Eine Deutsche sucht bis heute nach Opfern
Die Identität von vielen Toten der Twin Towers bleibt bis heute ungeklärt. Die Deutsche Mechthild Prinz (63) arbeitet bis heute daran, dass sich das ändert. Sie stammt aus dem Rhein-Sieg-Kreis, kam in den 90ern für einen Forschungsaufenthalt nach New York – und blieb.
Als Gerichtsmedizinerin für die Metropole meldete sie sich für ihre erste Nachtschicht – am 11. September 2001. „Dieser Zusammenbruch, der hat ja alles pulverisiert – Schreibtische, Computer. Da waren viele Leichen fragmentiert“, erinnert sie sich. Auf der letzten Vermisstenliste der Anschläge stehen 2753 Menschen.
In der Gerichtsmedizin und bei Prinz in der forensischen Biologie wurden in den Wochen danach 289 intakte Leichen und 22000 Leichenteile angeliefert. Vorgabe: Alles, was aussieht wie menschliches Gewebe und größer ist als ein halber Daumen, muss getestet werden. Die Ergebnisse werden abgeglichen mit Informationen und Materialien, die Familien der Vermissten abgegeben haben.
9/11: 40 Prozent der Opfer noch nicht identifiziert
Die Arbeit ist damals noch nicht digitalisiert, DNA-Proben gehören nicht zur Routine. „Das war rund um die Uhr, Tag und Nacht“, erinnert sich Prinz. „Ich glaube, ich war zwei Tage zu Hause bis Dezember.“ Und die Arbeit dauert noch immer an, auch 20 Jahre später noch. Erst 60 Prozent der Opfer sind identifiziert.
Mit immer neuen Technologien wird an den verbleibenden Überresten gearbeitet, ein mühsamer und langwieriger Prozess. „Manche Proben sind nicht identifiziert, weil keine Familie etwas abgegeben hat, und manche Opfer sind nicht identifiziert, weil nichts von ihnen gefunden wurde“, sagt Prinz, die inzwischen an die Fakultät für forensische Wissenschaften des John Jay College in Manhattan gewechselt ist.
Prinz glaubt nicht, dass jemals die Identität aller Opfer festgestellt werden kann. „Ich glaube, dass manche Leichen leider spurlos verschwunden sind durch den Zusammensturz und die Feuer.“ Trotzdem sei es wichtig weiterzumachen – „weil es den Opferfamilien versprochen worden ist“. (mjs/stz/dpa)