Olaf Scholz spricht ein Machtwort und setzt damit dem Atomstreit zwischen Grünen und FDP ein Ende - wenn der Bundestag zustimmt. Die Zeit für das Gesetz ist knapp und die Abstimmung wird für die Ampel zur Zerreißprobe. Ein Kommentar.
KommentarScholz-Machtwort zum Atomstreit wird zur Zerreißprobe für die Ampel
Es gibt ihn also doch noch. Bundeskanzler Olaf Scholz hat mit seinem Machtwort im Atomstreit aufhorchen lassen. Die Zankereien zwischen den Koalitionspartnern FDP und Grüne zwangen den Regierungschef am Montag, 17. Oktober 2022, mit der Faust auf den Tisch zu hauen und den schwelenden Zwist per Dekret zu beenden.
Es ist ein Kompromiss, mit dem alle irgendwie leben können. Die einen etwas besser, die anderen etwas schlechter. Da war es ganz gut, dass die SPD keine wirklich eigene Linie hatte, die man auch noch beachten musste.
Olaf Scholz ordnet Weiterbetrieb von drei Atomkraftwerken an
So ordnete Scholz auf der einen Seite an, dass alle drei Meiler über den Winter im Betrieb bleiben werden – er setzte der Kernenergie in Deutschland aber gleichzeitig nun ein endgültiges Haltbarkeitsdatum: Am 15. April 2023 soll für immer Schluss sein mit der Hochrisiko-Technologie, für die immer noch die Endlager-Frage nicht gelöst ist und die im Nachbarland Frankreich gerade die Strompreise explodieren lässt.
Für die Grünen heißt es, die nächste Kröte zu schlucken, hatten sie sich doch am Wochenende auf ihrem Parteitag mühsam auf das Abschalten des AKWs im Emsland und einen Streckbetrieb der beiden süddeutschen Meiler geeinigt. Doch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und auch Umweltministerin Steffi Lemke wollen dem Kanzler folgen. „Es bleibt beim Atomausstieg. Deutschland wird zum 15. April 2023 endgültig aus der Atomenergie aussteigen. Es wird keine Laufzeitverlängerung und keine neuen Brennstäbe geben“, twitterte Lemke und Habeck warb in den Tagesthemen für den Kompromiss.
FDP kommt mit ihren Forderungen nicht durch
Die FDP hatte sechs Atomkraftwerke mit einer Laufzeit bis 2024 gefordert und muss jetzt das Machtwort ebenfalls als Erfolg verkaufen, auch wenn Stand jetzt noch drei zu je sechs Monaten statt sechs Kraftwerken über 26 Monate laufen zu lassen. Doch Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann lassen sich schon Hintertürchen offen, gegebenenfalls im Frühjahr neue Forderungen zu stellen.
Scholz löst mit seinem Machtwort eine verfahrene Situation, mutet aber allen Beteiligten eine Menge zu. Vor allem Habeck dürfte Probleme haben, diesen Vorschlag in seiner grünen Fraktion durchzubekommen. Und die muss dem Gesetz im Bundestag ja zustimmen.
Der Widerstand von Jürgen Trittin ist schon öffentlich, vor allem der Weiterbetrieb des Kraftwerks im Emsland stößt den Grünen übel auf, man hatte mit der Abschaltung bei der Niedersachsen-Wahl geworben und gewonnen. Energiepolitisch ist der Weiterbetrieb ohnehin fragwürdig, schließlich ist in Norddeutschland eher zu viel als zu wenig Strom im Netz und es müssen Windparks wegen des AKWs abgeschaltet werden.
Das Machtwort des Kanzlers wird so zur Zerreißprobe für die Ampel, schließlich hängt nun an der Zustimmung für diesen Kompromiss in gewisser Weise auch seine Kanzlerschaft. Scheitert Scholz im Bundestag, wäre die Koalition am Ende. Kein Wunder, dass Habeck seine Parteifreunde schon an ihre staatspolitische Verantwortung erinnert.
Es steht viel auf dem Spiel. Doch die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass weder FDP noch Grüne in dieser Frage die Regierung platzen lassen. Nur: Muskelspiele dieser Art dürfen nicht zur Regel werden. Denn auf Deutschland rollen weiter gleich mehrere große Krisen zu. Da kann sich das Land nicht leisten, dass die Ampel durch den Clinch ihrer Partner wertvolle Zeit verliert. Und die Richtlinienkompetenz mag ein scharfes Schwert sein – aber es nutzt sich schnell ab.