Ringen um den Kohleausstieg: Die Grünen haben nach langen Diskussionen den Kompromiss von Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Abfuhr abgenickt. Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer hatte mit einer emotionalen Rede für diesen Antrag gekämpft.
Luisa Neubauer kämpft vergebensGrüne nicken Habecks Kohle-Kompromiss ab
Selbst den Mitgliedern der Bundesregierung waren die Bedeutung des politischen Symbols wohl bewusst. Lützerath, ein Weiler der Stadt Erkelenz, soll abgebaggert werden, er fällt dem Kompromiss von Wirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur mit RWE zum Opfer, der Preis für einen früheren Kohleausstieg 2030.
Auf dem Parteitag kämpften die Grüne Jugend mit einem Antrag gegen das Abkommen mit dem Energie-Konzern und hofften auf ein Moratorium für Lützerath. Doch das wird es nicht geben. Am Ende lehnte der Parteitag am 16. Oktober 2022 im World Conference Center in Bonn den Antrag mit 315 zu 291 Stimmen ab.
Luisa Neubauer: „In Lützerath manifestiert sich die Klimakrise.“
Dabei hatten die Grünen lange um einen Deal gerungen, der Vorstand für eine Ablehnung des Vorstands gekämpft. Weil das Ergebnis zu knapp war, musste die Abrechnung schriftlich vorgenommen werden. Die Spannung im Saal war greifbar.
„Lützerath ist das bitterste Symbol von Entschlüssen, die wir treffen mussten, die weiß Gott nicht gut für das Klima sind“, gestand Umweltministerin Steffi Lemke (54) doch sie verteidigte den Entschluss von Wirtschaftsminister Robert Habeck. „Wenn 280 Millionen Tonnen Braunkohle in der Erde bleiben, dann ist das nicht nichts, sondern ein großartiger Erfolg.“
Doch da bekam sie Widerrede von der prominentesten Gastrednerin, Deutschlands Fridays-for-Future-Ikone Luisa Neubauer (26). „Es gibt keinen Spielraum, um Krisen warten zu lassen. Allen voran die Klimakrise“, sagte Neubauer. „Es gibt eine Art ökologischer Hyperrealismus. Da sichert man sich Öl von Verbrechern, damit die Gesellschaft nicht die Lust am Klimaschutz verliert. Wenn man still ist, hört man irgendwo ein Ökosystem weinen. Solange Kohlekonzerne die Regeln machen, gibt es keine Klimagerechtigkeit.“
Die Klimaschutzaktivistin machte deutlich, dass die Klimakatastrophe nicht auf politische Kompromisse wartet. „Scholz und Lindner sind nicht die Realität, auch nicht Friedrich Merz und sein Klimapopulismus. Pakistan ist die Relität, 100 000 Hitzetote in Europa, Katastrophen, für die wir keine Worte haben – das ist die Realität.“ Demokratie und Menschenrechte würde es in einer Welt mit einer Erhitzung von drei, vier oder sechs Grad kaum noch geben.
Luisa Neubauer: „Seit wann argumentieren die Grünen mit Fake-Zahlen von RWE?“
Sie warf dem grünen Parteivorstand vor, beim Kohle-Kompromiss, dem Lützerath zum Opfer fallen soll, mit falschen Zahlen zu agieren. „Keine Tonne bleibt mehr in der Erde. Seit wann arbeiten die Grünen mit gefakten Zahlen von RWE?“, fragt die populäre Klimaschutzaktivistin, die selbst Mitglied der Grünen ist. „In Lützerath manifestiert sich die Klimakrise.“
Während der Saal applaudierte, hielt sich die Begeisterung des Vorstands mit Omid Nouripour und Ricarda Lang in engen Grenzen. Lang in ihrer Replik: „Wir waren uns bewusst, was passiert, wenn wir Luisa hier sprechen lassen. Trotzdem kämpfen wir gemeinsam.“
„Viele glauben zu Recht, dass wir nicht schnell genug vorankommen mit dem Klimaschutz. Meine Tochter ist selbst bei Fridays for Future aktiviert. Da gibt es ja keine zwei Meinungen“, antwortet Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (56) in einer leidenschaftlichen und mit stehenden Ovationen bedachten Rede. „Diese Tagebau-Flächen gehören mit zu den ertragreichsten Flächen in Europa. Da kämpfen wir für, dass Bauern ihre Flächen nicht verlieren. Wir sind in der Minderheit und trotzdem haben wir etwas erreicht. Dafür brauchen wir uns nicht zu entschuldigen.“
NRW-Ministerin Mona Neubaur wirbt um den Kompromiss
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (45) warb trotzdem für das Abkommen und verteidigte den Kohleausstieg 2030 und damit den Kompromiss mit RWE. „Wenn wir ein Moratorium beschließen, wird alles wieder ungewiss. Dieses rheinische Revier ist gezeichnet, hat Enteignungen hinter sich. Wer, wenn nicht wir, sorgt jetzt dafür, dass der Ausstieg durchgezogen wird? Und dass das, was in NRW gelungen ist, auch in Sachsen und Brandenburg umgesetzt wird?
Luisa Neubauer, die das Ergebnis der Abstimmung im Saal abwartete und dann ins Abbaugebiet nach Lützerath weiterfuhr, war trotz des gescheiterten Antrags stolz auf den Kampf der Grünen Jugend. „Wir müssen genau hinschauen und können nicht einfach abnicken, was RWE abfeiert, machen wir nicht mit, machen die Aktivisten nicht mit, das machen aber offenbar auch viele Menschen hier nicht mit. Dass so gerungen wurde, ist jedenfalls ein gutes Zeichen. Wir schauen weiter genau hin!“