Die „Berliner Runde“ diskutierte am Sonntagabend (20.15 Uhr) in ARD und ZDF mit den Spitzenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien über die Ergebnisse. Sie wurde ein Basar für mögliche Koalitionen.
„Berliner Runde“Wen ruft Olaf Scholz als Erstes nach der Wahl an? Handzeichen ist Antwort genug
Berlin. SPD und Union liegen laut ersten Hochrechnungen bei Bundestagswahl nahezu gleichauf. Für die CDU ist es ein Wahl-Debakel! Katastrophale Werte gibt es auch für die CSU und Markus Söder in Bayern.
Bis das vorläufige amtliche Endergebnis feststeht, vergehen noch viele Stunden. Im gemeinsamen Wahlstudio von ARD und ZDF diskutierten ZDF-Chefredakteur Peter Frey und Wahlkoordinator der ARD, Rainald Becker, mit den Spitzenvertretern der Parteien die ersten Ergebnisse.
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- Frage an Scholz: Greift er nach dem Parteivorsitz, sollte er nicht Kanzler werden? „Nein, ich greife nicht nach dem Parteivorsitz. Rolf Mützenich macht das großartig. Ich werde alles dafür tun, dass der Wunsch der Wählerinnen und Wähler umgesetzt wird.“ Heißt: Scholz will Kanzler werden.
- Frage an Armin Laschet: Würde auch sein Rücktritt in Betracht kommen, sollte er nicht Kanzler werden. „Ich habe die Absicht, die Gespräche der Sondierungen aus dem Amt des CDU-Parteichefs zu führen“, so Laschet. Einen Rücktritt lehnt er ab. Über andere Ämter, etwa den Fraktionschef, werde nach den Sondierungen entschieden.
- Baerbocks Antwort: „Verhandlungen sind kein Selbstzweck. Der Auftrag der Wähler ist, besser regiert zu werden. Es muss ein Regierungsprogramm formuliert werden, dass die Aufgaben endlich angeht.“ Lindner erneuert daraufhin sein Angebot an die Grünen: Zuerst sollten diese Parteien miteinander sprechen.
- Laschet antwortet: „Formal könnte es länger dauern, weil die Lage so kompliziert ist. Ich würde mir aber wünschen, dass wir schneller sind.“ Man habe nicht die Zeit wie 2017. Deutschland habe die Präsidentschaft der G7 im nächsten Jahr. „Wenn alle Themen, die wir beschrieben haben, eine Rolle spielen sollen, sollten wir das schnell hinbekommen“. Auch Laschet sagt, die Regierung solle vor Weihnachten stehen.
- Frage in die Runde: Wie lange werden die Sondierungen dauern? Scholz: „Wir tun alles dafür, dass wir vor Weihnachten fertig sind.“ Es gehe auch darum, politische Führung zu zeigen.
- Wird die ARD schon zum Basar für mögliche Koalitionen? Scholz schiebt dem ein Riegel vor. „Hier wird nicht verhandelt“, sagt er. Es seien zunächst zwei Kriterien wichtig: Erstens müssten sich in einer Koalition die Wählerinnen und Wählern wiederfinden. Zweitens müsse Deutschland vorangebracht werden. „Sonst schauen wir eines Tages dem Wohlstand auf anderen Kontinenten traurig zu. Das kann ich nicht akzeptieren.“ Eine große Bewegung müsse möglich sein.
- Würde Annalena Baerbock eine Schuldenbremse akzeptieren, um mit FDP oder Union zu koalieren? „Wir brauchen massive Investitionen in unser Land, um die Klimaziele zu erreichen. Unser Vorschlag ist: Die Schuldenbremse erweitern“, so Baerbock. Laschet stimmt zu, schmeichelt: „Was Frau Baerbock gerade beschrieben hat, das ist sehr hilfreich.“ Er erklärt, in einem Punkt seien sich einig: „Dass Investitionen anstehen, das steht außer Frage.“ Aber er hat einen anderen Weg: Die Fesseln der Bürokratie müssten fallen. Es müsse Steueranreize für die Wirtschaft geben, um ökologisch zu wachsen.
- Auch Markus Söder sieht die Zeit für Veränderungen. „Das kann man nicht nur hochnotariell verwalten wie Olaf Scholz, sondern da braucht es richtig Kraft“, sagt der CSU-Chef. Diese Kraft habe am ehesten die Union.
- Frage an Baerbock: Wäre ein Bündnis mit CDU und FDP vermittelbar? Auch die Grünen-Spitzenkandidatin vermeidet Klartext: „Wir als Grüne haben eine große Verantwortung, nicht nur als Partei, sondern als Land. Es geht nicht nur um einen Koalitionsvertrag, um den kleinen gemeinsamen Nenner. Es geht um einen Aufbruch.“ Gerade viele Jüngere hätten Grün gewählt, dieser Verantwortung müsse man gerecht werden. Dafür müsse man mit allen Parteien reden.
- Laschet: „Wir brauchen hier einen echten Neuanfang, der auch nicht so erzwungen wird.“ Das, was jetzt beginnt, müsse auch den Reiz haben, „dass man sagt: Ja, da kommen unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen zusammen. Da entsteht was, was vielleicht diesem Land einen neuen Schub geben kann, auch mit den Dingen, die man versöhnt: Wirtschaft und Ökologie noch stärker versöhnen als bisher.“
- Frage an Armin Laschet: Kann die CDU auch Platz zwei? Der weicht aus, schwurbelt wieder herum. Der Moderator will es genau wissen: „Schließen Sie die Opposition nun aus?“ Laschet wiegelt ab: „Ich will jetzt ans Gelingen denken, lassen Sie uns doch nicht immer ans Nicht-Gelingen denken.“
- Olaf Scholz mit einer Spitze in Richtung Laschet: „SPD, Grüne und FDP haben große Zuwächse erlebt.“ Das sei eine klare Botschaft der Bevölkerung. „Andere haben keine Zuwächse erlebt. Auch das ist eine Botschaft.“
- Frage an Alice Weidel (AfD): „Keiner will mit Ihnen regieren? Woran liegt das?“ Weidel: „Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Man hat uns prognostiziert, dass die AfD eine Eintagsfliege im Bundestag ist. Das haben wir widerlegt.“
- Die Ränder seien geschwächt, die politische Mitte gestärkt, so Lindner. „Etwa 75 Prozent der Deutschen haben die Partei eines nächsten Kanzlers nicht gewählt.“ Es mache daher Sinn, dass Grüne und FDP zuerst miteinander sprechen. Baerbock stimmt zu: „Es macht Sinn, dass die Parteien jetzt in Zeiten des Aufbruchs miteinander sprechen.“
- Frage an FDP-Chef Lindner: Lieber mit einem ungeliebten Partner regieren als gar nicht? Lindner: „Die FDP ist bereit, die Regierungsaufgabe zu übernehmen.“ Das sei ja auch in vielen Landesregierungen der Fall.
- Baerbock gibt sich enttäuscht: „Dass man nicht froh ist, ist ja klar.“ Die nächste Bundesregierung müsse eine Klimaregierung sein, das sei auch der klare Auftrag der Grünen. „Die Herausforderungen gehen ja nicht weg, nur weil das Wahlergebnis nicht so ausfällt.“
- Hält Armin Laschet am Anspruch am Kanzleramt fest, sollte er auf Platz zwei landen? Laschet weicht aus: „Wer Bundeskanzler werden will, muss Unterschiedlichkeiten in den Parteien zusammenbringen. Es ist die große Aufgabe der Parteien, zu schauen, wo es die größten Gemeinsamkeiten gibt.“ Auf erneute Nachfrage sagt er: „Es geht nicht darum, dass man arithmetische Mehrheiten findet. Es geht darum, unterschiedliche Richtungen zusammenzuführen. “
- Olaf Scholz (SPD) erklärt selbstsicher: „Das Votum der Bürgerinnen und Bürger ist eindeutig. Wir liegen in allen Umfragen vorne. Das ist ein klarer Auftrag, dafür zu sorgen, eine gute Regierung zustande zu bekommen.“ Auf die Frage, wen er zuerst anrufe, zeigt er auf Annalena Baerbock (Grüne): „Hier gib es große Schnittmengen.“ Dann räumt er ein: „Aber der Respekt vor den Bürgern gebietet, die Auszählung abzuwarten.“
Wie Scholz hat auch Laschet wiederholt in der „Berliner Runde“ erklärt, Kanzler werden und eine Regierung bilden zu wollen. Es zeichnet sich eine komplizierte Regierungsbildung ab. Einzig denkbares Zweierbündnis wäre eine neue große Koalition, die aber weder SPD noch Union wollen. Deshalb dürfte es voraussichtlich zum ersten Mal seit den 50er Jahren ein Dreierbündnis im Bund geben. (mg)