Verschlafen wir gerade die Vorbereitung auf die kommende Corona-Welle im Herbst 2022? Das sagt der Expertenrat der Bundesregierung.
Droht jetzt eine neue Corona-Welle?Expertenrat: Diese Regeln sollen in Deutschland bald gelten
Ist Deutschland gut genug auf die Corona-Welle im Herbst und Winter vorbereitet?
Derzeit befinden sich die Infektionszahlen hierzulande auf einem relativ niedrigem Niveau. Doch der Blick nach Portugal zeigt: Eine neue Corona-Variante ist im Anmarsch. Dort bereitet sich nämlich aktuell die Variante BA.5, ein Subtyp von Omikron, aus. Die Inzidenz in Portugal liegt mittlerweile bei 1800. Immunologen warnen: Die Variante wird sich spätestens im Herbst auch bei uns durchsetzen.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnte zuletzt vor deutlich mehr Corona-Todesfällen im Herbst. Auf Twitter schrieb der 59-Jährige, dass eine erfolgreiche Kampagne für die vierte Covid-19-Impfung der sicherste Weg sei, um mehr als 1.000 Corona-bedingte Todesfälle pro Woche zu verhindern.
Welche Empfehlungen gibt der Corona-Expertenrat?
Wie also werden die Maßnahmen für den Herbst aussehen? Justizminister Buschmann (FDP) will erst nach der Sommerpause über ein neues Infektionsschutzgesetz entscheiden.
Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung stellte am Mittwoch (8. Juni) seine Empfehlungen zur Vorbereitung auf den Herbst und Winter in einer Pressekonferenz in Berlin vor. Er sieht drei mögliche Szenarien – auf die jeweils mit unterschiedlichen Maßnahmen reagiert werden sollte: ein „ungünstigeres“ Szenario, ein „Basis-Szenario“ und ein „günstigeres“ Szenario.
Corona im Herbst: Härtere Maßnahmen bei „ungünstigem“ Szenario
Im „ungünstigen“ Szenario halten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neue Virusvariante mit einer Kombination verstärkter Übertragbarkeit und erhöhter Krankheitsschwere für möglich. Das könne wieder härtere Maßnahmen wie Maskenpflicht und Abstandsgebote nötig machen.
Die Forderung des Expertenrats: „Für den Herbst und Winter ist es ganz elementar, dass wir nicht 16 unterschiedliche Meidungen haben“, so formulierte es der Mediziner Christian Karagiannidis. Sowohl die Regeln als auch die Corona-Kommunikation müsse von Bund und Ländern einheitlich, verständlich und verbindlich sein.
Lesen Sie hier im Ticker die wichtigsten Aussagen und Infos aus der Bundespressekonferenz. Die neuesten Einträge stehen immer oben:
- Die Quarantäne-Regel bei einer Einreise aus dem Ausland sowie die Masken-Regel in den Innenräumen – das seien laut Karagiannidis die entscheidenden Maßnahmen bei einer entsprechenden Corona-Entwicklung auch in Zukunft, das halte der Expertenrat für wichtig. „Die Masken in den Innenräumen haben einen sehr hohen Stellenwert.“
- „Für den Herbst und Winter ist es ganz elementar, dass wir nicht 16 unterschiedliche Meidungen haben“, fordert Karagiannidis. Bund und Länder sollten hier mit einer Stimme sprechen, einheitlich sein und klar kommunizieren, sagt er auf Nachfrage eines Journalisten.
- „Quarantäne“ oder „Isolation“, beide Begriffe tauchen im Papier des Expertenrats nicht mehr auf. Das RKI und das Gesundheitsministerium werde sich damit natürlich weiter beschäftigen, der Expertenrat gebe hier nur Empfehlungen ab, antwortet Karagiannidis auf eine entsprechende Nachfrage. „Wir würden Quarantäne-Maßnahmen nur dann empfehlen, wenn wirklich eine deutlich krankmachendere Variante auftritt.“ Dadurch könne man mehr Zeit gewinnen.
- „Einheitlich, verständlich und verbindlich“, so sollte die Corona-Kommunikation von Bund und Ländern sein, damit das für alle Menschen nachvollziehbar bleibe, so Betsch.
- Betsch: „Kommunikation allein reicht aber nicht, es braucht auch ein gutes Verhaltensmanagement.“ Es brauche einfache und gut erklärte Regeln, die sollten „bundesweit einheitlich sein“, das sei einfacher und nachvollziehbarer und helfe dabei, dass die Regeln auch befolgt werden.
- Dr. Cornelia Betsch (Uni Erfurt) geht auf die Kommunikation ein, die verbessert werden soll: Der Expertenrat empfiehlt, frühzeitig die Bevölkerung über das Corona-Management zu informieren. Die Gesundheitskommunikation müsse in Deutschland verbessert werden, „jeder muss wissen, warum etwas getan wird, und warum“, so Betsch. Es müsste mehr vertrauenswürdige Personen geben, an die man sich wenden kann. Es sei auch ein „offensiverer Umgang mit Falschinformation“ wichtig, so Betsch.
- Karagiannidis: „Ich glaube, es ist elementar, dass wir als Gesellschaft wieder zusammenrücken und uns die Hand reichen, dass wir unsere extremen Positionen verlassen.“ Es gebe viele Herausforderungen zu bewältigen, nicht nur die Corona-Krise, sondern etwa auch die Klimakrise.
- Dennoch werden die Belegungen von Intensivstationen weiterhin eine große Rolle spielen, so Karagiannidis. Es gehe nun darum, hier die Erhebung und Kommunikation von Daten zu verbessern, auch dazu habe der Expertenrat Vorschläge gemacht.
- Karagiannidis erklärt, dass es mit der Strategie des Expertenrats nicht nur darum geht, Zahlen auf den Intensivstationen gering zu halten. Es gehe auch darum, Langzeitfolgeschäden für die Menschen gering zu halten – Long Covid etwa. „Wir haben jetzt noch die Zeit, dass wir für den Herbst und Winter Anpassungen vornehmen.“
- Die Eindämmungsstrategie in Deutschland habe funktioniert, habe dazu geführt, dass im Sommer die Maßnahmen zurückgefahren werden konnten. Das funktioniere aber nur, solange man keine höhere Infektionslast habe.
- Mediziner Christian Karagiannidis erklärt: „Es ist nicht nur wichtig, zu schauen, was in den nächsten Monaten auf uns zukommt, sondern auch in den nächsten Jahren.“
- Das ungünstige Szenario betrachte Varianten, die zu einer erhöhten Krankheitsschwere führen könnten. Das würde wieder zu einer erheblichen Belastung führen, es müssten lokal strenge Maßnahmen durchgeführt werden, auch flächendeckende Maßnahmen können notwendig werden. „In einer dieser drei Szenarien wird sich das Ganze abspielen“, so Sander.
- Ein weiteres Szenario: das Basisszenario. Die Lage sei hier in etwa vergleichbar mit der derzeitigen, so Sander. Es würde wellenartig zu Infektionen kommen, es käme zu einer moderaten Belastung der Krankenhäuser, aber es komme zu einer vermehrten Belastung der kritischen Infrastruktur. Hier könne wieder ein verpflichtendes Tragen von Masken helfen.
- Sander geht zunächst auf das „günstigste“ Szenario ein: Das Virus entwickle sich positiv, werde weniger krankmachend. „Dadurch werden zwar viele Infektionen verzeichnet, aber es braucht dann nicht so starke Maßnahmen.“ Durch das Zurückfahren von Maßnahmen würden aber andere saisonale Krankheiten vermehrt auftreten wie etwa die saisonale Grippe – auch das sei eine Belastung etwa für Schulen und Kindergärten. Hier würden Masken ebenfalls helfen.
- Die drei Szenarien sollen dabei als Orientierung dienen, sind aber nicht als wirkliche Vorhersagen zu verstehen, so Sander.
- Eine reduzierte Risikowahrnehmung in der Bevölkerung führe zu geringerer Akzeptanz von Maßnahmen, so Sander. Das sei als Faktor ebenfalls für die Zukunft einzuplanen. Eine weitere unbekannte Variable: Welche Virusvarianten wird es in Zukunft geben? „Das kann nicht seriös vorhergesagt werden.“
- Die gute Ausgangslage habe vor allen Dingen einen Grund: die extrem effektive Covid-19-Impfung. „Damit ist es uns gelungen, in der breiten Bevölkerung eine Grundimmunisierung aufzubauen.“ Auf der anderen Seite stünden auch die hohen Infektionszahlen und „natürlichen Infektionen“.
- Prof. Leif Erik Sander setzt mit seiner Einschätzung fort und geht auf die Omikron-Variante ein. „So viele Infektionen wie in der Omikron-Welle hatten wir nie zuvor“. Die gute Nachricht: Die Krankheitslast sei geringer, die Auslastung auf den Intensivstationen auch – trotz der hohen Fallzahl. Dennoch könnten Infektionen zu schweren Verläufen führen.
- Es gehe auch darum, einen Planungshorizont aufzuzeigen, auch damit die kritische Infrastruktur gewährleistet bleibe, so Kroemer. Eine Prävention und Impfungen blieben weiterhin ein wichtiger Punkt, auch in Zukunft.
- Kroemer: „Die Pandemie ist nicht vorbei. Es macht Sinn, sich auf den Herbst vorzubereiten.“ Wirklich niemand wisse, wie sich die Lage im Herbst entwickle. Drei mögliche Szenarien werden in dem Papier des Expertenrats beschrieben: ein positives, ein „Basis-Szenario“ und ein „ungünstigeres Szenario“.
- Das Kopfgremium des Corona-Expertenrates der Bundesregierung gibt seine Einschätzung zum Herbst. Professor Heyo Kroemer (Charité), Vorsitzender des Expertenrats, beginnt mit einem Ausblick.
Am Dienstagabend (7. Juni) hatte bereits FDP-Chef Christian Lindner deutlich gemacht, dass er zunächst die wissenschaftliche Evaluierung abwarten wolle. Klar sei für ihn aber: „Freiheitseinschränkungen pauschal sollte es nicht mehr geben“, sagte Lindner in der ARD-Sendung „Maischberger“. (mg)