FDP-Chef Christian Lindner begründete die Zustimmung zum Koalitionsvertrag mit seinem alten Jamaika-Satz - allerdings in abgewandelter Form. Damals hatte er die Verhandlungen mit dem Statement abgebrochen.
Kostete ihn fast die KarriereFDP-Chef Lindner sagt Satz, für den er früher scharf angefeindet wurde
Die FDP hat den mit SPD und Grünen ausgehandelten Koalitionsvertrag mit großer Mehrheit angenommen - damit rückt die erste Ampelkoalition auf Bundesebene ein weiteres Stück näher. Bei einem digitalen Parteitag gab es am Sonntag (5. Dezember) 535 Ja- und 37 Nein-Stimmen sowie 8 Enthaltungen. Die FDP errechnete daraus eine Zustimmung von 92,24 Prozent. Zuvor hatte am Samstag schon ein SPD-Parteitag den Vertrag mit mehr als 98 Prozent angenommen. An diesem Montag wird das Ergebnis der Grünen-Urabstimmung erwartet.
Die FDP-Führung warb vehement für den 177-seitigen Koalitionsvertrag und die geplante Ampel-Koalition. „Ich bin überzeugt davon: Dieses Land wird von dieser Koalition profitieren, ein neuer Aufbruch in Deutschland ist möglich“, sagte FDP-Chef Christian Lindner, der in der neuen Bundesregierung Finanzminister werden soll. Auch die FDP könne von dieser neuen Verantwortung profitieren. Deshalb werbe er um die Annahme des Koalitionsvertrags. „Fangen wir an. Deutschland wartet auf diesen neuen Aufbruch.“
Bettina Stark-Watzinger, die als Bildungsministerin vorgesehen ist, sagte, der Koalitionsvertrag beinhalte nicht nur klare Projekte. „Wir haben Durchbrüche in Bereichen, die jahrelang politisch vernachlässigt wurden.“
FDP-Chef Lindner bewertet Koalitionsvertrag als Gewinn für die Mitte
Lindner betonte: „Es ist ein Koalitionsvertrag für eine Politik der Mitte, der unser Land nicht nach links rückt, sondern nach vorne führen will.“ Der Vorsitzende der Freien Demokraten hob unter anderem hervor, dass der Vertrag eine Erneuerung des liberalen Bildungs- und Aufstiegsversprechen beinhalte. Er stehe für gesellschaftspolitischen Aufbruch und ein modernes Einwanderungsrecht, sehe solide Finanzen und eine Digitalisierung von Staat und Gesellschaft vor.
„In diesem Koalitionsvertrag sind viele Projekte und Anliegen der Freien Demokraten enthalten“, sagte Lindner. „Ich gehe so weit zu sagen: Bei einer möglichen Jamaika-Konstellation im Jahr 2021 hätte es nicht mehr liberale Politik gegeben, als jetzt in dieser Ampel-Konstellation möglich ist.“ Erst recht gebe es jetzt mehr liberale Inhalte, als bei den geplatzten Gesprächen über eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen vor vier Jahren möglich gewesen sei.
Christian Lindner formuliert alten Jamaika-Satz um – kostete ihn fast die Karriere
Vor vier Jahren habe die FDP den Mut gehabt, Nein zu einer Regierungsbeteiligung zu sagen, weil wenig liberale Politik sichtbar gewesen sei. „Und genauso sollten wir jetzt vier Jahre später den Mut haben, Ja zu sagen zu einer Koalition, in der - so ungewöhnlich sie für die Bundesebene sein mag - viel liberale Politik enthalten ist.“
Lindner betonte: „Heute können wir sagen: Es ist besser, diese Koalition zu wagen, als auf Gestaltungschancen zu verzichten.“ Damals hatte er nach dem Abbruch der Verhandlungen gesagt: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Sein damaliger Standpunkt wurde scharf angefeindet und kostete ihn fast die Karriere.
Zugleich bat er um „Geduld und Toleranz“, wenn die FDP nicht gleich alle ihre Vorhaben umsetzen können sollte und auch im laufenden Regierungshandeln Kompromisse eingehen müsse.
FDP-Stellvertreter Vogel findet mehr positive Übereinstimmungen
Auch der stellvertretende Vorsitzende Johannes Vogel sagte, es sei richtig, jetzt Verantwortung zu übernehmen. „Der Koalitionsvertrag (...) mutet allen etwas zu - auch uns“, räumte er ein. Fortschritt aus der Mitte heraus entstehe aber nur, wenn man auch einen Schritt auf andere zugehe. „Und Fortschritt brauchen wir, weil es die letzten Jahre in Deutschland zu viel kleinsten gemeinsamen Nenner, zu viel nur Fahren auf Sicht gab.“ Bei Megatrends wie der Digitalisierung, der Dekarbonisierung und der Demografie stehe Deutschland deshalb zu schlecht da.
In der Aussprache über den Vertrag gab es praktisch keine Kritik der Delegierten. Diese waren wegen der Corona-Pandemie nur digital zugeschaltet. Am Veranstaltungsort in Berlin waren im Wesentlichen nur das Partei- und das Tagungspräsidium anwesend. (dpa/jv)