Das Schweigen von CDU-Chef Friedrich Merz zur Reichsbürger-Razzia, die Anti-Migrations-Tweets der CSU: Der Kurs der Union ist derzeit weit rechts. Der Kölner Populismus-Experte Marcel Lewandowsky warnt vor den Gefahren.
„Strategien wie unter Trump“Experte warnt CDU vor Merz-Kurs
Während man immer noch vergeblich auf einen Kommentar von Friedrich Merz zur Reichsbürger-Razzia wartet, schockierte die CSU am 10. Dezember 2022 auf Twitter mit einem Post über die „ungesteuerte Asylpolitik“ Stimmung am rechten Rand, zeigten dabei eine Ankunftsstelle für ukrainische Geflüchtete und sehen „Pull-Effekte“ statt Schutz der EU-Außengrenzen.
Das Fischen am rechten Rand wird zur Methode. Das hat auch der Kölner Politikwissenschaftler und Populismus-Forscher Marcel Lewandowsky (40) beobachtet, wie der Autor („Populismus: Eine Einführung“) im EXPRESS-Interview deutlich macht. „Die CDU setzt auf Polarisierung, will AfD-Wähler zurückgewinnen. Die Datenlage aber zeigt deutlich: Am Ende dürfte die AfD selbst davon am meisten profitieren.“
CDU-Chef Friedrich Merz und das vereitelte Reichsbürger-Attentat
Der Dozent der Uni Greifswald erklärt, warum gerade das vereitelte Reichsbürger-Attentat ein Problem für Merz & Co. darstellt.
Marcel Lewandowsky, Tweets über Asyl-Missbrauch und Pulleffekte, Sprüche über Asyltourismus. Was ist die Strategie der CDU/CSU derzeit?
Marcel Lewandowsky: Das ist relativ eindeutig: Seit Friedrich Merz den Parteivorsitz übernommen hat, versucht die Union, von der AfD Wähler zurückzugewinnen. Ein stramm rechter Kurs konservativer Parteien ist ja nicht neu in Europa, jetzt steuert ihn auch die CDU und CSU.
Auch in Deutschland gab es das schon. Der alte Franz-Josef-Strauß-Spruch, es dürfe keine Partei rechts der CDU geben, scheint nachzuwirken. Auch unter Roland Koch gab es den Versuch, mit Stimmung gegen Ausländer Wahlen zu gewinnen.
Marcel Lewandowsky: Das ist richtig. Natürlich wurmt der Erfolg der AfD die Union. Es gab auch schon früher Parteien rechts der CDU, aber anders als etwa die Republikaner wird die AfD nicht mehr weggehen. Sie ist zu gut vernetzt und gerade im Osten Deutschlands verwurzelt.
Friedrich Merz: Abkehr vom Angela-Merkel-Kurs
Die Wahlen hat die CDU unter Angela Merkel 16 Jahre lang vor allem in der Mitte gewonnen.
Marcel Lewandowsky: Ja, Merkel hat auch einige Wählerstimmen als Person gewonnen. Seit die CDU ihrer Vorsitzenden und Kanzlerin verlustig geworden ist, brodelt der Richtungsstreit. Nun hat sich Merz durchgesetzt. Und statt auf Wirtschaftsthemen zu setzen, hat man der „linken Wokeness“ den Krieg erklärt. Das ist ein Kunstbegriff, es wird ein diffuses Feindbild aufgebaut, das man angeblich bekämpft. Da bedient man sich der Strategien der US-Republikaner unter Donald Trump. Der politische Gegner wird als staatsgefährdend diffamiert.
Aber sind nicht ganz andere Dinge staatsgefährdend? In der vergangenen Woche gab es die Razzia gegen die Reichsbürgerszene.
Marcel Lewandowsky: Ja, und bis heute gab es nicht einen Tweet des CDU-Vorsitzenden dazu, dabei ist Friedrich Merz ja sonst sehr aktiv. Das Schweigen ist sehr laut. Denn für die Union ist das ein echtes Problem, weil es deutlich macht: Die reale Bedrohung für unseren Staat kommt nicht von ein paar Klimaaktivisten, sondern es gibt rechte Netzwerke bis in die Sicherheitsbehörden rein, die Terrorakte planen. Das ist eine massive Gefahr.
Wie begegnet dem die Union?
Marcel Lewandowsky: Wie es die AfD auch tut, mit einer Doppelstrategie. Einerseits wird die Gruppe als debile Seniorentruppe verniedlicht. Andererseits werden dann linke Gruppierungen oft in einem Atemzug mitgenannt.
Wie groß ist die Gefahr, dass nicht die CDU sondern die AfD von dem Merz-Söder-Kurs profitiert?
Marcel Lewandowsky: Die Daten belegen klar, dass oftmals die radikale Rechte davon profitiert, wenn die großen Parteien auf ihre Themen setzen. Die rechtsextremen Wähler sitzen in ihrer Festung, die haben zuviel Misstrauen gegen die Demokratie, die bekommt man da kaum noch raus. Sie könnten neue Wähler dazugewinnen. Und in der Mitte könnte man klassische CDU-Milieus verlieren mit diesem Weg.
Angesichts des Rechtsrucks – wie lange wird die Brandmauer hin zur AfD noch halten?
Marcel Lewandowsky: Das ist eine Frage für die Glaskugel. In Thüringen schmelzen die Berührungsängste immer mehr ab, die Versuchung, auf Landesebene zusammenzuarbeiten, wächst aber nicht nur dort. Das ist höchst geschichtsvergessen. Eine klare Abgrenzung wäre ein besserer Weg.