In Wien gedenken Tausende Lisa-Maria Kellermayr, die nach monatelangen Attacken Suizid begangen hat. Doch im Netz tobt weiter ein Mob, der sich voller Schadenfreue die nächsten Opfer sucht. Was tun?
Nach Suizid von österreichischer ÄrztinIm Netz tobt der Hass, Twitter-Flucht der Wissenschaftlerinnen
Bei manchen Menschen fließen Tränen. Die allermeisten halten still ihr leuchtendes Smartphone oder eine Kerze in die Höhe. Die Betroffenheit der Menge ist greifbar. Einige Tausend Menschen versammelten sich am Montagabend für das Lichtermeer vor dem Wiener Stephansdom, um der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr zu gedenken.
Die Medizinerin aus Seewalchen am Attersee in Österreich hatte sich im Kampf gegen Corona engagiert und war im Internet zum Hass-Objekt der Impfgegner geworden. Daran – das legen die in Medien veröffentlichten Abschiedsbriefe nahe – ist sie zerbrochen.
Debatte über Hass im Netz neu entfacht
Der Suizid der 36-Jährigen vor wenigen Tagen hat die Debatte über Hass im Netz neu angefacht. Kein Geringerer als Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen nahm das Drama zum Anlass einer Mahnung. „Beenden wir dieses Einschüchtern und Angst machen“, schrieb das Staatsoberhaupt auf Twitter. Er selbst legte zusammen mit seiner Frau am Montagabend Blumen vor der Praxis der Toten nieder.
Doch wer glaubt, dass dieser Suizid eine Zäsur wäre, der irrt. Stattdessen tobt spätestens seit der Verzweiflungstat der Ärztin ein Mob aus Querdenkern, Impfgegner und rechten Hetzern insbesondere durch den Kurznachrichtendienst Twitter, mit teils menschenverachtenden Kommentaren – auch aus Deutschland.
Twitter verliert reihenweise meinungsstarke Frauen
Reihenweise ziehen sich meinungsstarke, vor allem weibliche Twitterer zurück. In den letzten Tagen etwa die in Österreich bekannte Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl. Sie hatte noch am Dienstag einen besonders menschenverachtenden Beitrag eines Querdenkers öffentlich gemacht. Sie solle „die Kellermayr machen“. „Das sind Rechtsextreme, Nazi, Verschwörungsgläubige, die innerlich total verroht sind“, sagte Strobl am 1. August im WDR. „Lisa-Maria Kellermayr hat die Polizei um Hilfe gebeten, aber es ist nichts passiert.“
Nun kehren viele Twitter und dem Hass in den Netzwerken den Rücken: Die aus Heidelberg stammende Virologin Isabella Eckerle, eine der letzten Wissenschaftlerinnen, die überhaupt noch öffentlich für den Kampf gegen das Corona-Virus eingestanden ist, hat ihren Account kürzlich gelöscht.
Trotz der inzwischen etablierten gesetzlichen Regelungen gegen Hass im Netz auf nationaler und EU-Ebene ist nach Erfahrungen von Experten die Online-Aggression noch nicht annähernd im Griff. Politikwissenschafterin Strobl: „Ich hoffe, dass die Gesetzeslücken geschlossen werden und die Frauen geschützt werden.“ Doch fürs Erste zieht sich selbst erst einmal zurück, eine wichtige Stimme verstummt. (ach/dpa)