Krasse Szenen im russischen Fernsehen„Ausmaß der Katastrophe kann man sich nicht vorstellen“

Die russische Journalistin Margarita Simonowna Simonjan ist am 28. November im Sender „Rossjia 1“ zu sehen.

Die russische Journalistin Margarita Simonowna Simonjan ist am 28. November im Sender „Rossjia 1“ zu sehen. Die Mittel der russischen Propaganda werden immer abenteuerlicher.

Seit Beginn des Krieges hat sich die russische Propagandamaschine als ein sehr mächtiges Instrument zur Lenkung der Massen erwiesen. Aktuelle Sendungen zeigen, wie verrückt sie auch ist.

von Yuliia Dysa  (yd)Martin Gätke  (mg)

Auch wenn sich der Krieg in der Ukraine für die Russinnen und Russen vor den Fernsehgeräten ganz offiziell nicht geändert hat, denn er trägt weiterhin seinen Status als „spezielle Militäroperation“: Die Propaganda hat in den vergangenen Monaten einige ganz unterschiedliche Narrative zu seiner Rechtfertigung entwickelt – von den leidenden, schutzbedürftigen russischsprachigen Gesellschaften – bis hin zu aggressiven und imperialistischen Aussagen.

Die vergangenen zehn Monate haben der Welt gezeigt, dass sie von Russland buchstäblich alles zu erwarten hat. Und die staatlichen Propagandisten konnten nicht anders, als dies mit immer wieder neuen, von Wut, Hass und Aggression geschwängerten Fernsehsendungen zu bestätigen.

Russland: TV-Propaganda findet immer abenteuerlichere Mittel

Da es für Russland offensichtlich ziemlich schwierig ist, mehrere Monate lang an der Front zu kämpfen, müssen die TV-Propagandisten mit ihren Mitteln und Argumenten immer abenteuerlicher werden, um Verluste vor den Zuschauerinnen und Zuschauern zu verbergen und mit Siegesreden zu übertünchen.

Doch von Zeit zu Zeit kommt Angst auf – und ein gewisses Verständnis für die wahrscheinlich bevorstehende Realität kommt zum Vorschein.

Wenn beispielsweise sowohl die Chefredakteurin der staatlich kontrollierten russischen Propaganda-Medienorganisation RT, Margarita Simonjan, als auch die wahrscheinlich haarsträubendste Fernsehmoderatorin, Olga Skabejewa, plötzlich über das mögliche Kriegsverbrechertribunal in Den Haag sprechen – und sogar Witze darüber machen, dass im Falle einer Niederlage Russlands im Krieg mit der Ukraine schwerwiegende Konsequenzen auf jeden Russen und jede Russin zukommen werden.

„Wir werden alle schuldig sein“, sagt Skabejewa. „Deshalb gehen wir davon aus, dass die Existenz des Landes und die Existenz eines jeden Bürgers der Russischen Föderation, einschließlich unseres zukünftigen Lebens, auf dem Spiel stehen. Damit dies alles nicht geschieht, ist eine Verschärfung der Feindseligkeiten notwendig.“

Russisches Staats-TV: „Den Haag wartet sogar auf den Hausmeister“

Simonjan witzelt unterdessen, dass im Falle einer Niederlage Russlands „Den Haag, ob wahrscheinlich oder nicht, sogar auf den Hausmeister wartet, der die Pflastersteine hinter der Kremlmauer fegt“. Und sie unterstreicht: „Was nützt uns die Tatsache, dass ein weiterer Stadtteil von Kyjiw ohne Licht bleiben wird oder nicht? Das Ausmaß der Katastrophe für unser Land, wenn wir verlieren, kann man sich nicht einmal vorstellen.“

Allerdings ist dies eine recht seltene Erleuchtung, welche man beim Reinzappen ins russische Staatsfernsehen bemerkt. Das Meiste, das zu sehen ist, ist voller Absurditäten, um nicht zu sagen: wertlos. Und es gibt keine Grenzen. Weder ethisch noch für die Vernunft.

Russisches Staatsfernsehen dreht immer weiter durch

Als Selenskyj vom „Time Magazine“ zur „Person des Jahres“ in diesem Jahr gekürt wird, dreht die russische Propaganda völlig durch und zieht unentwegt beliebte Parallelen zum Nationalsozialismus. An jenem Tag strahlt der Sender „Rossija 1“ das aktuelle Titelbild des Magazins neben dem von 1938 aus, auf dem Hitler zu sehen war.

BBC-Journalist Francis Scarr unterstreicht indes, dass die Propagandisten „praktischerweise die Tatsache ignorieren, dass Putin den Titel 2007 bekam, Gorbatschow 1987, Andropow '83, Chruschtschow '57 und Stalin '39 & '42“.

Verrückte Zeiten brauchen verrückte Methoden, so scheint es. Vielleicht ist das der Grund, warum ein Gast Araic Stepanjan (er ist Mitglied des Präsidiums der Akademie für geopolitische Probleme) auf „Rossija 1“ vorgeschlagen hat, den ukrainischen Präsidenten Selenskyj offiziell als den Antichristen anzuerkennen. „Selenskyj hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und jetzt bringt er ihn zum Leben“, mutmaßt er.

Es gibt eine Redewendung im Russischen, die bei solchen Ausführungen im Staatsfernsehen durchaus ironisch wirkt: „Das Leben ist wie ein Märchen: Je weiter es geht, desto gruseliger wird es“. Dieser Satz scheint die Situation der russischen Propaganda wohl am besten zu beschreiben.