„Aktenzeichen XY“-Moderator Rudi Cerne ist dem Verbrechen auf der Spur. Im Interview verrät er unter anderem, inwiefern der Beruf sein Privatleben beeinflusst.
„Aktenzeichen XY“Vom Eiskunstläufer zum True-Crime-Star – Moderator gesteht: „Kein Hobby-Detektiv“
Die Sendung „Aktenzeichen XY... Ungelöst“ ist im deutschen True-Crime-Genre der absolute Spitzenreiter. Sie zieht schon seit mehr als 50 Jahren immer wieder zahlreiche Zuschauer und Zuschauerinnen vor den Fernseher.
Seit 2002 moderiert Rudi Cerne die Sendung – doch zuvor hatte der 65-Jährige so gar nichts mit der Aufklärung von Kriminalfällen zu tun. Mittlerweile führt er neben der „Aktenzeichen XY“-Sendung auch einen Podcast über unvergessene Verbrechen.
„Aktenzeichen XY...“: Darum ist die True Crime-Sendung so beliebt
Im Interview mit EXPRESS.de hat „Aktenzeichen“-Moderator Rudi Cerne über seinen Job, seine Anfänge bei der ZDF-Sendung, über den True-Crime-Hype und über Zivilcourage im Alltag gesprochen.
Der True Crime-Hype hat in den letzten Jahren enorm zugelegt, was begeistert die Menschen denn so an True Crime?
Rudi Cerne: Es ist die Tatsache, dass es der Realität entspricht. Es sind echte Fälle, so wie in unserem Podcast „Aktenzeichen XY… Unvergessene Verbrechen“ und nichts anderes geschieht auch bei „Aktenzeichen XY…“ – der Unterschied ist: „Aktenzeichen XY“ ist eine Fahndungssendung und der Podcast behandelt unvergessene Verbrechen aus der Vergangenheit. Alles ist tatsächlich so passiert, nichts ist konstruiert. Da hat sich kein Drehbuchautor etwas ausgedacht. „Aktenzeichen XY“ war ja schon immer der Vorreiter, jetzt gibt es halt sehr viele Nachahmer, manche mit mehr und manche mit weniger Erfolg.
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Hören oder schauen Sie denn neben ihrem eigenen Podcast und ihrer eigenen Sendung auch True Crime Podcasts oder Magazine?
Rudi Cerne: Ja. Ich bin mal interviewt worden für einen Podcast und hatte mir das logischerweise vorher dann auch angehört und dachte mir, das können wir doch auch – wenn nicht sogar besser. Das war der Start. Und jetzt sind wir bei Folge 35. Der Podcast „Aktenzeichen XY…Unvergessene Verbrechen“ wird sehr gut angenommen. Die Klickzahlen sind sehr hoch und bemerkenswert ist, dass wir eben bei den jungen, weiblichen Zuhörerinnen eine überdurchschnittliche Beteiligung haben.
Was denken Sie, warum die Zahl der Zuhörerinnen so hoch ist?
Rudi Cerne: Das kann ich nicht einschätzen. Aber gerade unlängst hat mir die Freundin meiner Tochter bestätigt: „Der Podcast fasziniert mich, weil man auch einen spannenden Einblick in die Ermittlungsarbeit der Kommissare und Kommissarinnen bekommt“ – es kommen ja auch viele Protagonisten und Protagonistinnen und Betroffene zu Wort. Das ist mitunter sehr bewegend. Ein Vorteil ist, dass wir in kein zeitliches Korsett gepresst werden. Wir haben eine Richtzeit von 40 bis 60 Minuten.
Rudi Cerne über „Aktenzeichen XY...“-Spezialausgabe: „Das ist eine andere Dimension“
Neben dem Podcast und „Aktenzeichen XY… Ungelöst“ moderieren Sie auch immer wieder „Aktenzeichen XY… Vermisst“ – haben Sie einen Fall, der Ihnen besonders nah gegangen ist?
Rudi Cerne: Die Spezialausgaben mit den vermissten Personen haben in Bezug auf die Emotionen nochmal eine andere Qualität, das ist eine andere Dimension. Es sind nicht nur die Ermittler und Ermittlerinnen im Studio, sondern Angehörige. Für sie ist es praktisch die letzte Chance. Und ich merke immer wieder, wie sehr sie die Ungewissheit zermürbt. Nichtsdestotrotz sind sie dankbar und das wird uns auch immer wieder bestätigt: „Wir sind froh, dass Sie sich unserer noch angenommen haben, dass wir mit diesem Fall in die Öffentlichkeit gehen können, weil es unsere letzte Chance ist.“
Wir drängen niemanden ins Studio zu kommen, aber wir bieten die Chance. Damals als die Eltern von Madeleine McCan bei uns auftraten, war das sehr bewegend und emotional. Der Vater machte einen sehr gefestigten Eindruck, aber die Mutter schien rein körperlich unter dieser unglaublich zermürbenden Situation zu leiden.
Beeinträchtigen die Fälle, an denen Sie auch sehr nah mitarbeiten, Sie im privaten Bereich stark? Sind Sie vorsichtiger geworden, meiden Sie die Dunkelheit? Oder können Sie das Private von dem Beruflichen gut trennen?
Rudi Cerne: Ich kann das sehr gut trennen. Ich bin von Haus aus ein vorsichtiger Mensch, ich bin kein ängstlicher Mensch, aber meine Vorsicht wurde durch die Sendung bestätigt. Also stets mit offenen Augen durch den Alltag zu gehen und stückweise auch mitzubekommen, was hinter einem geschieht. Da passe ich schon ganz gut auf. Ansonsten habe ich keine spezielle Routine, um abzuschalten. Das ist eine Live-Sendung, die dauert 90 Minuten, die hängt man nicht mit dem Anzug in den Schrank. Bei so einem Auftritt produziert der Körper natürlich auch eine gehörige Portion an Adrenalin.
Das heißt, wenn die Sendung am Abend um 21.45 Uhr zu Ende ist, dann schalte ich um 23 Uhr nicht das Licht aus. Es dauert schon länger, um wieder runterzukommen, aber ich halte es mit den Kommissaren und Kommissarinnen, die gesagt haben „Das dürfen Sie nicht zu nah an sich ranlassen, sonst kommen Sie nicht in den Schlaf“. Es gelingt mir gut, also ich kann da emotional schon gut einen Schlussstrich ziehen.
Sie moderieren seit 2002 „Aktenzeichen XY“, hatten Sie immer schon Interesse an Kriminalfällen?
Rudi Cerne: Ich bin kein Hobby-Detektiv, ich habe aber in meiner Jugend die ganzen amerikanischen Krimi-Serien im TV verfolgt. Auch „Der Kommissar“ gehörte dazu. Aber dass ausgerechnet ich dann bei „Aktenzeichen XY“ landen würde, daran hätte ich im Traum nicht gedacht. Aber unverhofft kommt oft. Ich bin dem ZDF sehr dankbar, dass man mir diese Chance geboten und man mir dieses Tor geöffnet hat.
Am 29. November wird ja der „XY-Preis 2023“ verliehen, Sie moderieren die Verleihung. Dort werden Menschen ausgezeichnet, die unter anderem Zivilcourage gezeigt haben – wie selbstverständlich ist so etwas heutzutage?
Rudi Cerne: Ich glaube, dass jeder Mensch unterschiedlich gestrickt ist. Manche gehen proaktiv zur Sache, manche Menschen haben alleine schon durch die Körpergröße und ihre Konstitution gute Argumente auf ihrer Seite. Dann gibt es aber auch Personen, die zumindest ihr Handy zücken und die 110 wählen, das kann eigentlich jeder tun. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn es zu so einer extremen Situation käme. Aber ich ziehe vor jeder Person den Hut, die etwas unternimmt.
Rudi Cerne über die Entwicklung von Straftaten: „Verbrechen ist jünger geworden...“
In der letzten Sendung stellten wir ein Mädchen vor, ca. 15 Jahre alt, das ein kleines Kind davor bewahrt hatte, Opfer eines vermeintlichen Sexualstraftäters zu werden. Sie war aufmerksam und fragte das betroffene Kleinkind: „Kennst du diesen Mann?“ Das Kind kam aus der Ukraine und die Retterin verständigte sich mit ihr in einem Übersetzungsprogramm auf dem Handy. Also, in solch einer absoluten Ausnahmesituation unter höchstem Stress, noch die Ruhe zu bewahren, ist wirklich bemerkenswert.
Sie setzen sich auch mit vielen Straftaten und Kriminalfällen auseinander. Würden Sie sagen, dass diese sich in den letzten Jahren sehr stark verändert haben? Gewalttätiger? Jüngere Täter und Täterinnen?
Rudi Cerne: Ich kann da auch nur auf Kriminalstatistik des BKA verweisen. Das Verbrechen ist jünger geworden, also die Täter und Täterinnen. Es werden Personen niedergeschlagen, mitunter sogar getötet und das mitunter wegen 20 Euro. Im Allgemeinen ist es aber tatsächlich so, und das widerlegt das Gefühl, dass es überall schlimmer wird und an jeder Ecke lauere das Böse und Verbrechen: Laut Statistik ist die Zahl zurückgegangen.
In der Corona-Zeit hatten Einbrecher und Einbrecherinnen ein Problem, die meisten Menschen waren nun einmal zu Hause und niemand konnte in der Zeit in eine unbewohnte Wohnung einbrechen, um diese dann auszuräumen.
Bevor Sie „Aktenzeichen“-Moderator geworden sind, waren Sie Eiskunstläufer – was hat sie dann letzten Endes vor die Kamera gezogen?
Rudi Cerne: Ich hatte 1984 bei den Olympischen Spielen in Sarajevo den vierten Platz belegt und hinterher die ARD Sportschau-Legende Addi Furler kennengelernt. Wir unterhielten uns angeregt und dann kam der entscheidende Satz: „Ich glaube, Sie wären ein guter Sportreporter“. Und dann habe ich tatsächlich bei einer anderen Gelegenheit die Kür eines Konkurrenten kommentiert. Und das kam gut an. Dann folgten diverse Hospitanzen und schließlich landete ich beim Hessischen Rundfunk als Reporter fürs Eiskunstlaufen.
Und dann kam eins zum anderen: 1996 holte mich der damalige ZDF-Sportchef Wolf-Dieter Poschmann zum ZDF. Er war ja auch Leistungssportler, da ist man irgendwie im Geiste vereint. 6 Jahre lang durfte ich „Das aktuelle Sportstudio“ moderieren, ein Ritterschlag. 2001 rief mich Fernsehspielchef Hans an und sagte: „Wir hätten Sie gerne für Aktenzeichen XY als Moderator.“
Das war auch eine riesige Überraschung für mich. Eduard Zimmermann hatte mich auserkoren. Ich war mir zunächst unsicher, im ZDF-Sport hatte man die Nase gerümpft. „Was will er denn jetzt da? Vom Sport zum Mord? Passt das überhaupt?“ Ein guter Ratgeber in dieser Findungsphase war Frank Elstner, der mir sehr dazu riet: „Machen Sie es sofort und danken Sie dem lieben Gott dafür, dass Sie dieses Angebot bekommen haben. Sowas kriegen Sie nur einmal im Leben“ – und er sollte Recht behalten.