Interview

„Fatal und ethisch nicht vertretbar“Andrea Sawatzki & Christian Berkel: Emotionales Gespräch übers Altern

Andrea Sawatzki und Christian Berkel in "Querschuss"

Christian Berkel als Andreas und Andrea Sawatzki als Ulrike im Film „Querschuss“, der am 12. Februar im Ersten läuft.

Das Schauspielerpaar Andrea Sawatzki und Christian Berkel hat mit uns über das Leben im Alter, ihr ungewöhnliches neues Filmprojekt und die Relevanz, gute Gespräche zu führen, gesprochen.

von Horst Stellmacher  (sm)

Große Auftritte eines Ehepaars: Andrea Sawatzki (61) und Christian Berkel (67) spielen in „Querschuss“ (Mittwoch, 12. Februar, 20.15 Uhr, ARD) ein verstörtes Geschwisterpaar. So ungewöhnlich wie diese schauspielerische Konstellation ist auch die Geschichte: Es geht um ein geplantes Familienfest zum 80. des Familien-Oberhauptes, das ins Wasser fällt, weil sich der Jubilar kurz vorher das Leben nimmt.

Eine berührende Geschichte, die vom Ehepaar Sawatzki/Berkel initiiert und mitproduziert wurde. Warum – das sagen beide im großen EXPRESS-Interview.

Andrea Sawatzki & Christian Berkel: Ein Film für alle alten Menschen im Land

Was war der Anlass für „Querschuss“?

Alles zum Thema ARD

Andrea Sawatzki: Ein Artikel, den Christian vor etwa acht Jahren entdeckt hatte. Das Thema war, in welchem Alter die Suizidrate in Deutschland am höchsten ist, ob mehr Frauen oder Männer Selbstmord verüben. Ich habe auf Jugendliche getippt. Und auf Frauen in den Sechzigern, die mit dem Älterwerden nicht klarkommen, mit Einsamkeit, wenn sie keinen Partner oder keine Familie haben.

Das Ergebnis sah anders aus?

Christian Berkel: Ja. Es sind die Männer, über 75.

Was bedeutete das für Sie?

Andrea Sawatzki: Danach hat uns dieses Thema nicht mehr losgelassen. Uns war plötzlich bewusst, dass diese Generation der Männer, die den Krieg oder die Nachkriegszeit miterleben mussten, in unserem Land gern übersehen werden. Sie scheinen nicht mehr zu existieren, wir machen uns keine Gedanken darüber, wie es ihnen mit ihren Erinnerungen, mit dem Älterwerden, mit Einsamkeit geht. Sie werden ausgegrenzt, ihre Einsamkeit wird oft nicht mal von Familienangehörigen bemerkt, und wenn sie sich beklagen, heißt es: Ach komm Dir geht es doch noch ganz gut. Das hat uns beschäftigt und so wurde uns klar, dass wir darüber einen Film drehen mussten. „Querschuss“ widmen wir den alten Menschen und ihren Familien in unserem Land.

Wir kommt es, dass das Thema „Alter“ Sie so sehr berührt?

Andrea Sawatzki: Ich bin sehr früh damit konfrontiert worden. Ich habe als Kind und junges Mädchen meinen an Alzheimer erkrankten Vater gepflegt, bis er in meinem 15. Lebensjahr gestorben ist. Er war schon ziemlich alt damals, 24 Jahre älter als meine Mutter. Was ich da erlebt habe, hatte ich mein Leben lang vor Augen. Das hat mich geprägt. Das ist natürlich nochmal ein spezieller Fall. Hier geht es um eine schwere Krankheit und die Unmöglichkeit, als Familie zusammenzuwachsen. Trotzdem hat diese Zeit meinen Blick auf alte Menschen sensibilisiert.Christian Berkel: Deshalb lag uns der Film so am Herzen. Denn in ihm geht es auch um die Unmöglichkeit vieler alter Menschen, sich mitzuteilen, weil sie das nie durften oder nie gelernt hatten. Ich habe das auch bei meiner Mutter erlebt. In unserer Gesellschaft werden zwei Gruppen ausgegrenzt: Kinder und alte Menschen. Wer nicht unmittelbar produktiv ist, wird nicht wahrgenommen oder stört. Das ist fatal und ethisch nicht vertretbar. Vor allem aber gräbt sich eine Gesellschaft auf diese Weise das Wasser ab. Wir müssen nicht immer einer Meinung sein. Konfliktbereitschaft ist das Salz in der Suppe. Schweigen ist Gift.

Haben Sie Angst vorm Alter?

Andrea Sawatzki: Mir geht es da wie vielen Menschen, die sich damit befassen: Ich habe Respekt, denn ich weiß ja nicht, was mir noch passiert. Behalte ich mein Bewusstsein? Bleibe ich gesund? Aber ich gerate da nicht in Panik.Christian Berkel: Mit dem Älterwerden darf man sich nicht erst beschäftigen, wenn es soweit ist. Dann ist es oft zu spät. Vergänglichkeit und Tod gehören zu unserem Leben, genau wie Abschied und Neubeginn.

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Wie sieht Ihr Lebensplan fürs Alter aus?

Christian Berkel: Auf keinen Fall möchten wir irgendwo sediert in einer Ecke sitzen und vergessen werden. Wir haben beschlossen, mit Freunden eine Art Wohngemeinschaft zu gründen, dafür Pfleger zu organisieren, die nach uns gucken.

Auffallend: Sie spielen diesmal ein Geschwisterpaar …

Andrea Sawatzki: Ich wollte das gern, denn diese Konstellation Bruder/Schwester hatten wir noch nie. Aber es ist in diesem Film auch besonders reizvoll: Diese Geschwister sind geprägt von der Sprachlosigkeit, dem Schweigen, das bei ihren Eltern Usus war. Ohne es wirklich zu realisieren, haben sie nie gelernt, sich mitzuteilen, nachzufragen, Gespräche frei und ohne schon bestehende Vorurteile zu führen. Das passiert oft stillschweigend quasi generationenübergreifend. Das wird weitergegeben an die Kinder. Das ist das Fatale.

Haben Sie eigentlich Geschwister, mit denen Sie sich über die Familie austauschen können?

Andrea Sawatzki: Ich bin ohne Geschwister aufgewachsen, hätte aber immer gern eine Schwester oder einen Bruder an meiner Seite gehabt, auch um mit jemandem Erinnerungen aus der Kindheit auszutauschen. Aber Christian und ich sprechen viel über die Kindheit an sich, auch über unsere eigene. Und wir haben immer viel über unsere Eltern gesprochen und tun es immer noch. Inspiriert auch von der Frage, inwieweit wir dem vorgegebenen Rollenmuster nicht wirklich entkommen sind. Wir haben zum Glück zwei wunderbare Söhne, mit denen wir gute Gespräche führen können.

2025 läuft schon in vollen Zügen. Was wird es in diesem Jahr noch mehr Neues von ihnen geben?

Andrea Sawatzki: Jede Menge! Unter anderem steht eine neue Folge unserer „Familie Bundschuh“ in der Pipeline. Den Film haben wir schon im Juli 2024 abgedreht, warten mit den Zuschauern sehnlichst auf einen Sendetermin. Bei unserer verrückten Anfänger-Reihe liegen zwei fertige Filme bereit. Im Herbst drehen wir weiter. Dazu kommt eine neue Reihe für den SWR, „Die Verteidigerin“, mittwochabends. Ich bin als Anwältin im Schwarzwald und in Freiburg im Einsatz. Eine Folge ist abgedreht, zwei weitere folgen. Außerdem bin ich als Tierschützerin gefragt. Ich drehe für den WDR meinen ersten Dokumentarfilm, in dem es um Hunde-Tötungsstationen in Rumänien geht.

Sprechen wir über Ihre weiteren Standbeine – Ihre Bücher. Ende Mai erscheint der Roman „Sputnik“ von Christian Berkel, Ende Juli kommen die neuen Andrea-Sawatzki-Erinnerungen „Biarritz“. Sitzen Sie da beide an einem Tisch und tippen?

Andrea Sawatzki: Nein, mein Mann hat unser Arbeitszimmer für sich okkupiert, und ich wandere beim Schreiben durchs Haus, bin mal in der Küche. Wenn die Hunde stören, gehe ich ins Schlafzimmer.

Andrea Sawatzki und Christian Berkel beim Fernsehpreis in Köln am 15. Oktober 2005.

Das Schauspieler-Paar Andrea Sawatzki und Christian Berkel 2005 bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises in Köln.

Spielen Sie noch Theater?

Andrea Sawatzki: Leider nein, das schaffe ich zeitlich nicht. Aber dafür habe ich meine Lesungen, bei denen mir die Gespräche danach sehr wichtig sind. Ich möchte immer gern wissen, wie es den Menschen geht, die ich nicht jeden Tag treffe. Dann erfahre ich oft, dass das Sprichwort „Unter jedem Dach ein Ach!“ stimmt – was mich tröstet, denn das habe ich im eigenen Leben selbst festgestellt.Christian Berkel: Bei mir ist es auch etwas länger her, aber ich habe vor zwei Jahren für die Festspiele in Bad Reichenau bei Wien Frühlingserwachen mit einem wunderbaren Ensemble inszeniert, manche kamen vom Burgtheater und die Jungen aus dem Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Alle hochbegabt. Mich zieht es immer wieder zum Theater hin.

Sind Sie am Ziel Ihrer Träume?

Andrea Sawatzki: Was den Film und meine Bücher betrifft, bin ich sehr glücklich. Aber es gibt noch ein paar Löcher, die ich ausfüllen möchte. Z. B. würde ich in Deutschland noch sehr, sehr gern einen Shelter für vernachlässigte und heimatlose Hunde gründen, also einen Ort der Hoffnung für die Tiere, die sonst keine Zukunft mehr haben. Und zum Geburtstag im Februar schenkt mir mein Mann einen Spanisch-Intensivkurs in Madrid. Im Spanischen hinke ich ein bisschen hinterher.

Ruhestand ist keine Option?

Andrea Sawatzki: Nein. Ich möchte so lange arbeiten, bis ich nicht mehr stehen kann.Christian Berkel: Ich kenne nur den Unruhestand.

Andrea Sawatzki & Christian Berkel: Ein Team mit viel Engagement

Andrea Sawatzki (geboren am 23. Februar 1963 in Schlehdorf) und Christian Berkel (geboren am 28. Oktober 1957 in Berlin) leben seit 1998 zusammen und heirateten im Dezember 2011. Sie haben zwei gemeinsame Söhne (25, 22), leben in Berlin-Schlachtensee.

Andrea Sawatzki schloss 1987 ihre Schauspielausbildung ab, spielte von 1988 bis 1992 an Theatern in Stuttgart, Wilhelmshaven und München. 1997 hatte sie in „Die Apothekerin“ ihren Durchbruch als Filmschauspielerin. 2001 bis 2009 als Charlotte Sänger im Frankfurter „Tatort“. Erfand 2013 die „Familie Bundschuh“, die als Buch und TV-Serie ein Riesenerfolg ist.

Christian Berkel lebte als Jugendlicher in Paris. Schauspielunterricht bei Jean-Louis Barrault und Pierre Bertin. 1977: Ingmar Bergmans „Das Schlangenei“. 1978: erster Tatort „Rot-rot- tot“. 2004 „Der Untergang“. 2006 – 2020: Serie „Der Kriminalist“. Spielte auch in Hollywood-Produktionen wie „Operation Walküre“ mit Tom Cruise und „Inglourious Basterds“ von Quentin Tarantino mit Brad Pitt.