Risiko und RettungswindelSo gefährlich ist die Arbeit der Bergretter wirklich – Geld gibt's keins!

Bergretter

Die Bergretter aus Grainau sind mit den Kollegen aus Ramsau aktuell in der neuen Dokuserie „In höchster Not“ zu sehen: in der ARD-Mediathek oder ab dem 14. April immer montags um 20.15 Uhr im BR.

EXPRESS-Reporterin Laura Schmidl war bei den Bergrettern an der Zugspitze. In der spannenden Reportage geht's um Mut, Professionalität und Ehrenamt.

von Laura Schmidl

„Jetzt nicht nach unten schauen“, denke ich – und schaue doch nach unten. Da geht es etwa 15 Meter in die Tiefe. Ganz schön weiter Weg … Langsam taste ich mich weiter über die Kante. Und dann hänge ich im Abgrund, ein Stein löst sich, trifft mich – und dann geht das Licht aus …

Gut, das mit dem Stein ist das Szenario, das Bergretter-Ausbilder Valentin sich ausgedacht hat, um die Anwärter der Bergwacht Grainau zu testen. Dazu befinden wir uns an einer Felswand am Herrgottschrofen im Tal unweit der Zugspitze. Und ich darf das Unfallopfer spielen, das nun handlungsunfähig im Seil hängt und gerettet werden muss.

Die Bergretter aus Grainau: Im alpinen Bereich die letzte Instanz

Anwärter Michi seilt sich also zu mir herab, gesichert durch seinen Kollegen Alex, der Stückchen für Stückchen Seil ablässt, bis Michi auf meiner Höhe ist. „Oafn Buckel nehm“, soll er mich, erklärt Valentin. Michi werkelt und knotet, bis ich mit in seiner Sicherung hänge und er meine lösen kann. Mit mir als „Rucksack“ verschnallt geht's Richtung Boden; ich hoffe, dass das dünne Seil auch stabil ist. Verletzte oder erschöpfte Kletterer zu retten – klassische Fälle für die Bergrettung. Wenn Menschen sich überschätzen, verunfallen oder verirren, sind sie zur Stelle – und zwar ehrenamtlich. Geld gibt es für die Bergretter und -retterinnen nicht. „Im alpinen Bereich sind wir die letzte Instanz“, sagt Toni Vogg (35), Bereitschaftsleiter in Grainau.

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Toni ist seit 20 Jahren dabei, sein Vater seit 47 Jahren. Hauptberuflich bis vor Kurzem noch Elektroingenieur, ist Toni inzwischen Rettungshubschrauberpilot – „ein Kindheitstraum“, sagt er. Wie alle Bergretter teilt er die Liebe zum Gebirge und dem Alpinsport. „Wir sind alle gerne in den Bergen unterwegs – und wollen alle etwas zurückgeben.“

47 Freiwillige sind in Grainau derzeit aktiv, plus acht Anwärter. Wenn der Piepser geht, lassen sie alles stehen und liegen. Meist gibt es zur ersten Meldung schon die GPS-Daten und erste Einsatzinfos. Bei Flugwetter wird oftmals ein Hubschrauber angefordert. Und dann gehts so schnell wie möglich los. Der Einsatz im alpinen Gebiet kann fordernd und gefährlich sein, die Suche nach Verletzten im unwegsamen Gelände schwierig (siehe auch Bildergalerie unten).

Toni erinnert sich an einen Einsatz im Jahr 2007: „Da ist einer am Höllentalferner-Gletscher in eine Spalte gestürzt. Am Montag haben ihn seine Arbeitskollegen als vermisst gemeldet. Am Abend sind wir losgegangen, hatten aber nur fünf Meter Sicht. Am Dienstagnachmittag konnten wir ihn aus der Spalte herausziehen.“ Drei Tage musste der Mann dort ausharren. „Er sagte zu uns: Die nächste Nacht hätte er sich nicht mehr gegen das Einschlafen gewehrt.“

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Nicht alle Einsätze nehmen ein gutes Ende. Durchschnittlich fünf Tote pro Jahr müssten die Retter bergen, schätzt Toni. „Der Tod gehört zum Leben, da kommt keiner lebend raus. Ich habe es von klein auf mitgekriegt von meinem Vater, dass solche Sachen passieren. Wir betrachten es als letzten Dienst, die Leiche ins Tal zu bringen, damit Angehörige sich verabschieden können.“

Aus Übermut im Eis eingebrochen: Bergretter holen 16 Menschen aus Eibsee

Beinahe tödlich endete auch die unkluge Idee einer Reisegruppe. Jung-Retter Simon (21), hauptberuflich Krankenpfleger auf der Intensiv-Station, zeigt auf eine Stelle am Eibsee, der bis vor einigen Wochen noch zugefroren war. „Da sind 16 Leute eingebrochen, wohl eine indische Studentengruppe. Es soll Videos geben, auf denen zu sehen ist, dass sie nebeneinander auf dem Eis standen und hochgesprungen sind. Teilweise war der See hinten schon wieder eisfrei.“ Einer der Touristen musste sogar reanimiert werden, erzählt Simon, der kürzlich seine Bergretter-Ausbildung abgeschlossen hat. Die dauert etwa drei Jahre.

Erst vor wenigen Jahren hat die Bergwacht Grainau für diese Ausbildung die erste Frau akzeptiert. Theresa ist eine der ersten: „Am Anfang mussten wir uns ein bisschen beweisen – aber inzwischen sind wir ein einziger Haufen und es ist ganz egal, ob du ein Mann bist oder eine Frau.“ Es gebe immer noch Bereitschaften, die keine Frauen wollen, andere haben schon längst weibliche Unterstützung. Bei den Eignungstests müssen sie dieselben körperlichen Voraussetzungen erfüllen wie Männer, u. a. Ski-Fahren, ein Belastungs-EKG, und 1000 Höhenmeter in 90 Minuten erklimmen. Das schaffen natürlich auch fitte Frauen.

Nach der Rettungsaktion an der Felswand das nächste „Unglücksszenario“: Einmal durchs Gebüsch gelaufen (tja, wenn die Natur ruft...), über eine Wurzel gestolpert – zack, Fuß kaputt. So ein Pech! Auftreten geht nicht mehr. Wieder Einsatz für die Bergretter und die Bergretterin in spe – auch eine Simulation, die drei Anwärter wissen aber nicht, was auf sie zukommt. Nachdem der Unfallhergang und die Beweglichkeit meiner Zehen gecheckt wurde (geht noch), vakuumieren Michi und Theresa mein „verletztes“ Bein, Alex hievt mich dann in die Berge-Trage – eine Art Schubkarre für Patienten in unwegsamem Gelände. Festgezurrt schieben die zwei Männer mich ruckelnd über die Wiese. Im Ernstfall würde jetzt der Rettungswagen warten.

Im Haus der Bergwacht üben wir das Abseilen vom Helikopter – das wichtigste Transportmittel für die Bergrettung. Autofahren geht meist nicht. Skifahren auch nur auf den Pisten. An der Decke im Dachgeschoss ist für die Ausbildung daher eine Winde installiert, die genau wie jene im Heli funktioniert. Dieses Mal bin ich der entkräftete Wanderer, der nicht mehr vor oder zurückkommt. Ein Klassiker. Gut, dass es die Bergretter gibt: „Winch-Operator“ Toni – also der, der im Hubschrauber (im Training überzeugend dargestellt vom Tisch aus dem Gemeinschaftsraum) die Winde, engl. winch, bedient – lässt Anwärter Alex herunter. Mit Handzeichen signalisiert er dem Winch-Operator, was er gerade tut. Die sind extrem wichtig: Sollte etwa der Hubschrauber losfliegen, während der Bergretter unten noch zusätzlich anderweitig festgebunden ist, kann der Hubschrauber – da er praktisch an den Boden „gefesselt“ ist – ins Trudeln geraten und sogar abstürzen.

Handzeichen für eine „Gefesselt-Situation“: Hand mit abgespreiztem Ellbogen an die Kehle. Damit Alex mich abtransportieren kann, schlüpfe ich in die Rettungswindel – ja, das Ding heißt echt so. An den Retter gebunden zieht uns die Winde nun hoch (Handzeichen: Daumen hoch, alles gut), bis auf Höhe des „Hubschraubers“ – und Alex bugsiert uns hinein. Wieder gerettet! Das gleiche nun noch einmal im sogenannten Bergesack für schwerer Verletzte – fest verschnallt schwebe ich auch hiermit bis zur Decke und in den sicheren Hafen des „Hubschraubers“. Jede Bewegung muss sitzen. Sonst wirds gefährlich, wenn statt – wie hier – einem tausende Meter Luft zwischen Füßen und Boden ist. Es läuft alles glatt. Rettungsmission erfolgreich beendet.