Jecke müssen jetzt ganz stark sein: Kabarettist Oliver Kalkofe erklärt, warum er kein Fan von Karnevalisten ist und volle Breitseite gegen „alaaf“ und „helau“ schießt.
Volle Breitseite am 11.11.Oliver Kalkofe: „Karneval schändet den deutschen Humor“
Er ist nicht nur Deutschlands scharfzüngigster Medienkritiker und TV-Zyniker, sondern seziert auch unseren Alltag mit seinen Irrungen und Wirrungen.
In seinem aktuellen Buch „Sieg der Blödigkeit“ nimmt Oliver Kalkofe Influencer, Reality-Sternchen, Gutmenschen und all die Dumpfbacken aufs Korn, die ohne das Hirn einzuschalten, jeden Mist liken. Sehr böse, irre komisch, aber auch ein Aufruf, den „Bekloppten in die Bowle zu pinkeln“.
Oliver Kalkofe: Im Karneval geht's um Saufen und Geschlechtsverkehr im Delirium
Alaaf und Helau, ab sofort feiern wir im Rheinland den Beginn der fünften Jahreszeit. Sie offensichtlich nicht. In Ihrem Buch schießen Sie volle Breitseite gegen den Karneval. Was stört Sie?
Oliver Kalkofe: Ich kostümiere mich ja auch beruflich, sogar gern, und ich bin auch ein Fan von Halloween, aber ich habe ein Problem mit dieser extrem ritualisierten Fröhlichkeit. Ein Tusch sagt mir, wann ich lachen darf. Der Elferrat war ursprünglich mal gedacht als Parodie aufs Militär, jetzt parodiert er sich selbst. Karneval war früher, für seine Zeit richtig, aber er hat sich nicht weiterentwickelt.
Woran machen Sie das fest?
Oliver Kalkofe: Dort wird rituell der deutsche Humor auf offener Bühne grausam geschändet. Einerseits durch all die Auftritte der reimenden Hausmeister, Putzfrauen, Teilzeitclowns und Weltenbummler. Andererseits durch Tanzvorführungen kurz berockter Militärmädels oder von Übergewicht und Trunksucht gezeichneter Männergruppen in Ballerina-Röckchen. De nutzt der Großteil der Anwesenden meist als willkommene Pinkelpause. Mal ehrlich: Im Grunde geht's doch vor allem ums Saufen und möglichen Geschlechtsverkehr im Delirium. Das kann man aber auch anders haben, sogar das ganze Jahr über.
Sex – ein gutes Stichwort. Sehen Sie sich noch all die Reality-Shows an, die Sie früher in der „Mattscheibe“ durch den Kakao gezogen haben?
Oliver Kalkofe: Nein, das tue ich mir freiwillig nicht mehr an, schaue höchstens mal rein, um auf dem Laufenden zu bleiben. Ich kenne da fast keinen mehr. In den ersten Jahren beim Dschungelcamp tauchten größtenteils noch Menschen auf, die in ihrem Leben irgendeine Leistung – Gesang, Schauspielerei oder Talent – aufgefallen sind, dann einen Karriereknick hatten. Heute gibt es fast nur noch überdimensional aufgepumpte Muskelmann-Parodien und junge Frauen mit Pornopuppen-Ästhetik. Gestalten aus eigenen Pseudo-Promi-Zuchtfarmen, die nichts wirklich können, außer um Geschlechtsverkehr unter Palmen zu betteln. Darum geht es letztendlich immer. Wer knattert, kommt weiter. Wer sich möglichst asozial benommen hat, hat die größte Chance, ins nächste Format geladen zu werden. Für mich sind diese Horror-Gestalten die Generation H.O.R.S.T! Abkürzung für: Hackedoof, oberflächlich, riemig, selbstverliebt und tätowiert.
Haben Sie was gegen Tattoos?
Oliver Kalkofe: Generell überhaupt nichts. Es gibt sehr schöne. Aber der Trend, großflächig jede Ecke des Körpers bekritzeln zu lassen, gefällt mir nicht. Warum lässt man sich infantile Höhlenmalereien oder alberne Kalenderweisheiten in Hieroglyphen in den Body ritzen?
Wo wir so schön beim Ablästern sind: Werbegesichter gab es auch früher. Was stört sie an den heutigen Influencern so besonders?
Oliver Kalkofe: Früher hatten wir Latzhosen-Luder Klementine, Handschmeichlerin Tilly, Käpt'n Iglo oder den schmierigen Herrn Kaiser von der Hamburg Alzheimer, aber die haben wir auch als fiktive Werbefiguren wahrgenommen und wären nie auf die Idee gekommen, ihnen eine Postkarte mit Herzchen und „Gefällt mir“-Daumen zu schicken. Das Perfide ist heute, dass Influencer so tun, als wären sie deine Freunde und zeigen dir eine perfekte Scheinwelt mit all den Dingen, die du auch haben musst, um ebenso glücklich zu sein. Werbung hat schon immer manipuliert, aber heutzutage hat das eine ganz andere Qualität.
Auch Politiker, insbesondere die AfD, haben TikTok & Co. als Köder entdeckt ...
Oliver Kalkofe: Populisten haben es durch das Internet besonders einfach. So hat Trump seine Lügen verbreitet, seine Karriere aufgebaut, und das macht sich auch die AfD zunutze. Jetzt versuchen andere Parteien, nachzuziehen. Da sehen wir Olaf Scholz mit seiner Aktentasche oder Söder mit Bratwurst. Das ist leider nur peinlich, weil man merkt, dass man sich hier anbiedern möchte. Um wirklich die Jugend zu gewinnen, müsste man wichtige Aussagen so präsentieren, dass sie sie verstehen und dadurch ein Interesse geweckt wird, sich weiter zu informieren.
Oliver Kalkofe: „Gutmensch“ darf nicht zum Schimpfwort werden
Wie es „Tagesshow together“ auf dem Portal Twitch versucht?
Oliver Kalkofe: Ja, ein gutes Beispiel. Wir Älteren mögen darüber lachen, wie dort geredet wird oder was die Aufmachung angeht. What the fuck soll das denn? Aber es ist wenigstens ein Versuch, die jungen Leute an Inhalte heranzuführen, ein Interesse an echten Nachrichten zu wecken und ihnen zu zeigen, dass nicht nur Heidi Klums Halloween-Kostüm die Nachricht des Tages ist. Die Tendenz, sich einlullen zu lassen und das Hirn in den Schlummermodus zu versetzen, war ein schleichender Prozess. Inzwischen haben wir uns aber erschreckenderweise daran gewöhnt. Ich wünsche mir, dass wir uns trauen, uns auch wieder komplexeren Dingen zu widmen. Und damit meine ich nicht nur die Jugend. Es tut nicht weh, wenn man mehr als die Schlagzeile liest und das Gehirn verflüssigt sich nicht, wenn man im Radio mehr als 90 Sekunden lange Wortbeiträge mit Sinnzusammenhang und Nebensätzen hören kann. Wir müssen unsere Sprache nicht primatenhaft auf 140 Zeichen mit grinsenden Emoji-Visagen und affektierten Rautezeichen reduzieren.
Jetzt werden die jungen Menschen vermutlich sagen: „Ach, was will denn der alte, weiße Mann?“
Oliver Kalkofe: Ja, ich bin ein alter, weißer Mann. Aber ich finde, auch alte weiße Männer haben ein Recht, etwas zu sagen. Ich weise ja auch deutlich auf unsere eigenen Fehler hin. Und ich bin keineswegs der Ansicht, dass früher alles besser war. Heute aber weiß ich: Das Leben dreht sich nun mal nicht nur um die Zeitspanne der nächsten fünf Jahre, die Zukunft dauert länger als man glauben möchte, wenn man noch jünger ist. Wir sollten langfristig denken, uns wieder auf Werte besinnen, die für den Umgang miteinander wichtig sind, statt nur die Egomanie zu befriedigen.
Ein Hoch auf die Gutmenschen?
Oliver Kalkofe: Ich finde, „Gutmensch“ sollte nicht zum Schimpfwort werden. Auch Political Correctness und Wokeness sind im Kern gut. Aufmerksamer zu sein und nachzudenken sind keine schlechten Sachen. Aber manchmal besteht leider die Gefahr, sich im Übereifer für das Gut-Gemeinte selbst zu parodieren. Bei uns in Berlin ist gerade im Gespräch, dass der Chor bei einem Festakt in Udo Lindenbergs Hit „Sonderzug nach Pankow“ das Wort Oberindianer weglässt, weil es als diskriminierend wahrgenommen werden könnte. Das führt zu unnötigen Auseinandersetzungen, denn es handelt sich hier um ein Zitat in einem Kunstwerk. So erreicht man dann leider das genaue Gegenteil des eigentlich Gewollten.
Anderes Thema: Welche Filme Sie grottenschlecht finden, wissen Ihre Fans. Welche empfehlen Sie?
Oliver Kalkofe: Ich habe gerade in einer Pressevorführung „Konklave“ gesehen, ein Thriller über die Papstwahl. Und war fasziniert, in eine fremde Welt einzutauchen, die man überhaupt nicht kennt. Und eigentlich bin ich ja ein totaler Superhelden-Fan, doch davon habe ich mich in letzter Zeit etwas abgewandt, weil sie immer mehr überdreht haben. Doch „Gladiator 2“ könnte wieder ein klassischer historischer Kinofilm sein, da habe ich schon ein paar Ausschnitte gesehen, weil ich eine Gastrolle von Matt Lucas synchronisiert habe.
Oliver Kalkofe: Durchbruch kam 1994 mit der „Mattscheibe“
Oliver Kalkofe, Jahrgang 1965, machte nach dem Abi eine Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondent. Seine Medienkarriere begann er als Radiomoderator, den Durchbruch im TV feierte er mit der Satiresendung „Mattscheibe“, in der er von 1994 bis 2021 bizarre Auswüchse des Programms parodierte. Von 2013 an präsentierte er zusammen mit Peter Rütten in der Reihe „SchleFaZ“ besonders schlechte Filme auf Tele 5. Seit August läuft die Sendung auf Nitro.
In der Comedy-Show „Faking bad“ (ARD) lud er 2024 Kollegen zum Lügen ein. Der mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Satiriker arbeitet auch als Drehbuchautor und Schauspieler („Der Wixxer“). Er ist Zeitschriftenkolumnist, schreibt Hörspiele, synchronisiert Serien, Computerspiele und Trickfilme. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.