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Da ist kein Masterplan ...

Tocotronic stehen seit über 30 Jahren auf der Bühne und  veröffentlichen jetzt das neue Album „Golden Years“. Zeit, Bilanz zu ziehen: Was wurde aus dem „Masterplan“ von einst? (Bild: Noel Richter)

Tocotronic stehen seit über 30 Jahren auf der Bühne und veröffentlichen jetzt das neue Album „Golden Years“. Zeit, Bilanz zu ziehen: Was wurde aus dem „Masterplan“ von einst? (Bild: Noel Richter)

Seit 1993 sind Tocotronic eine feste Größe in der deutschen Indie-Rock-Szene, und nun steht mit „Golden Years“ ihr 14. Studioalbum an. Da stellt sich die Frage, was eigentlich aus der Hymne „Jungs, hier kommt der Masterplan“ (1994) geworden ist. Gibt es über 30 Jahre später noch einen Masterplan? Immerhin geht es auf dem neuen Album um die „Goldenen Jahre“ ...

Seit über 30 Jahren prägen Tocotronic die deutschsprachige Musikszene - mit klugen Texten und stetiger musikalischer Weiterentwicklung. Ihr neues Album „Golden Years“ (14. Februar) ist das wohl intimste ihrer Karriere, geprägt von existenziellen Fragen und der Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit. Im Interview sprechen Dirk von Lowtzow, Jan Müller und Arne Zank über den Trost der Musik, den Einfluss des Älterwerdens und die Frage, ob es einen „Masterplan“ für ihre Zukunft gibt. Ein tiefgehendes Gespräch über Kunst, Leben und den Mut, Unsicherheiten zuzulassen.

teleschau: „Golden Years“ ist ein Album, dass die Hörer sofort packt. Die ersten Akkorde von „Der Tod ist nur ein Traum“ hüllen ein - vertraute Klänge, wie eine sanfte Umarmung. Doch dann setzt der Song einen Stich, konfrontiert mit der unausweichlichen Endlichkeit des Lebens. Ein Moment, in dem selbst die tiefste Verbundenheit mit einem geliebten Menschen nur begrenzten Trost bieten kann. Eindringlich, berührend, intim - dieser Song geht unter die Haut. Und lässt eine Frage zurück: Wie viel von Ihrer eigenen Traurigkeit, Ihrem Schmerz und Ihrer Angst steckt in diesen Tönen?

Arne Zank: Das ist nicht die allereinfachste Frage. Aber das haben wir uns natürlich selbst eingebrockt, weil wir dieses sehr große und schwere Thema „Sterben und Tod“ als Einstieg für das Album gewählt haben. Das war schon eine drastische Entscheidung.

Jan Müller: Dieses Lied mit dem schweren Thema so nach vorne zu stellen, war eine Entscheidung, die irgendwann kam. Zunächst hatten wir die Idee, den Song weiter hinten zu platzieren, wo die Hörerinnen und Hörer schon ein bisschen was erlebt haben mit der Musik. Aber irgendwann beschlossen wir, er müsse ganz vorne sein.

Dirk von Lowtzow: Ich freue mich total über den beschriebenen Eindruck. Da sind viele Worte gefallen, die ich selbst benutzen würde, um das Stück zu charakterisieren oder überhaupt das ganze Album. „Golden Years“ ist auf eine gewisse Art das intimste Album, das wir je gemacht haben, und gleichzeitig das dialogischste. Und zwar in verschiedener Hinsicht. Zum einen im Team durch die Situationen, die die Personen durchleben, oder auch das, was sie von sich geben oder teilen mit den Hörenden. Dadurch, dass Intimität geteilt wird, wird es dialogisch. Das setzt sich fort in anderen Bereichen wie dem Sound. Oder die Lieder stehen im Dialog zu anderen Liedern auf dem Album oder zu anderen Liedern aus unseren anderen Schaffensphasen.

teleschau: Welche Rolle spielt bei dieser neuen Musik das Thema „Trost“?

von Lowtzow: Es ist oft so, dass es eine große tröstende Wirkung hat, Lieder zu schreiben. Musik kann das vielleicht besser als alle anderen Künste. Die Idee hinter „Der Tod ist nur ein Traum“ war, etwas zu machen, das Halt und Trost spendet, aber trotzdem die Zerrissenheit der menschlichen Existenz, diese Ängste oder diese Abgründe akzeptiert und mittransportiert. Also nicht eskapistisch, Schlager, oder pazifizierend im Sinne von „Wir kleistern mal drüber“.

„Golden Years“ befasst sich in vielerlei Hinsicht mit Themen wie Trauer und Abschied - aber als ein Konzeptalbum über den Tod soll die neue Tocotronic-Platte nicht verstanden wissen. (Bild: Noel Richter)

„Golden Years“ befasst sich in vielerlei Hinsicht mit Themen wie Trauer und Abschied - aber als ein Konzeptalbum über den Tod soll die neue Tocotronic-Platte nicht verstanden wissen. (Bild: Noel Richter)

teleschau: Wie die Queen einmal gesagt hat: „Trauer ist der Preis, den wir für die Liebe zahlen.“ Man kann sich ja gar nicht einlassen auf einen anderen Menschen, ohne das zu akzeptieren - irgendwann wird es weh tun.

von Lowtzow: Rein persönlich und biografisch ist es ja so, dass wir nun in einem Alter sind, in dem wir mit dem Thema einfach viel stärker konfrontiert werden - sei es durch Angehörige, aber auch durch Freunde.

teleschau: Da ist die Frage „Wie wir leben wollen“ immer noch gültig.

von Lowtzow: Unsere Alben, die wir über die letzten 30 Jahre gemacht haben, waren immer auch Standortbestimmung. Früher haben wir gesagt, das ist ein bisschen wie öffentlich Tagebuchschreiben. Ganz so tagebuchartig wie in den Anfangsjahren sind unsere Alben zwar nicht mehr, aber ich glaube schon, dass man immer auf das reagiert, was einem widerfährt, und natürlich auch auf die sich ständig ändernde Welt und Gesellschaftslage.

„Kein Konzeptalbum über den Tod“

teleschau: „Bleib am Leben“ - der zweite Song - stemmt sich gegen den unvermeidlichen Abschied. Mit einem eindringlichen Appell hält er sich an der Hoffnung fest, dass es doch ein gemeinsames Weitergehen gibt - irgendwo, irgendwie. Aber am Ende geht es ja doch darum, einen Umgang damit zu finden, was ist. Auch wenn man nicht einverstanden ist mit dem Verlust. Wie kann das gelingen oder wie gelingt es Ihnen, mit dem Thema umzugehen?

von Lowtzow: Wir haben diese zwei Stücke als einen Komplementärkontrast an den Anfang des Albums gesetzt, weil sie miteinander verzahnt sind. „Tod ist nur ein Traum“ wirkt ja sehr ruhig und gedämpft, auch vom Sounddesign her. Das hat etwas Meditatives. „Bleib am Leben“ hat dagegen eine ziemlich euphorische Kraft. Man könnte den Ausspruch in unserer heutigen, unsicheren Zeit auch statt „Tschüss“ unter eine E-Mail schreiben - wie ein Mittel gegen die Apokalypse. Das gibt dem Satz auch gleich einen universellen Anstrich. Gleichzeitig gibt es in dem Lied auch abgründige Passagen. So verbindet sich das mit „Der Tod ist nur ein Traum“ zu einer Einheit.

teleschau: „Bleib am Leben“ hat auch etwas Spielerisches. Fast wie eine kindliche, unschuldige Idee.

von Lowtzow: Kindlich finde ich irgendwie immer gut. Ich empfinde das so mit steigendem Alter. Mit Mitte 20 oder Anfang 30 hätte ich das vielleicht von mir gewiesen, weil man als junger Musiker nicht infantilisiert werden möchte. Je älter ich werde, desto faszinierender finde ich aber den kindlichen Blick auf die Welt. Dieses kindliche Staunen und der Versuch, sich so auszudrücken, dass Kinder die Welt verstehen können.

Dirk von Lowtzow weiß, dass „Golden Years“ anders in die Welt hineinschallt als seinerzeit etwa das „Rote Album“ von Tocotronic: „Die Gegenwart von 2025 ist eine ganz andere als die von 2015.“ (Bild: Getty Images/Hannes Magerstaedt)

Dirk von Lowtzow weiß, dass „Golden Years“ anders in die Welt hineinschallt als seinerzeit etwa das „Rote Album“ von Tocotronic: „Die Gegenwart von 2025 ist eine ganz andere als die von 2015.“ (Bild: Getty Images/Hannes Magerstaedt)

Zank: Das ist ja auch erst einmal etwas Unmittelbares, was eine Direktheit besitzt.

teleschau: Das Schöne am Altern ist ja auch, dass man sich immer weniger Gedanken machen muss, was andere über einen denken ... (alle lachen)

Zank: Vielleicht kommt es dann ab einem gewissen Alter durch die Hintertür, weil dann vieles an Scham oder Gehemmtheiten nicht mehr so stark ist.

teleschau: Sie setzen dem Tod Nähe und Intimität entgegen. Vielleicht auch Lebendigkeit und Sexualität. Kann das den Schmerz angesichts des Todes lindern?

Zank: Es ist auf jeden Fall das Gegenteil von dem, was der Tod an Depression und Trauer auslösen kann. Lebendigkeit ist das Gegenmittel. Und Sexualität gehört sicher zu dem, was man Lebenslust nennen würde.

Müller: Das sind alles sehr große Fragen, aber ich glaube, dem Tod kann man erst mal nur Trauer entgegensetzen. Wichtig ist mir, dass es zwar diese beiden Lieder auf dem Album gibt. Aber das ist jetzt kein Konzeptalbum über den Tod - obwohl er sicherlich eine prominente Rolle spielt -, weil wir die beiden Lieder an den Anfang des Albums gestellt haben.

„Inzwischen weiß man seine Eigenheiten mehr zu schätzen“

teleschau: Man hat beim Hören aber doch den Eindruck, dass sich das Thema Tod wie ein roter Faden durch das Album zieht. Es taucht erneut in „Ein Rockstar stirbt zum zweiten Mal“ auf und findet seinen Abschluss im letzten Track „Ich schreibe jeden Tag einen neuen Song“. Darin geht es ebenfalls um die Vergänglichkeit, die Zeit, die bleibt, und die Angst vor dem Tod.

von Lowtzow: Das stimmt, das ist auf jeden Fall die Klammer zum ersten Song, auch musikalisch, weil es beides Folk-Songs sind. Ich schreibe ja oft die Songs für die Band zu Hause und mit sehr kleinem Besteck - also mit Akustikgitarre, ohne Computer. Also so etwas wie Stubenmusik. Mit steigendem Alter interessiert mich eher das traditionelle Songwriting. Das, was gemeinhin als „Great American Songbook“ bezeichnet wird, also Folk-Songs, aber auch Blues und derlei mehr. Darin geht es oft um tiefe Erfahrungen wie Tod, Leben, Einsamkeit, Heimweh. Manchmal kann die Begeisterung für eine bestimmte Form die Inhalte generieren. Wenn man die traditionellen Formen ein bisschen aufbricht oder Avantgarde-Techniken wie Geräusche und Noise hineinfließen lässt, kommt man - wir sind wieder bei den Kindern - zu einer Simplifizierung, also einer Verdichtung oder Vereinfachung durch Reduktion.

Jan Müller (links), Dirk von Lowtzow (Mitte) und Arne Zank sind als Tocotronic seit vielen Jahren eine feste größe in der deutschen Musikszene. (Bild: Noel Richter)

Jan Müller (links), Dirk von Lowtzow (Mitte) und Arne Zank sind als Tocotronic seit vielen Jahren eine feste größe in der deutschen Musikszene. (Bild: Noel Richter)

teleschau: Gleichzeitig hat das Album etwas sehr Vertrautes. Wie kultivieren Sie diesen absoluten Wiedererkennungswert?

Müller: Das ist erst mal zwangsläufig so, dass eine Band wie wir, die schon so lange zusammen ist, einen eigenen Band-Sound hat. Wir müssten schon sehr eifrig dagegen arbeiten, um gar nicht mehr nach uns zu klingen. Ich finde schön, dass wir diesen Sound haben.

Zank: Vielleicht ist das auch eine Art Sound-DNA, und das weiß diese Band inzwischen zu schätzen. In den ersten Jahren gab es oft ein Ringen damit. Ich erinnere mich an das Bestreben, sich neu zu erfinden, und an einen aufwühlenden Kampf, auch gegen sich selbst, gegen Zuschreibungen. Inzwischen weiß man seine Eigenheiten mehr zu schätzen und auch, dass sie ganz gut sind und sie einen Wert haben. Und dennoch guckt man natürlich immer weiter.

von Lowtzow: Wir haben auch damals ganz stark versucht, gegen das eigene Händchen zu arbeiten. Wir sind seit 30 Jahren ein ziemlich loyales Konstrukt als Band und auch mit den Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, zum Beispiel mit unserem Produzenten Moses Schneider. Dann gibt es aber auch Parameter, die man verändern muss. Das hat bei diesem Album eine große Rolle gespielt. Wir haben mit einem jungen Mixer zusammengearbeitet: Max Rieger, Sänger und Gitarrist der Band Die Nerven und mittlerweile auch Produzent. Weil wir vorhin über Intimität, Wärme und Direktheit gesprochen haben: Max hat dem Sound eine Form von Ergriffenheit eingeschrieben, die mich selbst tief berührt hat. Natürlich spielen auch die Songs selbst, unsere Art, sie zu interpretieren, und die Art, wie Moses Schneider sie aufgenommen und produziert hat, eine entscheidende Rolle. Doch es gibt eine Dimension darin, die uns selbst überrascht hat.

„Die Gegenwart von 2025 ist eine ganz andere als die von 2015“

teleschau: Wenn man den Verlauf Ihrer Alben betrachtet, empfindet man diese Ergriffenheit besonders intensiv ab „Tocotronic“, auch bekannt als „Rotes Album“. Hat das auch damit zu tun, dass ab dieser Platte der Selbstoffenbarungsaspekt in den Texten stärker wurde? Dass Sie als Menschen präsenter wurden?

Müller: Ab dem Album „K.O.O.K.“ kamen abstraktere Aspekte hinzu, die sich steigerten bis zum Album „Wie wir leben wollen“. Das „Rote Album“ war ein Bruch, wieder hin zu etwas Unmittelbarem. So gab es über die Jahre immer wieder Wellenbewegungen.

teleschau: Trotz aufblitzender Hoffnung trägt „Golden Years“ eine spürbare Melancholie in sich, vielleicht sogar eine gewisse Düsternis. Im Gegensatz zum „Roten Album“, das eine Offenheit vermittelt, in der noch nichts verloren ist, schwingt hier das Gefühl mit, dass etwas unwiederbringlich vergeht.

von Lowtzow: Ich finde eher, dass es einen traurigen Aspekt hat. Die Gegenwart von 2025 ist eine ganz andere als die von 2015, als das „Rote Album“ herauskam. Also um einiges hoffnungsloser. Auch wir haben uns verändert und sind zehn Jahre älter. Die früher abstraktere, theoriegesättigte Textsprache wurde zu einer autobiografischeren Textform, das war schon ein Paradigmenwechsel. Das ist eine andere Stimmung, die da transportiert wird. Gleichwohl finde ich das Album sehr offen und nicht so von der eigenen Vergangenheit beschwert. Denn das gibt es ja auch manchmal: Man hat das Gefühl, dass man so schwer an der eigenen Historie trägt. Beim neuen Album empfinde ich das überhaupt nicht. Ich finde, es ist ziemlich frisch auf seine Art, obwohl wir oft traurige Themen ansprechen.

„Es gibt so einen reaktionären Backlash, dem man sich schlecht entziehen kann“

Tocotronic arbeiteten früher teilweise gegen den eigenen Sound, heute nehmen sie ihre ganz eigene Klang-DNA als etwas Positives: „Inzwischen weiß man seine Eigenheiten mehr zu schätzen.“ (Bild: Noel Richter)

Tocotronic arbeiteten früher teilweise gegen den eigenen Sound, heute nehmen sie ihre ganz eigene Klang-DNA als etwas Positives: „Inzwischen weiß man seine Eigenheiten mehr zu schätzen.“ (Bild: Noel Richter)

teleschau: Das Album trägt auch eine spürbar politische Perspektive in sich. All das, was über Jahrzehnte an Freiheit erkämpft wurde - Demokratie, Migration, Frauenbewegung, LGBTQ -, scheint plötzlich auf der Kippe zu stehen. Eine fragile Spannung, ein Ringen um das Erreichte, scheint als Grundstimmung mitzuschwingen.

von Lowtzow: Ja, es gibt so einen reaktionären Backlash, dem man sich schlecht entziehen kann. Als am 1. Mai 2015 das „Rote Album“ veröffentlicht wurde, war „Ich öffne mich“ sozusagen die Losung. Kurz danach kam es zur Nichtschließung der Grenzen für Geflüchtete aus Syrien und dem Irak. Unseren Alben wird oft eine seismografische Kraft unterstellt - und ich finde es auch irgendwie schmeichelhaft. Oder eine Funktion, gesellschaftliche Stimmungen wie ein Echolot zu beschreiben. Aber so ganz genau kann man es dann doch erst im Nachhinein sehen.

Müller: Man muss aber auch sehen: Die ganzen Konflikte waren ja schon absehbar. Die Geflüchteten kamen ja nicht ohne Grund. Der Krieg gegen die Ukraine hatte schon ein Jahr zuvor begonnen, Donald Trump stand bereits in den Startlöchern. Es gab keine heile Welt. Deshalb würde ich mich heute, wo man echt manchmal keine Lust hat, morgens das Radio einzuschalten oder es ganz bewusst nicht tut, gegen dieses Düstere verwehren. Denn so nehme ich das Album nicht wahr. „Düster“ bedeutet für mich die Abwesenheit von Humor und Leichtigkeit.

teleschau: Wie sehen Sie denn die allgemeine Situation?

Müller: Es ist gerade nicht so leicht, optimistisch zu sein.

Zank: Bei mir ändert sich das von Tag zu Tag. Was Jan beschreibt, habe ich auch manchmal: dass man aus schlechtem Gewissen eine News-Diät einlegt und sich dann aber auch wieder geradezu reinsuchtet, weil einen manche Themen doch packen. Und oft wird einem erst mit gewissem Abstand klar, in welche Situation so eine Platte hineinveröffentlicht wurde.

„Manchmal arbeiten wir gar nicht so, dass wir uns fragen, was die Intention unseres Tuns ist“

teleschau: Mit „Golden Years“ haben Sie einen Albumtitel gewählt, der gar nicht erst in völlige Düsternis abgleiten kann, weil er eine spannende Ambivalenz in sich trägt. Einerseits klingt er nach strahlenden, glücklichen Momenten, nach idealisierten Lebensphasen voller Erfüllung. Andererseits schwingt eine bittersüße Vergänglichkeit mit - der leise Schmerz, dass nichts ewig bleibt. Man fühlt sich ein wenig an David Bowie erinnert. Wie ist der Titel für Sie gemeint?

„Golden Years“, das inzwischen 14. Studioalbum von Tocotronic, ist ab 14. Februar erhältlich. (Bild: Epic Local/Sony Music)

„Golden Years“, das inzwischen 14. Studioalbum von Tocotronic, ist ab 14. Februar erhältlich. (Bild: Epic Local/Sony Music)

von Lowtzow: Ich glaube, wir haben den Titel deshalb gewählt, weil er die größtmögliche Offenheit hat. Mit zunehmendem Alter interessieren uns geschlossene Systeme nicht mehr so stark. Man kann den Titel als einen goldenen Hoffnungsschimmer in dunkler Zeit lesen und ein bisschen lakonisch elegant in Bezug auf das eigene Älterwerden. Man kann ihn aber auch als fast schon ein bisschen sarkastisch der Gegenwart gegenüber lesen. Und ja, auch als Hommage an David Bowie. Ich persönlich mag die Offenheit, die der Titel ausstrahlt.

Müller: Als Band besprechen wir das alles nicht so strategisch. Zum Beispiel konnten wir uns schnell auf diesen Titel einigen, ohne dass ich mir je darüber Gedanken gemacht habe, wie wir das eigentlich meinen. Manchmal arbeiten wir gar nicht so, dass wir uns fragen, was die Intention unseres Tuns ist.

Zank: Beim Vorgängeralbum „Nie wieder Krieg“ haben wir sehr viel darüber debattiert, welchen Titel wir nehmen. Diesmal war das ganz klar. Das war schön. Dem wohnt ja so eine Magie, eine Poesie inne, wie wenn das letzte Puzzleteil genau in das freie Feld hineinpasst.

von Lowtzow: Manchmal gibt es auch Zufälle. Bei mir im Bücherregal steht ein Buch, das mir sehr viel bedeutet. Es heißt „Golden Years“ und handelt von queerer Subkultur und der Avantgarde der 60er- und 70er-Jahre - und unbewusst fällt da morgens, wenn ich vom Bett aufstehe und ins Wohnzimmer gehe, mein Blick drauf.

Müller: In der Vergangenheit haben wir ja auch oft mit Dekaden gespielt und hatten in der Pandemiezeit auch Konzertreihen wie die „Hamburg Years“ oder „Berlin Years“, das kam auch noch dazu, aber das alles war uns gar nicht so bewusst.

Vertrauen in die Unsicherheit

teleschau: Im fortgeschrittenen Alter der „Golden Years“ fragen sich einige: Was ist denn aus Ihrem „Masterplan“ von 1996 geworden? Die einen kaufen sich einen Bauernhof, die anderen wandern aus. Sprechen Sie als Band oder persönlich über einen Masterplan?

Müller: Nee, tun wir nicht.

teleschau: Das klingt sehr entspannt.

Müller: Und was sollen wir machen außer Musik und Alben.

teleschau: Es gibt also gar keinen Masterplan?

von Lowtzow: Das ist eine gute Frage, darüber haben wir aber ehrlich gesagt noch nie so nachgedacht.

Zank: Man vertraut in diese Unsicherheit letztlich hinein, wie wir zu dritt angefangen haben. Ich glaube, dass man eine Gewohnheit entwickelt, wirklich nur kurzfristig das nächste Album anzuvisieren. Sonst würden wir hier nicht sitzen. Wenn wir uns Pläne gemacht hätten, dann wären wir, glaube ich, verrückt geworden vor Angst oder vor Hochmut.

teleschau: Also wir sehen Sie noch in 20 Jahren auf der Bühne? Ist das der Masterplan?

Alle drei: Das wissen wir nicht. (tsch)