Fünffachmörder statt Festtagsfreude: Kurz vor Weihnachten erzählt Sky in einem Dokumentarfilm die hollywoodreife Mord- und Fluchtgeschichte des Norman Franz. Seit 25 Jahren fehlt jede Spur von ihm - auch seiner Frau und seinem Sohn, die nun ihre Geschichte erzählen.
Deutscher Fünffachmörder seit 25 Jahren untergetauchtJetzt findet Journalist in Sky-Film neue Spur
Fünf Morde, zwei Gefängnisausbrüche und 25 Jahre auf der Flucht stehen in der Vita von Norman Franz. Der Dortmunder gehört zu den meistgesuchten Verbrechern der deutschen Kriminalgeschichte.
Mit dem Dokumentarfilm „Das Phantom - Auf der Jagd nach Norman Franz“ wirft Sky ab 19. Dezember einen Blick auf die so brutale wie unglaubliche Geschichte des Schwerkriminellen. „Wer in der Lage ist, mehrere Menschen umzubringen, der muss eine gewisse Kaltblütigkeit in sich tragen“, urteilt Mike F., der Sohn von Franz.
Zwischen skrupellos und einfühlsam: So tickte der Verbrecher Norman Franz
Bewusst kennengelernt hat der heute 26-Jährige seinen Vater nie. Zur Welt kam er 1998 in Portugal. Zu diesem Zeitpunkt hatte Norman Franz bereits fünf Morde begangen und war erfolgreich aus einem deutschen Gefängnis ausgebrochen.
„Es war die schönste Zeit meines Lebens“, urteilt Sandra C., die Ehefrau von Norman Franz, in dem 90-Minüter. „Sie haben versucht, sich das Leben zu schaffen, das sie in ihrer Kindheit nie hatten“, bestätigt der portugiesische Investigativjournalist João Nuno Assunção.
Wie der spannende True-Crime-Film skizziert, wächst Franz in einem schwierigen Umfeld in Dortmund auf. Sein Vater stirbt bereits früh, seine Mutter und Normans Stiefvater sind beide Alkoholiker. „Eigentlich katastrophale“ Lebensverhältnisse seien es gewesen, schildert es ein einstiger Freund Franz' im Film - wenn auch anonym.
Zu Beginn der 90er-Jahre gehört er neben Franz einer Gang an. Dank Raubüberfällen, Schmuggel und Markenpiraterie hätten sie „fünf Jahre lang in Saus und Braus gelebt“. Erwischt habe man sie nie, ein richtiger Beruf sei auch deswegen nicht infrage gekommen: „Wir konnten uns nicht vorstellen, bis zum 65. Lebensjahr zu arbeiten.“
Norman Franz gelang hollywoodreife Flucht aus dem Gefängnis
Der ausufernde Lebensstil samt teurem Auto und viel Geld übt auch auf Sandra C. eine Anziehung aus - aber nicht nur das. „Er war der erste Mensch, der mir das Gefühl gegeben hat, dass ich was ganz Besonderes bin“, beschreibt sie vor der Kamera, wie „einfühlsam“ und „empathisch“ Norman ihr gegenüber gewesen sei.
Heinz G., der seit 2009 mit der Zielfahndung nach Franz beauftragt ist, bestätigt: „Er ist in gewissen Bereichen ein freundlicher Mensch, hat aber eine absolut dunkle Seite. Er ist skrupellos, berechnend.“ Um sich finanziell zu bereichern, würde Franz „über Leichen gehen“.
Der erste Mord geht 1995 auf Franz' Kappe. Einer Hinrichtung gleich besiegelt er nach einem Handgranaten-Anschlag auf eine rivalisierende Gang das Ende eines polnischen Widersachers per Kopfschuss. Wenige Monate später wird er zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. „Ich wusste, dass es nicht lange dauern wird und wir wieder zusammen sein werden“, hält ihm Sandra C. trotz des Verbrechens die Treue - und heiratet ihn sogar hinter Gittern. Sie ist es auch, die ihrem Liebsten 1997 Sägeblätter ins Gefängnis schmuggelt und so seinen hollywoodreifen Ausbruch aus der JVA überhaupt ermöglicht.
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Wie genau Norman der Ausbruch gelang, weiß Sandra C. bis heute nicht genau: „Für ein bisschen Geld hat ja schon jemand mitgeholfen.“ Ehe das Paar sich im Anschluss nach Portugal absetzt, überfallen sie zunächst noch einen Geldtransport und eine Bankfiliale. Die Bilanz: 500.000 DM und vier Tote. „Es waren Männer aus dem normalen Leben, deren Leben er ausgelöscht hat, ausschließlich aus Habgier“, bringt es der Dortmunder Oberstaatsanwalt Carsten Dombert auf den Punkt. Zwar drückt Norman Franz den Abzug, doch auch Sandra C. ist vor Ort. „Den Anblick werde ich nie vergessen“, denkt sie im Film an die Leichen zurück. Sie sei damals „geschockt“ und „völlig fertig“ gewesen.
Frau von Fünffachmörder dachte in Gefängnis an Selbstmord
Trotzdem: In Portugal leben sie zunächst ein glückliches Familienleben zu dritt - bis Norman Franz bei einer Verkehrskontrolle auffällig wird. Ein Abgleich seines Kennzeichens - den Fluchtwagen verkaufte er nicht - stellt dann die Verbindung zu seinen Verbrechen her, es folgt die Verhaftung auf dem Supermarktparkplatz. „Hätte er das Auto beseitigt, wäre er noch hier und ein freier Mann“, vermutet Marques Pereira von der portugiesischen Militärpolizei. Auch Sandra C. wird verhaftet und kommt samt Sohn Mike ins Gefängnis: „Wir haben uns beide angeguckt und wussten, jetzt ist alles vorbei.“
Lange sitzt Norman Franz aber auch in Portugal nicht im Gefängnis. Während Sandra im Frauengefängnis unter Selbstmordgedanken (“Ich hab mich nicht getraut, ich war zu feige - zum Glück“) leidet, baut sich Norman rasch ein Netzwerk auf, lernt Portugiesisch. 1999 flüchtet er erneut aus dem Gefängnis - und ist seither unauffindbar untergetaucht. Sandra wird wenig später nach Deutschland ausgeliefert, wo sie zu mehr als sechs Jahren Gefängnis verurteilt wird: „Ich war die Einzige, die übriggeblieben ist. Alle sind auf mich eingefallen.“
Dubiose Anwältin gerät ins Ermittlervisier: „Für Geld hat sie alles gemacht“
An dieser Stelle hält der Film eine Überraschung parat und weicht von dem chronologisch geschilderten True-Crime-Fall ab. Journalist João Nuno Assunção gelang es nach Jahrzehnten durch aufwendige Recherchen tatsächlich, eine neue Spur von Norman Franz nach Südafrika aufzutun. „Jemand hat auf ihn gewartet. Ich weiß, wer es war, aber ich sage es nicht“, verrät etwa Franz' Gefängnisgenosse in Portugal, Paulo. Er ist es auch, der Assunçãos Vermutungen bestätigt, Franz habe sich nach Südafrika abgesetzt.
Trotz der neuen Hinweise auf Franz' möglichen Aufenthaltsort bleiben einige Fragen offen. Etwa nach der dubiosen Anwältin Matilde, die während seiner Zeit in Portugal zur Vertrauten von Franz wurde, ihre Hände im Film aber in Unschuld wäscht: „Da war ein Mensch, der meine Hilfe benötigte. Ich war für ihn da.“ Sandra C. hingegen sei die Anwältin schon damals suspekt gewesen: „Für Geld hat sie alles gemacht.“
So geht die Suche nach Norman Franz weiter. Hilfe von Sandra C., die jeden Kontakt zu ihrem Mann in den letzten 25 Jahren abstreitet, dürfen sich die Behörden trotz eines Hauchs von Verbitterung (“Einer musste ja der Doofe sein, der sich so hingibt für ihn, wie ich das getan habe“) wohl nicht erhoffen. Sollte ihr Mann plötzlich vor ihrer Tür stehen, würde sie ihn „leise reinbitten, damit es keiner mitbekommt“, vermutet sie im Sky-Film: „Mein Herz würde auf 180 gehen, wenn ich nicht sogar in Ohnmacht fallen würde.“ (tsch)