Was halten Sie vom Dry January? - Umfragen zufolge verzichtet im ersten Monat des Jahres fast jeder Fünfte auf Alkohol. Aber was bringt so etwas? Und wie gefährlich ist der regelmäßige Rausch eigentlich wirklich? Eckart von Hirschhausen spricht im Interview Klartext über die „Volksdroge Nummer eins“ und sagt, was sie mit uns und der Gesellschaft macht.
„Jeder Schluck schadet!“Eckart von Hirschhausen räumt mit Trink-Mythen auf
Nach „Hirschhausen und die Abnehmspritze“, Filmen über ADHS und über Corona geht Eckart von Hirschhausen nun erneut einem brisanten Gesundheitsthema nach, über das gerade im Januar viele sprechen: In der Zeit, in der die guten Vorsätze auf dem Prüfstand stehen, rückt der TV-Doc den Alkohol in den Fokus.
„Denn auf eine kuriose Art ist Alkohol die einzige Droge, bei der man sich entschuldigen muss, wenn man sie nicht konsumieren will“, sagt Eckart von Hirschhausen im Interview. In seiner neuen Dokumentation „Hirschhausen und die Macht des Alkohols“ beleuchtet der promovierte Mediziner die gesellschaftliche, die gesundheitliche, aber auch die persönliche Dimension des Alkoholkonsums. Dabei hinterfragt er den sorglosen Umgang mit der Substanz, die oft verharmlost wird, und räumt mit Mythen auf, die sich hartnäckig halten. Das macht er auf seine eigene Art, versteht sich:
Hirschhausen blickt mit seinem Wissen als Arzt und Wissenschaftsjournalist auf das Geschehen, geht ohne festes Drehbuch los und zeigt den Zuschauern hinter den Kulissen allgemeinverständlich auf, wo die Probleme liegen: „Und ich wette eine Kiste Bier, dass jeder Zuschauer sich ein bisschen wiedererkennt - also alkoholfreies Bier! Das schmeckt inzwischen richtig gut!“
Die Dokumentation „Hirschhausen und die Macht des Alkohols“ ist am Montag, 27. Januar, um 20.15 Uhr, im Ersten zu sehen und steht bereits ab Freitag, 24. Januar, in der ARD-Mediathek bereit.
teleschau: Ihrer Meinung nach ist es keine gute Idee, Alkohol zu trinken. Dabei sprechen ihm manche sogar gesundheitsfördernde Wirkung zu, früher wurde der Alkohol teilweise als Allheilmittel gehandelt ...
Eckart von Hirschhausen: Ich habe auch gerne geglaubt, dass Rotwein vor Herzinfarkt schützt. Ist aber leider Quatsch. Die aktuellen Studien sagen eindeutig das Gegenteil. Vor wenigen Monaten sind die neuen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung erschienen. Demnach gibt es keinen risikofreien Alkoholgenuss. Jeder Schluck schadet. Deshalb mache ich mich auf den Weg durch ganz Deutschland. Weil ich nicht den Eindruck habe, dass sich das schon überall rumgesprochen hat.
teleschau: Das heißt, sie trinken gar keinen Alkohol?
Eckart von Hirschhausen: Ich trinke seit diesem Film viel weniger, mache unter der Woche Pause und im Januar den ganzen Monat. Und wer das für sich mal ausprobieren möchte, hat dafür ja elf weitere Monate im Jahr zur Auswahl. Muss ja nicht gleich zu Karneval sein oder für die Menschen in Bayern der Oktober.
teleschau: Im Allgemeinen wird Bier mit Feierabend in Verbindung gebracht, durchaus auch mit Brauchtum. Ist dieser traditionsorientierte Umgang mit Alkohol schon immer völlig falsch gewesen?
Eckart von Hirschhausen: Da liefert die Doku gute Beispiele: Auf der Wiesn waren sicher schon viele, aber wir starten direkt in einem eher unbekannten Teil vom Oktoberfest - bei der notärztlichen Versorgung. Und so viel darf ich verraten: Es ist nicht alles schön, was man da sieht. Da bekommt das Wort „Bierleiche“ eine konkrete Bedeutung. Trinken, bis der Arzt kommt! Ich fragte den langjährigen diensthabenden „Wiesen-Doc“, ob ihn noch etwas schocken kann. Und er muss nicht lange überlegen und sagt schlicht: „Nein.“
„Gesoffen wird in jeder Gesellschaftsschicht“
teleschau: Gibt es nicht auch ein Recht auf Rausch?
Eckart von Hirschhausen: Ja! Und noch ein anderes wichtiges Recht - das auf körperliche Unversehrtheit! So wie Rauchen andere Menschen passiv schädigt, schädigt Alkohol viele andere mit. Das geht vor der Geburt los, wenn Babys im Mutterbauch zum passiv Trinken gezwungen sind und lebenslang geschädigt werden. In der Doku sprechen wir mit einem Mann, dem ein besoffener Autofahrer das Bein zertrümmert hat. So wie uns der Nichtraucherschutz gelungen ist, muss es jetzt endlich sinnvolle gesetzliche Rahmenbedingungen geben für den Schutz vor Alkohol.
teleschau: Wie schneidet Deutschland in puncto Alkoholkonsum im Vergleich zu anderen Ländern ab?
Eckart von Hirschhausen: Deutschland ist beim problematischen Trinken weltweit unter den Top Ten. Gleichzeitig ist Alkohol nirgendwo so billig, so leicht und ständig verfügbar wie bei uns. Wir reden gerne von Genuss, von Kulturgut von freier Entscheidung. Aber wehe, wenn jemand abhängig wird, dann heißt es: „selbst schuld.“
teleschau: Beim Trinken gibt es auch keinen Unterschied zwischen Reich und Arm, oder?
Eckart von Hirschhausen: Gesoffen wird in jeder Gesellschaftsschicht. In der Upper Class sieht man es nur weniger. Dem Suchtgedächtnis im Hirn ist es völlig egal, ob deine Weinflasche zwei Euro kostet oder 200 Euro.
„In der jüngeren Generation trinken Frauen selbstbewusster“
teleschau: Es gab Zeiten, da hat sogar Meister Eders Pumuckl Bier getrunken. Sollte Alkohol Ihrer Meinung nach in TV und Werbung überhaupt erscheinen dürfen?
Eckart von Hirschhausen: Es wird 200-mal mehr Geld für Werbung und Verführung ausgegeben als für die Aufklärung. Es gibt klare Erfolgsgeschichten aus anderen Ländern: Steuern rauf, Verfügbarkeit runter, und kein Marketing für etwas, was in unserer Gesellschaft Schäden von über 60 Milliarden Euro verursacht - und unendlich viel menschliches Leid.
teleschau: Trinken Frauen eigentlich anders als Männer?
Eckart von Hirschhausen: Ja! Männer trinken am häufigsten, um gesellig zu sein, um mit anderen in Kontakt zu treten. Das machen Frauen auch, aber im Gegensatz zu Männern trinken sie, um Stress oder Ängste oder depressive Symptome zu betäuben. In der jüngeren Generation trinken Frauen selbstbewusster, als Zeichen der Emanzipation nach dem Motto: „Was die Kerle können, können wir auch.“
teleschau: Ändert sich das in der jüngeren Generation?
Eckart von Hirschhausen: Hier gibt aber einen anderen spannenden Trend. In der Generation der heute 20- bis 30-Jährigen trinkt ungefähr ein Drittel gar keinen Alkohol mehr. Auch mehr und mehr Erwachsenen sagen, ich brauch’ gar keinen Alkohol in meinem Leben. Nicht aus Verzicht, sondern weil es die Lebensqualität erhöht.
teleschau: Bei Erwachsenen ist es trotz statistischer Zahlenwerte schwierig, wirklich durchzudringen und Bewusstsein für die gesundheitsschädliche Wirkung von Alkohol zu wecken. Wie kann man den Menschen die Gefahren begreiflich machen, wenn auf den Konsum keine direkt erkennbaren Schäden folgen? Zunächst scheint ja auch gar nichts zu passieren, wenn man vielleicht mal einen etwas heftigeren Rausch hat ...
Eckart von Hirschhausen: Stimmt. Was mich auch überrascht hat, war, dass über 80 Prozent der Abhängigen keine Entzugserscheinungen haben, und denken: „So schlimm ist es ja bei mir nicht.“ Rausch, Singen, Musik machen, Tanzen, Ekstase gibt es in allen Kulturen der Welt, zu allen Zeiten. Es tut gut, ab und an die Sau rauszulassen, gerade in belastenden Zeiten wie diesen - als Gegenstück zum Alltag. Wenn Alkohol aber den Alltag bestimmt, ist das kein Grund mehr zu feiern, sondern sich Hilfe zu suchen. Die Therapien sind viel wirksamer geworden, auch das zeigen wir im Film.
teleschau: Wie reagieren Sie inzwischen auf witzig gemeinte Phrasen wie „Sieben Bier sind auch ein Schnitzel“?
Eckart von Hirschhausen: Ich sage, dass ich auch nicht jeden Tag ein Schnitzel brauche.
teleschau: Ein Leben ohne Alkohol könnte bei manchen die Angst vor Langeweile wecken. Wie würde sich die Welt oder das menschliche Miteinander Ihrer Meinung nach verändern, wenn niemand mehr Alkohol trinken würde?
Eckart von Hirschhausen: Gegenfrage: Wie viele Menschen kennen Sie, die glauben, dass sie interessanter werden durch Alkohol? Und wie viele werden es wirklich? (tsch)