Gefeierter Showman, verkannter Künstler? Screamin' Jay Hawkins, der vor 25 Jahren in der Nähe von Paris starb, schrieb mit „I Put A Spell On You“ Rockgeschichte. Am Ende hat er damit einen Fluch auf sich selbst gelegt.
Eigentlich wollte er Opern singenZum 25. Todestag von Screamin' Jay Hawkins
Amerika um 1956. Bill Haleys „Rock Around The Clock“ ist zwei Jahre alt. Vor Kurzem haben auch Chuck Berry, Elvis Presley, Little Richard und Jerry Lee Lewis die Bühne betreten. Die Rock'n'Roll-Revolution ist gerade erst angelaufen. Und dann wird irgendwo ein Sarg auf die Bühne geschoben. Ein schwarzer Mann mit langem Mantel steigt heraus, greift nach einem Stock mit einem rauchenden Totenschädel am Ende, hängt sich eine Gummischlange um den Hals, groovt sich ein. Und beginnt dann, schnaubend und kreischend und mit weit aufgerissenen Augen, zu singen: „I put a spell on you ...“ - Mit diesem einen Stück schrieb Screamin' Jay Hawkins, der am 12. Februar 2000 in der Nähe von Paris starb, Geschichte. Dieser eine verfluchte Song, den er nicht wieder loswurde ...
Eigentlich wollte er ja Opern singen. Im Juli 1929 in Cleveland, Ohio, geboren, lernte Jalacy Hawkins schon früh, klassisches Klavier zu spielen. Gleichzeitig begann er, sich als Sänger zu üben. Der italienische Tenor Enrico Caruso sei damals eines seiner größten Vorbilder gewesen, erzählte Hawkins später. Doch aus seiner erhofften Karriere als Opernstar wurde nichts.
Hawkins war in jungen Jahren ein guter Boxer, angeblich sogar mal Mittelgewichtschampion in Alaska. Und er war bei der Armee. Hawkins berichtete, im Zweiten Weltkrieg und im Koreakrieg Feinde getötet zu haben und einmal in Kriegsgefangenschaft geraten zu sein - einigermaßen verlässlich überliefert ist lediglich, dass er irgendwo im Pazifischen Ozean als Entertainer die US-Soldaten unterhielt. Etwas geflunkert hat er wohl auch mit der Behauptung, in Yale sowie an einem Konservatorium in Cincinnati eingeschrieben gewesen zu sein. Ein bisschen künstlicher Nebel, ein bisschen Mythos und Legende, das gehörte bei Jalacy Hawkins immer dazu. Umso mehr, nachdem er Mitte der 50er als fast schon gescheiterter Blues-Musiker zu Screamin' Jay Hawkins wurde.
„I Put A Spell On You“ sollte eine romantische Ballade werden
Eine einzige unheilvolle Nacht war, wenn man all den Erzählungen glaubt, wegweisend für die spätere Karriere. Ende 1955 fand sich Hawkins, damals offenbar schon ein ziemlicher Exzentriker, in einem Tonstudio ein, um für die Plattenfirma Grand Records seinen neuen Song „I Put A Spell On You“ aufzunehmen. Der Titel war als romantische Ballade angelegt. Doch es kam anders. Hawkins und seine Mitmusiker sollen sich in jener Nacht bis an den Rand der Besinnungslosigkeit mit Alkohol zugeschüttet haben. Was sie dabei am Ende einspielten: kein Schmuse-Blues, sondern zweieinhalb gotteslästerliche Minuten mit Gegrunze, Flüchen und wildem Gekreisch auf einem unwiderstehlichen Dreivierteltakt - es muss damals wie echte Teufelsmusik geklungen haben. Der Geist war aus der Flasche.
Im September 1956 nahm Hawkins für OKeh Records eine weitere, ähnlich dämonische Fassung seines Songs auf (diese Version von „I Put A Spell On You“ ist bis heute die bekannteste). Kurz darauf überredete der bekannte Discjockey Alan Freed ihn für 300 Dollar, bei einem Auftritt aus einem Sarg zu klettern. Nach und nach baute Hawkins immer mehr Gruselkabinett-Elemente in seine Show ein und nahm weitere Lieder auf, die von bösem Zauber oder auch mal von Kannibalismus handelten. Mit Pyrotechnik, klappernden Skeletten und ausgefallenen Kostümen entwickelte Screamin' Jay eine Kunstfigur zwischen Voodoo-Priester und schwarzem Vincent Price. Elvis konnte mit den Hüften wackeln, wie er wollte, und Jerry Lee Lewis noch so brutal auf sein Klavier eindreschen - gegen Screamin' Jay Hawkins wirkten seine Zeitgenossen alle ziemlich harmlos.
„I Put A Spell On You“ öffnete für Hawkins viele Türen. Er trat mehrfach im Fernsehen auf, stand später oft auf europäischen Festivalbühnen und noch später, im Herbst seiner Karriere, sogar für Jim Jarmusch vor der Kamera. Der Indie-Kultregisseur integrierte Hawkins' Musik in den Soundtrack zu seinem Film „Stranger Than Paradise“ (1983) und besetzte den Sänger dann auch noch für eine Nebenrolle in „Mystery Train“ (1989). Durch „I Put A Spell On You“ wurden aber auch Türen zugeknallt, die für Hawkins' auf ewig verschlossen blieben.
„Wenn ich die Wahl hätte, wäre ich lieber nicht Screamin' Jay Hawkins“
Hunderte, wahrscheinlich tausende Male führte Screamin' Jay Hawkins seine „I Put A Spell On You“-Horrorshow auf. Den Erfolg seines ersten Hits konnte er mit keinem anderen Song annähernd wiederholen, und irgendwann verfluchte er ihn. Als Showman gefeiert, aber als Künstler nie wirklich ernst genommen, klagte Hawkins in Interviews immer wieder, er habe mit diesem einen Song ein „Monster“ geschaffen. Gelegentliche Versuche, sich als seriöser Sänger neu zu erfinden, blieben erfolglos. Schon 1973 erklärte er resigniert: „Wenn ich die Wahl hätte, wäre ich lieber nicht Screamin' Jay Hawkins. James Brown kreischt ständig, aber er ist nicht einfach nur 'Screamin' James Brown'. Warum können die Menschen mich nicht als echten Sänger akzeptieren, ohne einen Bogeyman aus mir zu machen?“
Die Opern, die er gerne gesungen hätte - es blieb ein unerfüllter Wunschtraum. Das Talent dazu hätte er wahrscheinlich sogar besessen. Das deuten gerade auch die späten, ausgefeilteren Versionen von „I Put A Spell On You“ an, bei denen zwischendurch immer wieder Hawkins' außerordentliche Stimmgewalt durchblitzt.
Ja, diese Karriere hätte anders laufen können. Aber ohne diesen einen verfluchten, legendären, großartigen Song hätte in der Geschichte der Rockmusik eben auch etwas gefehlt. Nina Simone, Creedence Clearwater Revival, Joe Cocker, Bryan Ferry, Nick Cave, Annie Lennox und viele weitere Stars coverten das Stück sehr prominent und füllten den alten Zauber über die Jahre immer wieder mit neuem Leben. Vor allem aber als Performer setzte Screamin' Jay Hawkins Maßtstäbe. Alice Cooper, Ozzy Osbourne, Marilyn Manson: All diese „Schock-Rocker“ führten letztlich nur mit größerem Aufwand fort, was in den späten 1950-ern mit Hawkins begann. Seinen Platz in der Musikgeschichte hat er jedenfalls sicher, und er hat offenbar auch als missverstandener Künstler gewusst, wie er für sich selbst das Beste daraus macht. Als Screamin' Jay Hawkins im Februar 2000 mit 70 Jahren in Neuilly-sur-Seine nahe Paris an einem Aneurysma starb, war er in sechster Ehe verheiratet. Nach eigenen Angaben hat er im Lauf seines Lebens mindestens 57 Kinder gezeugt. (tsch)