Singen statt KickenGescheiterte Fußball-Karriere machte Kelvin Jones zum Musik-Star
Köln – Beinahe wäre er Fußball-Profi geworden, jetzt ist er Musik-Star.
Über Nacht wurde Kelvin Jones (25) 2014 berühmt, weil ein flüchtiger Bekannter seinen Song „Call you home“ auf der Internetplattform „Reddit“ veröffentlichte. Der Clip explodierte, sammelte Millionen Klicks, 2015 war das Lied unter den zehn meistgespielten im deutschen Radio.
Kelvin Jones beim „FreeESC” am Start
Vor kurzem trat Jones beim „FreeESC“ für Großbritannien an und freute sich wie ein kleiner Junge darüber, dass Heidi Klum verriet, dass sie seine Musik liebt. „Nennt mich zukünftig bitte HF – Heidis Favorit“, schrieb er auf Instagram.
EXPRESS traf den Sänger jetzt in Köln. Eigentlich um über seine neue Single „Friends“ zu sprechen. Doch daraus entwickelte sich ein launiges Gespräch über das Aufgeben von Träumen, das Erfüllen von Erwartungen, das Leben in Simbabwe, Fußball – und Toilettenpapier.
Nach dem Auftritt beim FreeESC: Wie soll ich dich denn jetzt nennen? Kelvin oder Heidis Favorit?
Kelvin Jones: (lacht). HF hört sich gut an! Was für ein Moment, ich dachte echt ich träume. Als Heidi das sagte, konnte ich es nicht glauben. Nico (Santos, Anm. d. Red.) drehte sich zu mir um und wir beide schauten uns ungläubig an: Hat sie gerade meinen Namen gesagt? Meine Knie zitterten!
Hast du mal Kontakt zu ihr aufgenommen?
Ich bin immer noch zu eingeschüchtert. Ich will es nicht versauen (grinst). Vielleicht eines Tages.
Du bist aber großer Fan?
Ja, weil ich vor zwei Jahren mit meiner Freundin angefangen habe GNTM zu gucken.
Wie hat deine Freundin auf Heidis Lob reagiert?
Weißt du, wir klopfen unsere Beziehung gerade ab. Jetzt wo ich weiß, dass ich Heidis Liebling bin… (lacht)
Du hast einen neuen Song namens „Toilet Paper“ (oben im Video) – was hat es damit auf sich?
Ich habe ihn zusammen mit Fans in einem Livestream geschrieben. Als Corona losging und wir zu Hause bleiben mussten, wurde ich für das „#wirbleibenzuhause“-Festival angefragt. Ich wollte dort keine Cover-Songs singen, also habe ich meine Fans gefragt, ob wir einen zusammen schreiben. Aber: Es sollte der schlechteste überhaupt werden (grinst). Und einer sagte: Wir sollten über Toilettenpapier schreiben und eine Zeile sollte sein: „I wouldn’t trade you for toilet paper“. Da habe ich direkt meine Gitarre geschnappt und war noch an dem Tag fertig. Und dann lief es im Radio und sie wollten es auch im „ZDF-Fernsehgarten“ (lacht). Eigentlich war es nur als Spaß gedacht. Aber es wurde ein ganz guter Song.
Das ist das seltsamste, aber gleichzeitig beste Kompliment, das ich je gehört habe…
(lacht) Da stimme ich voll und ganz zu!
Entstanden durch einen Zufall, wie deine ganze Karriere. Die begann, weil ein Bekannter ein Video ins Netz lud, das um die Welt ging.
Ja. Eigentlich habe ich Ingenieurwesen studiert. Aber nach drei/vier Monaten war klar, dass ich verrückt nach Musik bin und Brücken mir völlig egal sind (grinst). Deshalb wollte ich auf ein Musik-College, aber meine Eltern hätten mir das niemals erlaubt. Zum Glück hat dieser Typ, den ich bis dahin ein Mal getroffen hatte, es ins Netz gestellt. Innerhalb von Stunden explodierte das. Das fühlte sich an, wie ein Lotterie-Gewinn. Dann konnte ich auch meinen Eltern von meinen Musik-Plänen erzählen.
Bis dahin hast du sie angelogen?
Ich war eingeschrieben, aber bin nicht in den Unterricht gegangen.
Wie haben sie reagiert, als sie das herausfanden?
Das war erst zwei Jahre später (lacht). Das war auf einem Konzert in London, bei dem sie dabei waren. Das letzte der Tour. Ich hatte die Geschichte vorher bei jedem Auftritt erzählt und an dem Abend konnte ich dabei direkt in ihr Gesicht gucken. Zum Glück war bis dahin schon alles gut ausgegangen.
Vor der Musik hattest du einen ganz anderen Traum: Fußballer zu werden.
Ja. Ich erinnere mich noch an dem Moment, als ich meinem Vater erzählte, dass ich es nicht mehr will. Puh! Ich spielte bis zum meinem 16. Lebensjahr und war wie besessen. Ich schaffte es sogar in ein Profi-Jugendteam, war Kapitän der Bezirks-Auswahl. Mit 17 wäre es dann richtig losgegangen, auch Geld zu verdienen. Aber es hat mir keinen Spaß mehr gemacht. Es war nur noch Arbeit. Training, Training, Training… Und mein Vater hatte mich sechs Jahre lang überall hingefahren. Dann sagte ich ihm, dass es mir keinen Spaß mehr macht. Und er: „Ok, wenn das so ist, dann ist es so.“ Am nächsten Wochenende, als ich das erste Spiel verpasste, fing ich an, Gitarre zu lernen. Und jetzt sind wir hier.
Kickst du noch ab und zu?
Ja, in einer Musiker-Liga in Berlin. „YouNotUs“ haben mich da reingebracht. Man, bin ich außer Form (lacht). Wir spielen 5 gegen 5 und du musst immer nur laufen – das ist anstrengend! Meine Füße wissen noch wie es geht, aber der Rest meines Körpers sagt: „Nah, zu viel Döner und Pizza“. Aber ich liebe es zu spielen.
Jetzt wohnst du in Berlin, davor in London und bis zu deinem 9. Lebensjahr in Simbabwe. Was sind die größten Unterschiede?
Zwischen London und Berlin sind sie nicht so groß. Aber zwischen Afrika und Europa natürlich schon. Als ich erstmals in London am Flughafen ankam, war ich erstaunt, wie anders alles war. Wie in einem futuristischen Film. Wie eine andere Welt. Anfangs dachte ich, eine „PlayStation“ wäre ein Raum, eine Station. Als ich gefragt wurde, ob ich eine habe, sagte ich: „Nein, ich habe ein Schlafzimmer.“ (lacht) Dann hat mir jemand eine gezeigt. Sowas hatten wir in Simbabwe nicht. Das war umwerfend für mich.
Wann warst du zuletzt in Simbabwe?
Vor vier Jahren. Das erste Mal seit ich dort weg bin. Ich würde gerne jedes Jahr hin, aber leider klappt es nicht immer. 99 Prozent meiner Familie leben wir dort.
Wieso seid ihr nach England gekommen?
Mein Vater bekam dort einen Job. Als ich etwa acht Jahre alt war, sah mein Vater, dass es einen politischen Umschwung im Land gab. Dass der Präsident ein Diktator wurde. Er hatte da so eine Vorahnung. Also ging er in die UK, ein Jahr später kam ich mit meiner Mutter und meinem Bruder nach. Wir waren mit in der letzten Welle, die es noch rausschaffte. Kurz danach bekam man nicht einmal mehr ein Visum. Vor kurzem habe ich auch mit meinem Vater noch darüber gesprochen. Seine Vorahnung ist der Grund, dass wir jetzt hier sprechen. Diese eine Entscheidung. Und ich hoffe, dass ich irgendwann genauso reif bin, wenn ich eine Familie habe und richtige Entscheidungen treffe.
Das klingt nach einem emotionalen Gespräch. Wie hat dein Vater reagiert?
Er ist eigentlich nicht so der emotionale Mensch. Mit dem Alter ändert sich das ein wenig. Wir haben uns zwar umarmt oder so, aber er zeigte seine Liebe eher, indem er mich zum Fußball fuhr. Jetzt, wo wir beide älter sind und ich ihn besser verstehe, ändert sich das. Und eines kann ich nur jedem empfehlen: Letzte Weihnachten haben mein Bruder und ich uns hingesetzt, das Aufnahmegerät angemacht und ihm gesagt: „Lass uns über dein Leben sprechen“. Das haben wir den ganzen Tag gemacht und sind vielleicht bis zu seinem 22. Lebensjahr gekommen. Mein Vater hatte ein unglaubliches Leben. Bis er 14 Jahre alt war, hatte er keine Schuhe angehabt. Er hatte 18 Geschwister. Ein ganz anderes Leben, als du und ich es haben. Wir haben ihn nicht nur als Vater, sondern auch als Person kennengelernt. Ich habe ihm für diese Entscheidung damals gedankt – und hatte dieses Lächeln auf den Lippen. Weil er gemerkt hat, dass ich es nun verstanden habe. Ein toller Moment für uns.
Sind wir uns in Europa und den USA nicht bewusst genug, was die Menschen in Afrika durchmachen?
Das kann keiner. Ich könnte dir auch nichts über die Probleme der Menschen in China erzählen. Womit ich persönlich Probleme hatte, ist die Einseitigkeit. Mein ganzes Leben war ich immer die einzige farbige Person in meiner Umgebung. In der Schule, auf Konzerten – ich habe immer diese Perspektive der Minderheit. Was ich voranbringen will, ist: Lass die „Schuld“ dich nicht davon anhalten, mehr zu lernen. Einige Freude aus der Schulzeit sagen: „Ich hätte mehr tun, mehr wissen müssen“. Und sie werden von dieser Angst paralysiert. Aber hey, mach doch mal ne Pause. Ich wusste auch nichts über dich. Ich musste auch alles lernen. In meiner Schule in Simbabwe war eine einzige weiße Person. Sky – den Namen vergesse ich nicht. Und ich wusste gar nichts über ihn. Wir müssen einander auch mal eine Pause geben. Du musst nicht alles wissen – streng dich einfach an, zu lernen. Das gilt für uns alle.
Vielleicht würde es helfen, zu sehen, wie die anderen Leben.
Es ist eine Kombination. Ich erinnere mich noch, als ich zehn Jahre alt war und das erste Mal in der Schule in England. Die anderen Kinder haben mich so super willkommen geheißen und fragten mich aus. Und ein Mädchen fragte: „Also, hast du in einer Hütte gewohnt? Waren da Löwen auf deinem Weg zu Schule?“ Und ich sagte: „Nein, wovon redest du? Ich lebte in einem Haus, wir hatten Elektrizität, ich habe TV geschaut und da waren auch keine Löwen“ (grinst). Aber sie war halt auch zehn Jahre alt und einfach neugierig. Diese wunderbare kindliche Neugier, alles zu erfahren. Wenn wir das aufrechterhalten können, das wäre es! So wie ich jetzt lernen will, was es mit diesem Karneval in Köln auf sich hat? Warum ist das im Winter? Das macht keinen Sinn? (lacht). Wir können so viel voneinander lernen und das macht uns nur reicher!
Jetzt haben wir noch gar nicht über deinen neuen Song „Friends“ gesprochen. Er klingt wie ein Gute-Laune-Song, eigentlich handelt er aber von Misserfolgen.
Das stimmt.
Stört dich, dass er nicht so verstanden wird?
Ich musste lernen damit umzugehen. Als mein Vater mich mal zum Fußball fuhr, lief ein Gute-Laune-Song im Radio. Ich hab ihn leise gedreht und dachte: „Ach, der hat doch keine Botschaft, ist nur zum Tanzen.“ Und mein Vater meinte: „Ist Musik nicht manchmal nur dazu da, zu tanzen?“ Das hat mich umgehauen. Ich dachte immer, Musik muss eine tiefere Bedeutung haben. Früher hätte ich mir selbst nicht erlaubt, einen Song wie „Friends“ zu veröffentlichen. Der ist nur für den Sommer, ich erwarte nicht, dass er in 20 Jahren noch gehört wird. Aber wenn er jetzt jemandem ein gutes Gefühl macht – dann passt das!