Know-how statt FleischbeschauMiss Germany, wo ist denn dein Bikini?

Alles anders bei Miss Germany: Keine Bademoden-Show, keine Altersbegrenzung. Dafür sind jetzt berufliche Powerfrauen gefragt. Warum das so ist, erklären die Veranstalter.

von Andrea Kahlmeier  (ak)

Es ist natürlich nicht einfach gewesen für alle: Da kommt plötzlich der Enkel und will alles hinterfragen: Ist das Frauenbild, das wir zeichnen, eigentlich noch zeitgemäß? „Es gab in unserer Familie schon interne Machtkämpfe“, gibt Max Klemmer offen zu.

Kein Wunder: Der 28-Jährige will die Miss-Wahlen komplett umkrempeln: Schönheitsköniginnen im Bikini sind out. Gefragt sind Powerfrauen mit Visionen. Wie kommt das an?

Familie Klemmer: Ein Clan im Zeichen der Miss-Wahlen

Die Klemmers. Eine Familie, in der sich seit Jahrzehnten das ganze Leben um Miss-Wahlen dreht. Opa Horst Klemmer (87), einsitger Manager des großen Humoristen Heinz Erhardt, hat sie einst ins Leben gerufen, schon vor mehr als 60 Jahren die Schönheitsköniginnen auf den Thron gehoben. Papa Ralf (60) übernahm 1982 die Geschäfte und schaffte es, die Mitbewerber vom begehrten Markt zu drängen.

Und Mama Ines (53)? Die ehemalige DDR-Fechtmeisterin wurde 1991 zur Miss Germany gekürt. Das war damals eine echte Sensation in Deutschland.

Ines Klemmer, einst Ines Kuba, war die erste Miss Germany mit kurzen Haaren

Ines Klemmer heute. Die einstige DDR-Fechtmeisterin (damals hieß sie noch Ines Kuba) wurde 1991 Miss Germany – übrigens die erste mit kurzen Haaren –, 1992 folgte der Titel der Miss World. Sie heiratete vor 29 Jahren Ralf Klemmer.

Denn sie hatte keine lange Mähne, sondern einen frechen, schwarzen Kurzhaarschnitt. Alle rissen sich um sie. Es gab noch kein Internet, keinen Shitstorm wegen der Pop-Punk-Frisur.

In ihrem Amtsjahr nahm sie rund 250 offizielle Termine wahr: Autogrammstunden, Unternehmens-Events, Model-Termine, war Glücksfee, wurde in Talk-Shows eingeladen. „Ich habe durch die Miss-Wahl auch mein privates Glück gefunden“, schmunzelt sie. „Nächstes Jahr feiern Ralf und ich unseren 30. Hochzeitstag.“

Ralf, Horst und Max Klemmer stehen vor den Kandidatinnen zur Wahl der Miss Germany 2018 im Europa-Park Rust.

2018 noch friedlich vereint im Europapark Rust (v.l.): Ralf, Horst und Max Klemmer

Da wird sicherlich auch Max das Glas erheben. Obwohl: Bei den Klemmers klemmt's derzeit im Getriebe, weil Max alles anders machen will. „Der Bikini-Walk ist seit 2018 Geschichte. Früher lag die Altersgrenze für Bewerberinnen zwischen 16 und 29 Jahren, sie durften nicht verheiratet sein und keine Kinder haben. Das gibt es nicht mehr. Heute kann sich jede Frau bewerben, die älter als 18 ist und in Deutschland lebt“, so Max.

Gesucht werde nach weiblichen Vorbildern, die Verantwortung tragen und als Inspirationsquelle für die nächste Generation fungieren. „Empowering women“ eben. Keine Frauen, an denen sich alte Männer ergötzen können. Die Männer wolle man aber auch ins Boot holen, betont Max Klemmer, denn „es geht uns nicht um Mann gegen Frau“.

Netzwerk und Know-how: Miss Germany kommt in der Neuzeit an

Zumindest Opa Horst sei mittlerweile begeistert von der Idee. „Wir helfen den Frauen mit unseren Netzwerken, Kontakten und Coachings, multimediale Aufmerksamkeit für ihre Ideen und Projekte zu erlangen, sie bekommen einen regelrechten Reichweiten-Boost“. Aber: Von nix kommt nix. Die gut 1000 Bewerberinnen mussten in diesem Jahr erstmals eine Bewerbungsgebühr von 99 Euro zahlen. Trostpflaster für die, die sich keinen Spitzenplatz ergattern konnten: Auch sie können das Netzwerk nutzen.

Miss-Germany-Aspirantin Belen Kobe aus Köln

Belen Kobe aus Köln möchte Miss Germany 2025 werden. Die gelernte Industriekauffrau (31) ist Bereichsleiterin im Ladenbau und nebenberuflich Business-Coach. „Ich möchte Firmen motivieren, umzudenken. Die persönliche Qualifikation wird heute noch viel zu oft außer Acht gelassen, da wird nur auf den Studienabschluss geschaut. Wichtig wäre es hingegen, bei Bewerbern und Bewerberinnen sowie Angestellten auch verstärkt auf individuelle Fähigkeiten zu blicken.“ Wie steht sie zu Bikini-Auftritten? „Nein, die klassische Miss-Wahl hätte mich nicht gereizt. Aber als ich das neue Anforderungsprofil für eine Miss Germany gelesen hatte, fand ich das sofort super- spannend.“

Und wie reagiert der Vater Ralf Klemmer auf die Veränderungen? „Er glaubt eher an das traditionelle Konzept“, bedauert Sohn Max. „2021 kam es zum großen Krach, 2022 habe ich ihn aus der Firma rausgekauft.“

Mutter Ines hält zu beiden Männern. „Ich bin gerne mit dem Badeanzug auf die Bühne gegangen, hatte als Fechterin ja eine gute Figur, das war damals kein Thema. Das war eben eine andere Zeit. Heute heißt es: Wer will schon so viel Haut zeigen?“ Auf der anderen Seite erfülle es sie mit „großem Stolz, dass unser Sohn Max das Unternehmen in der dritten Generation führt“. Die letzten Jahre seien für die Familie nicht immer einfach gewesen, gesteht sie, „aber Max muss mit der Zeit gehen, neue Konzepte haben“.

Miss-Germany-Aspirantin Maira Baurmann aus Bonn

Maira Baurmann aus Bonn kandidiert als Miss Germany 2025. Die 43-jährige Bonnerin studierte Politikwissenschaft und Soziologie, kam als Quereinsteigerin in die IT-Branche, eine klassische Männerdomäne. Sie setzte sich als einzige Frau im Vertriebsteam durch, auch wenn der Weg bisweilen steinig war. „Ich möchte mehr Frauen motivieren, diesen Weg einzuschlagen. In dieser Branche ist nicht mehr das Alphamännchen gefragt. Wir Frauen haben die Softskills, die man braucht. Es gibt auch den klassischen Außendienst nicht mehr, sondern virtuelle Meetings.“ Langfristig schwebt ihr eine Vertriebsakademie für Frauen vor. Wie steht sie zu Bikini-Auftritten? „Ich liebe es, mich schön anzuziehen und bin gerne Frau, aber nur auf das Aussehen reduziert werden? Nein!“

Die Frage, die heute der Kern der Misswahlen ist „Wofür setzt du dich ein?“ findet Ines Klemmer „ungemein spannend“. Eine Frage, die die amtierende Miss Germany, Apameh Schönauer, gerne beantwortet. Sie ist quasi das Aushängeschild für den Umbruch bei den Klemmers. „Api ist meine Lieblings-Miss-Germany ever“, schwärmt Max.

Die zweifache Mutter hat gerade ihren 40. Geburtstag gefeiert, ist Chefarchitektin in einem Unternehmen, macht sich Ende des Jahres selbstständig. Als sie sechs Jahre alt war, flüchtete ihre Familie aus dem Iran nach Deutschland. Man ahnt, dass diese Frau etwas zu erzählen hat. „Ich werde oft als Speakerin auf Podien und Messen wie der Orgatech eingeladen, spreche über Architektur, das Leben der starken Frauen im Iran und über Frauen in Führungspositionen mit Migrationshintergrund.“

Miss-Germany-Aspirantin Anna Burger aus Köln

Miss Germany-Aspirantin 2025: Anna Burger aus Düsseldorf. Die 36-Jährige hat drei kleine Kinder, ist zertifizierte „Natürliche Familienplanung“(NFP)-Beraterin und Gründerin der Zyklus-App „ovolution“. Diese Methode soll eine Alternative zur Pille sein, um hormonfrei zu verhüten oder gezielt schwanger zu werden. Sie wird selbst von Stiftung Warentest empfohlen. Nebenbei betreibt die Powerfrau, die von ihrem Mann sehr unterstützt wird, noch die Online-Plattform „Milch und Moneten“, um Mütter zu motivieren, selbst unternehmerisch tätig zu werden. „Als Miss Germany könnte ich mit meiner Mission noch mehr Frauen erreichen – sowohl, was die gesundheitlichen als auch die gesellschaftlichen Aspekte angeht.“ Wie steht sie zu Bikini-Auftritten? „Wenn es nur darum ginge, seinen Body zu zeigen, hätte ich mich nicht beworben.“

Sie gehe auch gern in Schulen und rede darüber, wie man sich gegen Hate-Kampagnen wappnen kann. Das erlebt sie ja selbst immer wieder. „Nach meiner Wahl hieß es, wie man so eine alte Frau, so eine Ausländerin nehmen konnte. Ich hoffe, du begehst Selbstmord. So was wie du gehört verbrannt.“ Die Angriffe seien übel gewesen. „Zu meinem 40. Geburtstag gab es die zweite Welle. Aber ich würde mich deshalb nie verkriechen, ich muss weitermachen, um den Jüngeren zu zeigen, dass man mich nicht klein kriegen kann.“

Und nein, sie habe kein Problem damit, wenn sich jemand für die Model- oder Influencer-Karriere entscheide. „Aber er oder sie sollte trotzdem immer Vorbild bleiben. Wenn du schöne Werte vermittelst, bist du automatisch schön.“ Gut gesprochen, Miss Neuzeit!