Alles anders bei Miss Germany: Keine Bademoden-Show, keine Altersbegrenzung. Dafür sind jetzt berufliche Powerfrauen gefragt. Warum das so ist, erklären die Veranstalter.
Know-how statt FleischbeschauMiss Germany, wo ist denn dein Bikini?
Es ist natürlich nicht einfach gewesen für alle: Da kommt plötzlich der Enkel und will alles hinterfragen: Ist das Frauenbild, das wir zeichnen, eigentlich noch zeitgemäß? „Es gab in unserer Familie schon interne Machtkämpfe“, gibt Max Klemmer offen zu.
Kein Wunder: Der 28-Jährige will die Miss-Wahlen komplett umkrempeln: Schönheitsköniginnen im Bikini sind out. Gefragt sind Powerfrauen mit Visionen. Wie kommt das an?
Familie Klemmer: Ein Clan im Zeichen der Miss-Wahlen
Die Klemmers. Eine Familie, in der sich seit Jahrzehnten das ganze Leben um Miss-Wahlen dreht. Opa Horst Klemmer (87), einsitger Manager des großen Humoristen Heinz Erhardt, hat sie einst ins Leben gerufen, schon vor mehr als 60 Jahren die Schönheitsköniginnen auf den Thron gehoben. Papa Ralf (60) übernahm 1982 die Geschäfte und schaffte es, die Mitbewerber vom begehrten Markt zu drängen.
Und Mama Ines (53)? Die ehemalige DDR-Fechtmeisterin wurde 1991 zur Miss Germany gekürt. Das war damals eine echte Sensation in Deutschland.
Denn sie hatte keine lange Mähne, sondern einen frechen, schwarzen Kurzhaarschnitt. Alle rissen sich um sie. Es gab noch kein Internet, keinen Shitstorm wegen der Pop-Punk-Frisur.
In ihrem Amtsjahr nahm sie rund 250 offizielle Termine wahr: Autogrammstunden, Unternehmens-Events, Model-Termine, war Glücksfee, wurde in Talk-Shows eingeladen. „Ich habe durch die Miss-Wahl auch mein privates Glück gefunden“, schmunzelt sie. „Nächstes Jahr feiern Ralf und ich unseren 30. Hochzeitstag.“
Da wird sicherlich auch Max das Glas erheben. Obwohl: Bei den Klemmers klemmt's derzeit im Getriebe, weil Max alles anders machen will. „Der Bikini-Walk ist seit 2018 Geschichte. Früher lag die Altersgrenze für Bewerberinnen zwischen 16 und 29 Jahren, sie durften nicht verheiratet sein und keine Kinder haben. Das gibt es nicht mehr. Heute kann sich jede Frau bewerben, die älter als 18 ist und in Deutschland lebt“, so Max.
Gesucht werde nach weiblichen Vorbildern, die Verantwortung tragen und als Inspirationsquelle für die nächste Generation fungieren. „Empowering women“ eben. Keine Frauen, an denen sich alte Männer ergötzen können. Die Männer wolle man aber auch ins Boot holen, betont Max Klemmer, denn „es geht uns nicht um Mann gegen Frau“.
Netzwerk und Know-how: Miss Germany kommt in der Neuzeit an
Zumindest Opa Horst sei mittlerweile begeistert von der Idee. „Wir helfen den Frauen mit unseren Netzwerken, Kontakten und Coachings, multimediale Aufmerksamkeit für ihre Ideen und Projekte zu erlangen, sie bekommen einen regelrechten Reichweiten-Boost“. Aber: Von nix kommt nix. Die gut 1000 Bewerberinnen mussten in diesem Jahr erstmals eine Bewerbungsgebühr von 99 Euro zahlen. Trostpflaster für die, die sich keinen Spitzenplatz ergattern konnten: Auch sie können das Netzwerk nutzen.
Und wie reagiert der Vater Ralf Klemmer auf die Veränderungen? „Er glaubt eher an das traditionelle Konzept“, bedauert Sohn Max. „2021 kam es zum großen Krach, 2022 habe ich ihn aus der Firma rausgekauft.“
Mutter Ines hält zu beiden Männern. „Ich bin gerne mit dem Badeanzug auf die Bühne gegangen, hatte als Fechterin ja eine gute Figur, das war damals kein Thema. Das war eben eine andere Zeit. Heute heißt es: Wer will schon so viel Haut zeigen?“ Auf der anderen Seite erfülle es sie mit „großem Stolz, dass unser Sohn Max das Unternehmen in der dritten Generation führt“. Die letzten Jahre seien für die Familie nicht immer einfach gewesen, gesteht sie, „aber Max muss mit der Zeit gehen, neue Konzepte haben“.
Die Frage, die heute der Kern der Misswahlen ist „Wofür setzt du dich ein?“ findet Ines Klemmer „ungemein spannend“. Eine Frage, die die amtierende Miss Germany, Apameh Schönauer, gerne beantwortet. Sie ist quasi das Aushängeschild für den Umbruch bei den Klemmers. „Api ist meine Lieblings-Miss-Germany ever“, schwärmt Max.
Die zweifache Mutter hat gerade ihren 40. Geburtstag gefeiert, ist Chefarchitektin in einem Unternehmen, macht sich Ende des Jahres selbstständig. Als sie sechs Jahre alt war, flüchtete ihre Familie aus dem Iran nach Deutschland. Man ahnt, dass diese Frau etwas zu erzählen hat. „Ich werde oft als Speakerin auf Podien und Messen wie der Orgatech eingeladen, spreche über Architektur, das Leben der starken Frauen im Iran und über Frauen in Führungspositionen mit Migrationshintergrund.“
Sie gehe auch gern in Schulen und rede darüber, wie man sich gegen Hate-Kampagnen wappnen kann. Das erlebt sie ja selbst immer wieder. „Nach meiner Wahl hieß es, wie man so eine alte Frau, so eine Ausländerin nehmen konnte. Ich hoffe, du begehst Selbstmord. So was wie du gehört verbrannt.“ Die Angriffe seien übel gewesen. „Zu meinem 40. Geburtstag gab es die zweite Welle. Aber ich würde mich deshalb nie verkriechen, ich muss weitermachen, um den Jüngeren zu zeigen, dass man mich nicht klein kriegen kann.“
Und nein, sie habe kein Problem damit, wenn sich jemand für die Model- oder Influencer-Karriere entscheide. „Aber er oder sie sollte trotzdem immer Vorbild bleiben. Wenn du schöne Werte vermittelst, bist du automatisch schön.“ Gut gesprochen, Miss Neuzeit!