Der Krimi zum 20-Jahre-Jubiläum von „Tatort“-Ermittlerin Charlotte Lindholm erzählte von verdächtigen Männern mit „Migrationshintergrund“. Auch, wenn der Film Vorurteile und „Ausländer“-Klischees mutig zur Diskussion stellte: War dies nun ein fremdenfeindlicher „Tatort“?
Fremdenfeindlicher Tatort?Maria Furtwängler bezieht Stellung zu Vorurteilen und „Ausländer“-Klischees
Im „Tatort: Die Rache an der Welt“ suchen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) den Mörder einer Studentin. Er könnte identisch mit dem „Wikinger“ sein, einem Sexualstraftäter, der zuvor mehrere junge Frauen in der Studentenstadt belästigt hatte, seine Opfer aber bisher am Leben ließ.
Bald geraten im Krimi Männer mit Migrations- und Geflüchteten-Hintergrund in den Fokus der Aufmerksamkeit. Doch welcher wahre Fall steckt hinter dem Plot zum 20-Jahre-Dienstjubiläum Charlotte Lindholms - und welche Vorurteile wurden verhandelt? Schürte dieser „Tatort“ gar ausländerfeindliche Vorurteile?
„Tatort“: Leiche einer Studentin wird gefunden – ist der Mörder ein Flüchtling?
In einem Park wird die Leiche Miras gefunden. Die Studentin engagierte sich in der Arbeit mit Geflüchteten. Ein Augenzeuge beschreibt den möglichen Täter als einen Mann migrantischer Herkunft, doch er scheint voreingenommen. Über Gerichtsmediziner Nick Schmitz (Daniel Donskoy) gibt Charlotte Lindholm den Anstoß für eine „erweiterte Herkunftsanalyse“ der DNA vom Tatort, was in diesem Fall rechtlich heikel ist.
Die Ermittlungen führen in ein Fußball-Camp, in dem Geflüchtete mit ihrem Trainer (Sascha Geršak) und anderen asylpolitisch engagierten Menschen an einem Eintrag ins „Guinness-Buch der Rekorde“ arbeiten. Auch Studentin Jelena (Mala Emde), die Mitbewohnerin des Opfers, verhält sich irgendwie seltsam. Und was ist eigentlich aus Munir (Eidin Jalali) geworden - einem Geflüchteten, mit dem die Tote viel Zeit verbrachte und der jetzt verschwunden ist?
„Tatort“: ARD-Krimi thematisiert rassistische Vorurteile
Wenn ein Zeuge früh in diesem „Tatort“ einen Verdächtigen mit „dunkler Ausstrahlung“ gesehen haben will, der mit den Worten „alles schwarz bis auf das Trikot“ beschrieben wird, ist klar: Es geht um rassistische Vorurteile und wie wir mit ihnen umgehen. Was insofern passt, als im Göttinger „Tatort“ die klassisch deutsch aussehende Maria Furtwängler und ihre schwarze Kollegin Florence Kasumba das Ermittlerinnen-Team bilden.
Glücklicherweise ist das Drehbuch Daniel Nockes so subtil, dass im Film zwar Klischees aufblitzen und scheinbar bedient werden, um dann doch in eine andere, komplexere Richtung abzubiegen. In diesem Sinne ist der Sonntagskrimi eine kluge Auseinandersetzung mit Vorurteilen der Marke: „Unter Geflüchteten gibt es viel toxische Männlichkeit“ oder auch „Geflüchtete sind immer liebe, traumatisierte Menschen, die man nicht verdächtigen sollte“.
So war der „Tatort“ eine gelungene Werbung für differenziertes Denken, unterstrichen durch das sachliche Ermitteln der Kommissarinnen.
„Tatort“: ARD-Krimi basiert auf einer wahren Geschichte
Autor Daniel Nocke („Sie haben Knut“) wurde vom NDR gebeten, zum Lindholm-Jubiläum eine Geschichte mit gesellschaftlichem Zündstoff zu verfassen, was der 54-jährige Autor zweifelsohne geschafft hat. „Die Rache an der Welt“ ist angelehnt an den Mord an einer Studentin in Freiburg, den ein afghanischer Geflüchteter verübt hatte. Die Tat heizte die damals sehr aktuelle Flüchtlingsdebatte an. Maria L. wurde am 16. Oktober 2016 vergewaltigt und anschließend ermordet.
Der Täter - identifiziert über ein verlorenes, auffällig gefärbtes Haar und Überwachungsbilder einer Straßenbahn - wurde im März 2018 zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Der Fall beförderte Vorurteile gegenüber geflüchteten Männern. Die Opferfamilie erhielt damals Hassbriefe und Drohungen, weil sie in der Debatte zur Besonnenheit aufrief. Auch die ARD geriet damals in die Kritik („Lückenpresse“), weil sie in ihren Nachrichtensendungen - anders als das ZDF - nicht ausführlich über den Fall berichtete.
Ist der „Tatort“ fremdenfeindlich?: Maria Furtwängler äußert sich
„Man muss sich davor hüten, dass Zuschauerinnen und Zuschauer am Ende denken könnten: Aha, mit den Männern aus diesem Kulturkreis sind überhaupt erst die Femizide nach Deutschland gekommen“, sagt Maria Furtwängler über die Wirkung ihres neuen Charlotte Lindholm-Falles im Interview mit der Agentur teleschau.
„Einen Femizid gibt es in Deutschland alle zweieinhalb Tage. Die Frauen werden fast immer von ihren Partnern oder Ex-Partnern umgebracht, und das definitiv nicht erst seit Asylsuchende zu uns gekommen sind. Es ist ein Thema der patriarchalen Kulturen, keines der Einwanderungspolitik. Frauenverachtung und Gewalt gegen Frauen ist eine Krankheit, die das Patriarchat mit sich bringt.“
Im erwähnten Interview wurde Maria Furtwängler auch gefragt, wie ihr Rückblick auf 20 Jahre Charlotte Lindholm aussieht. Welche Filme fand die 56-jährige Schauspielerin am stärksten, und über welche sollte man eher den Mantel des Schweigens hüllen?
Mit dem Zwangsprostitutions-Zweiteiler „Wegwerfmädchen“ und „Das goldene Band“ von 2012 sowie dem beklemmenden Entführungsfilm „Der Fall Holdt“ von 2016 benennt Furtwängler zwei persönliche Lindholm-Favoriten.
Weniger toll kam bei ihr der bei der Bundeswehr spielende Fall „Spielverderber“ (2015), bei dem sich die Schauspielerin über eine etwas alberne Action-Szene in einem Flugzeug lustig macht. Wann der nächste Furtwängler-„Tatort“ kommt, ist noch nicht klar. Auf jeden Fall aber erst im Jahr 2023. Seit acht Jahren dreht Marian Furtwängler nur noch einen „Tatort“ pro Jahr. (tsch)