Schauspieler Joe Bausch („Tatort“) hat mit EXPRESS.de über Missbrauch in seiner Kindheit, seine Memoiren und Begegnungen mit den gefährlichsten Straftätern der Republik gesprochen.
„Da lief ich schreiend davon“Tatort-Joe Bausch schildert Missbrauch in seiner Kindheit
Ein unruhiges Leben – und auch jetzt, mit 71 Jahren, ist noch keine Ruhe in Sicht: Joe Bausch, der Schauspieler, Autor und Arzt ist immer noch unbremsbar. Im Kölner „Tatort“ ist er der unermüdliche Gerichtsmediziner Dr. Roth, der im richtigen Augenblick vor der Leiche kniet. Als Mediziner erleben wir ihn in diversen TV-Formaten.
Und als Autor ist er gerade mit „Verrücktes Blut“ (Ullstein Verlag, 22,99 Euro) in den Bestseller-Listen. Das sind seine Lebenserinnerungen, in denen er auch von schrecklichen Erlebnissen seines Lebens spricht. Mit EXPRESS.de traf er sich im Kölner Savoy Hotel zum großen Interview.
Joe Bausch: Als Kind litt er unter seinen roten Haaren
„Verrücktes Blut“ ist ein ungewöhnlicher Name für eine Autobiografie …
Joe Bausch: ... aber passend. Er steht für das, was mein Leben ausmacht: Für mich war der Weg auch durch die Wand immer ein gangbarer Weg. Wenn ich mir was in den Kopf gesetzt hatte, ließ ich mich schwer davon abbringen. Alle Versuche, mich einzufangen und mir die Flügel zu stutzen, gelangen nicht. Das ist heute noch so.
Und wie kam es zum Titel?
Joe Bausch: Ich konnte als Kind nie still sitzen, habe mir oft den Kopf gestoßen. Wenn der dann blutete, ging ich zu meiner Tante, die es weg tupfte und tröstete: „Das ist gut, jetzt läuft das verrückte Blut ab.“
Das war in den 50er und 60er Jahren auf einem Bauernhof im Westerwald, wo Sie groß geworden sind. Was war es für eine Kindheit?
Joe Bausch: Heute würde man sagen, sie war hart, aber ich habe sie nie als schlimm empfunden. Ich hatte Freunde, ich konnte spielen, auch wenn es weniger war als bei anderen. Aber so ist es auf einem Bauernhof: Die Alten machen das, was sie noch können, die Kinder machen das, was sie schon können, und die Eltern dazwischen malochen und ackern.
Sie schreiben, dass Ihre roten Haare ein großes Problem in Ihrer Kindheit waren. Warum war das so?
Joe Bausch: Rote Haare waren schlimm auf dem Dorf. Rothaarige Mädchen waren Hexen, rothaarige Jungs hatten den Teufel im Leib, alle wurden gemobbt. Bei mir war es noch schlimmer, weil ich dazu Sommersprossen hatte. Für meinen Vater war damit klar: „Du siehst aus, als hättest du Scheiße gedroschen!“ Und weil ich auch sehr dünn war, meinte er: „Du kannst eine Ziege zwischen den Hörnern küssen. Man muss sich schämen!“
Wo blieb da die Liebe?
Joe Bausch: Ich glaube schon, dass meine Eltern mich geliebt haben, obwohl es keine nachsichtigen Eltern waren. Ihre Generation hatte nur wenig Spaß gehabt, das Wort Zärtlichkeit hatten sie nicht kennengelernt. Es war nicht so, wie man es sich heute für Kinder wünscht.
Neidisch auf Kindheiten, wie sie heute gang und gäbe sind?
Joe Bausch: Gar nicht! So wie es war, passt es.
Joe Bausch: Für Missbrauch müssen sich Täter schämen, nicht die Opfer!
Im Buch werden Sie ganz direkt: Sie schreiben, dass Sie von ihrem vierten Lebensjahr an lange von einem zehn Jahre älteren Mann missbraucht wurden. Was war passiert?
Joe Bausch: Er war vor meiner Geburt von meinen Eltern als Pflegesohn aufgenommen worden, weil sie dachten, sie bekommen kein Kind mehr. Aber dann kam ich. Er kümmerte sich erst um mich, kam vorm Schlafengehen in mein Bett, las mir vor.
Klingt nach viel Vertrauen …
Joe Bausch: ... ich fand es toll. Deswegen reagierte ich auch nicht, als er sich an mir rieb. Ich habe auch noch geschwiegen, als ich sechs oder sieben war und ihn bei sonntäglichen Waldspaziergängen befriedigen musste, manchmal mehrere Male. Das hörte erst auf, als ich zehn war und er mir in der Scheune eines Tages die Hose runter riss, weil er mich penetrieren wollte. Da lief ich schreiend davon und dann war Schluss damit. Diese Scheune gibt es übrigens immer noch – sie steht inzwischen im Museumsdorf Kommern, ist Teil eines Bauernhof-Ensembles.
Kommt bei Ihnen Scham auf, wenn Sie dran denken, dass jeder dieses ganz Private lesen kann?
Joe Bausch: Nein. Wenn ich es nicht gewollt hätte, hätte ich es nicht geschrieben. Ich habe es bewusst reingenommen, denn für solche Erlebnisse müssen sich die Täter, nicht die Opfer schämen. Die Betroffenen sollten darüber mit Vertrauten reden, sonst leisten sie den Tätern Vorschub. Das habe ich schon früh mit meinen Freundinnen und Freunden gemacht.
Wie haben eigentlich die Eltern reagiert, als Sie sagten, Sie werden Schauspieler?
Joe Bausch: Da herrschte völliges Unverständnis. Plan meines Vaters war ja, dass ich eines Tages den Hof übernehme – wie es seit Generationen üblich war. Diesen Traum gab er schnell auf, als er von meinen Plänen hörte. Eine Wahnsinnsleistung für diesen Mann, der so anders erzogen war. Ich musste zwar weiter mitarbeiten, durfte aber los ins fremde Leben. Vater sagte: „Ich war nur mit der Reisegruppe Adolf Hitler unterwegs und habe die große schöne Welt nicht gesehen. Zieh du los und mache es.“
Sie hatten damals schulterlange Haare. Wann waren die weg?
Joe Bausch: Am Tag vor der Bundeswehr. Die Matte fiel in 17 Minuten, genau die Länge des Songs „In-A-Gadda-Da-Vida“ von Iron Butterfly. Die Haare waren erst kurz und knapp. Weil das richtig blöd aussah, fielen sie ganz seit dieser Zeit fühle ich mich wohl damit.
Sie kamen nach Köln, haben hier Theaterwissenschaften studiert. Wie kam es dazu?
Joe Bausch: Ich wollte ein Zeichen setzen gegen das, was ich in der Schule erlebt hatte. Da war uns Denken verboten. Ich wollte die Literatur lesen, die es in der Schule nicht gab – nicht nur Eichendorff, Schiller, Goethe, sondern Grass, Böll, Freud. Ich wollte die Texte nicht nur lesen, sondern sie auch interpretieren, und meine Interpretation auf die Bühne bringen. Ich suchte Gedankenfreiheit.
Haben Sie im Studium das gefunden, was Sie wollten?
Joe Bausch: Nein. In den Vorlesungen saßen die Akademiker-Söhne und die störten, denn für sie waren meine Hauptfächer nur Nebenfächer und damit Nebensache. Sie hatten den Kommunismus für sich entdeckt und wollten mir, dem Bauernbub aus dem Westerwald, erklären, wie es im Arbeiter- und Bauernstaat zuzugehen hat! Wahnsinn!
Wie kam bei Ihnen die Medizin dazu?
Joe Bausch: Ich hatte mich damals schon im Theater rumgetrieben, habe versucht, als Dramaturg was zu machen und mich beim WDR vom Kabelträger zur Aufnahmeassistenz hochgearbeitet. Doch das war mir alles viel zu schwerfällig, ich war viel zu ungeduldig. Ich folgte zwei Freunden, die Ärzte waren und in Marburg studiert hatten und dachte mir: „Was die können, kann ich auch!“ Nach dem Physikum habe ich in Bochum bei Peter Zadek richtiges Theater gesehen und wieder Blut geleckt. Sechs Wochen später studierte ich tagsüber und stand abends auf der Bühne.
Sie wurden Gefängnisarzt, behandelten in Werl die schlimmsten Verbrecher Deutschlands. Hatten Sie Angst, wenn Sie die verarzten mussten?
Joe Bausch: Es gab Begegnungen, bei denen mir der Puls schneller ging, aber Angst war es nicht. Die kamen ja nicht allein, das war nie ein Treffen auf freier Wildbahn, die kamen unter kontrollierten Bedingungen zu mir. Es war mir lieber, sie im Knast kennenzulernen, denn als besoffene Krawallbrüder nachts in Kölner Bahnhofsnähe.
Hatten Sie Probleme, wenn Sie einen brutalen Mörder vor sich hatten, der sein Leben verlängert haben wollte?
Joe Bausch: Wenn ich mir jedes Mal hätte Gedanken drum machen müssen, hätte ich nicht Arzt werden dürfen. Ich war der Arzt der Anstalt, aber ich war auch immer der Arzt für die Patienten.
Sie sind seit über 30 Jahren der Gerichtsmediziner Dr. Roth im Kölner „Tatort“. Ist da ein Ende in Sicht?
Offenbar nicht. Das wird wohl erst kommen, wenn die beiden Kollegen nicht weitermachen wollen. Oder wenn ich zur Leiche in die Knie gehe und ohne fremde Beihilfe nicht mehr hochkomme. Dann wird es Zeit für mich …
Joe Bausch: In seinem ersten „Tatort“ spielte er neben Götz George
Joe Bausch (eigentlich Hermann Joseph Bausch-Hölterhoff, geboren am 19. April 1953 in Ellar/Westerwald) wuchs auf einem Bauernhof auf. Studium der Theaterwissenschaften in Köln, anschließend Studium der Medizin in Bochum. 1985 machte er sein Examen. Von 1986 bis 2018 war er Anstaltsarzt in der JVA Werl. Pensionierung als Leitender Regierungsmedizinaldirektor.
Erster Film 1985 war der Kino-„Tatort“ mit dem Titel „Zahn um Zahn“ (mit Götz George). Feste Rollen in „Der Fahnder“ und in „Auf Achse“. Seit 1997 im Kölner „Tatort“ als Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth. Seit 2016 ist Bausch Moderator bei „Im Kopf des Verbrechers“ (Sat.1 Gold), und „Überführt“ (ZDF Info). Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes (Engagement für den Verein „Tatort – Straßen der Welt“, der sich für Straßenkinder einsetzt). Er ist verheiratet, hat eine Tochter und wohnt nahe Werl.