Zum Jubiläumanlass 30 Jahre „37°“ porträtiert die ZDF-Reportagereihe drei Menschen aus verschiedenen Generationen. Es geht um den Ausbruch aus der Ehe, den unerfüllten Kinderwunsch und die Einsamkeit im hohen Alter. Ein 90-Jähriger teilt mit dem Publikum ganz viel Lebensweisheit.
ZDF-Doku90-jähriger Witwer teilt wichtige Botschaft: „Kopfkino ist eine verteufelte Angelegenheit“
Seit 30 Jahren porträtiert die ZDF-Reportagereihe „37°“ Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen und lässt sie - ohne Kommentar und jegliche Experten - Geschichten aus ihrem Leben erzählen. Der Gedanke dahinter: Sie könnten damit anderen helfen. „Jede Geschichte könnte deine sein“, so sagt die verantwortliche Redaktion Kirche und Leben.
Es geht von Niedriglohnarbeiterinnen in Bangladesch bis zu zivilisationsmüden Auswanderern im Ruhestand oder gar zur KI-Diskussion über das virtuelle Weiterleben nach dem Tod. Im Film „Die großen Fragen des Lebens - Drei Generationen geben Antwort“ (schon abrufbar in der ZDF-Mediathek) berichten nun zum Jubiläumszeitpunkt drei Menschen verschiedenen Alters von ihren teils schwierigen und belastenden Erfahrungen und deren Bewältigung.
Julia (30): „Wir haben uns gegenseitig mehr oder weniger krank gemacht“
Julia (30), Heike (60) und Wolfgang (90) erzählen vom Neuanfang in der Lebensmitte, vom unerfüllten Kinderwunsch und vom plötzlichen Alleinsein im Alter. Sie wollen dabei Antworten auf wichtige Fragen geben: „Wie wichtig sind Disziplin und Struktur? Was ist wichtiger, Karriere oder Familie?“
Julia aus der Schweiz verlässt kurz vor ihrem 30. Geburtstag nach der Geburt ihrer beiden Kinder ihren Mann. „Wir haben uns gegenseitig mehr oder weniger krank gemacht.“ Das klassische Familienmodell habe für sie überhaupt nicht funktioniert. Den Schritt zur alleinerziehenden Mutter empfindet sie trotz all der Anstrengungen als Befreiung. Zu sehr sei sie darum bemüht gewesen, die Fassade einer glücklichen Familie aufrechtzuerhalten, habe immerzu auf ihre Außenwirkung geachtet, „weil ich mich nicht darauf konzentriert habe, was ich möchte, wer ich bin. Das hat mich in eine Krise gestürzt.“
Ihrem Ex-Mann tat die Trennung ebenso gut wie ihr selbst. „Es ist jetzt eine innige Freundschaft“, sagt er, der von einer psychischen Erkrankung genesen ist: „Die Scheidung ist nicht ein Urteil, das die Familie auseinanderreißen muss.“
Auch im Beruf wagt die ehemalige Gartencenter-Mitarbeiterin einen Neuanfang: „Ich möchte eine glückliche Mama sein. Und ich weiß, in meinem alten Beruf könnte ich nicht ausgeglichen sein“, so sagt sie. Sie arbeitet jetzt als Pflegerin.
Heike (60): „Ab Mitte 40 war das Gefühl da, als hätte ich eine Tarnkappe auf“
Die 60-jährige Heike ist seit fast 15 Jahren Single. Die Zeiten, in den sie auf Datingportalen versuchte, das zu ändern, sind vorbei. „Ab Mitte 40 war das Gefühl da, als hätte ich eine Tarnkappe auf“, beschreibt sie die ausbleibende Aufmerksamkeit der Männerwelt in einem Sprachbild.
Wenn noch mal jemand käme, würde sie sich nicht mehr verändern oder anpassen für den Partner: „Ich merke, dass ich es mir in dem Alleinleben sehr komfortabel eingerichtet habe“, sagt sie. „Ich fühle mich nicht einsam, eigentlich finde ich's prima so, wie es ist.“
Zeitlebens wollte sich Heike ihren Kinderwunsch erfüllen, was ihr mit verschiedenen Partnern nicht gelang. Als sie dann in eine Kinderwunschpraxis ging, bekam sie die Diagnose Brustkrebs. Sie veränderte ihr Leben. „Eine Krebsdiagnose ist etwas, das dich von jetzt auf gleich in eine Parallelwelt schießt, aus der du rausguckst und denkst: Komisch, die da draußen leben ihr Leben weiter, aber es ist doch jetzt alles ganz anders. War's auch für anderthalb Jahre, die ich raus war aus dem normalen Leben.“
Seither blickt die Berlinerin versöhnlich aufs Leben - auch auf den nicht erfüllten Kinderwunsch: „Ich bin gut darin, meinen Frieden zu machen mit Dingen, auf die ich keinen Einfluss mehr habe.“ Nur eines bedauert die Mitarbeiterin im Möbel-Einzelhandel: „Aus der Sicht von heute wäre es schlauer gewesen, mehr Fokus auf Job, auf Karriere, auf finanzielle Unabhängigkeit zu legen.“
Wolfgang (90): „Man darf sich um Gottes willen nicht in eine Mitleidsblase flüchten“
Wolfgang, ein 90-Jähriger aus Dresden, verlor vor Kurzem seine Lebenspartnerin, mit der er 45 Jahre lang zusammen war. Er lernt jetzt, wieder selbstständig zu sein und ein auch im Alter geordnetes Leben zu führen: „Man muss aufstehen. Auch einer traurigen Stimmung kann man durch Aufstehen entfliehen.“ Im Bett bleibe man hingegen allein: „Das Kopfkino ist eine verteufelte Angelegenheit.“
Auch beim Frühsport ist der ehemalige Journalist eisern: „Wenn der Körper nicht mehr mitspielt, geht gar nichts mehr. Ich möchte, solange es geht, in meiner Wohnung, in meinem Umfeld bleiben.“
Ganz gezielt sucht Wolfgang den alltäglichen Kontakt zu Menschen, sei es die Blumenverkäuferin oder die Enkelin. „Man darf sich nicht abkapseln“, mahnt er. „Man darf sich um Gottes willen nicht in eine Mitleidsblase flüchten. Je weniger man sich interessiert, desto mehr fehlt Gesprächsstoff, den man mal hatte.“ Eine Über-80-Jährige aus seinem Bekanntenkreis lese keine Zeitung mehr. Das sei ein abschreckendes Beispiel: „Du kannst dich mit dem Menschen über nichts unterhalten. Die weiß nichts! Das ist belastend. Man muss doch mitreden können.“
„Das Leben ist so konzipiert, dass es an sich toll ist“
Alle drei trafen sich am Ende der Dreharbeiten, und selbstverständlich hatten sie einander über das Leben viel zu sagen, über die Verletzungen, die man erlitten und verursacht hat: „Mit blütenweißer Weste kommt man nicht durch die Jahrzehnte“, weiß Wolfgang, der manches bereut, aber auch festhält: „Das ist das Tolle am Leben, Beziehungen einzugehen, Menschen kennenzulernen. Das Leben ist so konzipiert, dass es an sich toll ist. Man lebt und es ist fantastisch und was Großes.“
Einmal mehr eine „37°“-Reportage so warm wie das Leben selbst.
„37°: Die großen Fragen des Lebens - Drei Generationen geben Antwort“ ist am Dienstag, 5. November, 22.15 Uhr, im ZDF zu sehen und schon vorab in der ZDF-Mediathek. (tsch)