Abschied nehmenEltern erzählen, was ihnen nach dem Tod ihres Kindes geholfen hat
Wie gehen Mütter und Väter damit um, ihr Kind zu verlieren? Was hilft, wenn eigentlich nichts mehr hilft? Wie kann man überhaupt weiterleben? Die Autorinnen Silia Wiebe und Silke Baumgarten haben verwaiste Eltern zu Hause besucht und sie gefragt, was ihnen gutgetan hat in der Trauer und wie sie zurückfanden ins Leben. Entstanden ist ein wichtiges Buch, das "Trauerbuch für Eltern".
Willis 15-jährige Tochter Linda starb bei der Germanwings-Katastrophe, als ein lebensmüder Pilot das Flugzeug absichtlich in den französischen Alpen abstürzen ließ. Willi sagt, er wolle den Schmerz um seine Tochter bewusst empfinden, weil dieser Schmerz das einzige ist, was ihm von ihr geblieben ist. Oft geht er in ihr noch unberührt stehendes Zimmer und lässt sich ganz auf sie ein und wenn die Tränen fließen, dann wehrt er sich nicht dagegen.
Sehr berührend ist, dass neben diesem nachdenklichen Vater auch die Mutter von Linda ihre Trauer erzählt, in einem gesonderten Protokoll. Daraus entstanden zwei vollkommen unterschiedliche Geschichten. In der Trauer empfindet niemand gleich.
Nicht alleine zu Hause sein
Carolas Sohn Lukas litt an einer Stoffwechselstörung, die gleich nach seiner Geburt diagnostiziert worden war. Ihr war es wichtig, bald wieder arbeiten zu gehen, als ihr Kind gestorben war. Es tat ihr gut, nicht alleine zu Hause zu sein.
Anja halfen vor allem die vielen Freunde, die immer präsent waren, als ihre immer kerngesunde einjährige Tochter Sarah an einem Magendarminfekt erkrankte und innerhalb von nur 24 Stunden starb.
Renate wollte sich wehren, sie wollte nicht einfach hinnehmen, dass ein LKW-Fahrer ihren 13-jährigen Sohn an einer Straßenkreuzung überfahren hatte, nur weil er sich nicht richtig umgeschaut hatte. Sie kämpfte für ein sicheres Ampelsystem und bestand darauf, dass sich der Fahrer vor Gericht verantworten musste.
Tanja machte eine Ausbildung zum Clown, als ihr schwerst behinderter Sohn Kilian gestorben war. Weil sie von ihm gelernt hatte, wie wichtig Humor ist.
Auch dass Partnerschaften an der Trauer um ein Kind zerbrechen können, zeigt dieses Buch. Jeder Mensch verarbeitet ein solches Schicksal auf seine ganz eigene Art und Weise und manchmal fehlt die Kraft, sich gegenseitig aus der Not zu retten, weil sich jeder erstmal selbst retten muss.
Kein Ratgeber, sondern eine Sammlung an individuellen Erfahrungen
Dieses Buch ist kein Ratgeber, das den Lesern vorschreibt, was genau zu tun ist in der Trauer. Weil jeder Mensch etwas anderes braucht in der schlimmsten Zeit seines Lebens. Der eine will reden, der andere schweigen. Der eine braucht schon bald wieder die Stabilität seines geregelten Arbeitsplatzes. Der andere muss sich erstmal verkriechen und Kraft sammeln zu Hause, ehe er sich wieder in das Leben traut.
„Das Trauerbuch für Eltern“ zeigt sehr anschaulich, dass es in einer solch markerschütternden Krise nicht den einen Weg, das eine Geheimrezept gibt. Es ist ein gefühlvolles Buch, das von den Menschen lebt, die so offen über ihre Gefühle sprechen. Menschen in Extremsituationen und Geschichten, die unheimlich gut, eingehend und respektvoll geschrieben sind.
Warten und Nichtstun hilft meistens am wenigsten
Es ist nicht nur ein Buch für Trauernde, sondern für jeden Menschen. Weil jeder im Laufe seines Lebens mit dem Tod und der Trauer konfrontiert wird. Zum Beispiel, weil ein Kind im Bekanntenkreis stirbt und man nicht weiß, was man sagen soll. Einfach vorbeigehen und klingeln und Trost spenden? Oder lieber Abstand halten und warten, bis Ruhe eingekehrt ist? Warten und Nichtstun, das erzählen fast alle der elf Familien in diesem Buch, hilft meistens am wenigsten. Denn in der Trauer braucht man Menschen, die da sind, die zuhören und die da bleiben. Auch wenn es immer wieder dieselben Erinnerungen und derselbe Schmerz ist, den Betroffene erzählen wollen.
Wer aber erstmal versteht, wie Trauer funktioniert, der kann Trauernden ganz anders begegnen. Offener. Verständnisvoller. Geduldiger. Und das ist das Wunderbare an diesem Buch: Betroffene finden sich in den Gefühlen der Dargestellten wieder, aber auch diejenigen nehmen ganz viel mit, die nicht selbst betroffen sind, sondern die nicht genau wissen, wie sie mit Betroffenen umgehen sollen. In der Einsamkeit nach einem Verlust, lernt man hier, gibt es nichts Schlimmeres, als auch noch einsam zu werden, weil niemand sich traut, einfach mal mit einer Suppe oder ein paar Blumen vorbeizukommen und zu fragen: „Wie geht es dir eigentlich, was hilft dir jetzt am meisten?“
Kein Buch über den Tod sondern über das Leben
Die beiden Autorinnen wissen selbst wie es ist, ein Kind zu verlieren. Silia verlor zwei Kinder in der späten Schwangerschaft und schildert, wie sie mit dem Verlust ihres zweiten totgeborenen Kindes umging. Silkes Tochter kam mit einer schweren Behinderung zur Welt und starb mit neun Jahren doch überraschend. Gemeinsam schrieben sie das Buch, das sie sich gewünscht hätten, als sie um ihre eigenen Kinder trauerten. Als sie alle Eltern besucht hatten, sprachen sie mit der renommierten Trauerexpertin Professor Verena Kast. Im allerletzten Kapitel erläutert Verena Kast, was es mit den typischen Trauerphasen auf sich hat, was Träume in der Trauer bedeuten, was den Geschwistern von gestorbenen Kindern guttut und wie wir uns durch den tiefen Schmerz eines so großen Verlustes verändern.
Der Text ist zuerst auf dem Blog Stadt Land Mama erschienen.
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