Traurige Festtage für Singles? Nö!So wird Einsamkeit zum Fremdwort
Köln – Die betagte Anruferin erzählt und erzählt. Über ihre Kindheit in Litauen. Vertreibung. Hunger. Angst. Bei Christina Herbert stößt sie – anders als beim Nachwuchs („Ach komm, Lisbeth, das haben wir doch schon zig Mal gehört“) – auf offene Ohren.
Christina arbeitet ehrenamtlich fürs Plaudertelefon. Doch das ist nicht das einzige Projekt, das die Kölnerin in Corona-Zeiten angeht. „Einsamkeit kenne ich nicht“, sagt die 65-Jährige. Sie ist das beste Beispiel, wie man als alleinlebende Rentnerin diese schwere Zeit gut übersteht.
Einsam an Weihnachten – Das geht dieses Jahr vielen so
Viele ältere Singles hadern in diesen Tagen mit ihrem Schicksal. Ständig allein zu Haus, keiner kommt vorbei, nicht einmal zu Weihnachten. „Klar, könnte ich wie so viele auch nur klagen“, sagt Christina Herbert. „Ich habe Rheuma und Bluthochdruck, hatte letztes Jahr nach einer Sepsis eine Nahtoderfahrung, bin 65, Single und verlasse in dieser Zeit nur selten meine Wohnung.“
Mit Schwung wirft sie ihre rote Mähne nach hinten und lacht: „Aber ich sehe es mal so: Ich lebe. Ich habe plötzlich begriffen, wie begrenzt die Zeit doch ist und habe mir gesagt »Da musst du doch was Gutes tun für dich – und für die anderen«.“
Virtuelles Dialog-Café gegen die Einsamkeit
Christina ist überzeugter Single. „Ich habe 44 Jahre in der Krankenpflege gearbeitet, jetzt habe ich keine Lust mehr, einen Mann zu pflegen“, grinst sie. Doch das Helfer-Syndrom liegt ihr nun mal in den Genen. Im Seniorenzentrum Köln-Riehl hat Christina, die leidenschaftlich gern singt und sogar Unterricht nimmt, schon vor einiger Zeit das Singen für Senioren ins Leben gerufen.
Geht nicht mehr – wegen Corona. Aber ist das wirklich ein Hindernis? Natürlich nicht. Zufällig hörte sie vom virtuellen Dialog-Café für Senioren, das Telekom-Botschafter Sebastian Arens ins Leben gerufen hat (wer per Zoom zugeschaltet werden will, kann sich unter virtuellesdialogcafe@magenta.de ab 3. Januar melden, jetzt geht’s in die Weihnachtspause).
Virtuelle Mitsingkonzerte nutzen
Im Januar gibt’s Kurse wie „Später Mausklick – digital“, Kulturgruppen oder eben auch gemeinsames Singen mit Christina. „Ach, über den Gesang erreicht man so viel“, schwärmt das kölsche Vollweib. Das erlebte sie erst kürzlich wieder am Plaudertelefon. Da habe sie mit einer alten Frau einfach mal „Hoch auf dem gelben Wagen“ geschmettert – herrlich!
Sie freut sich, dass das neue Angebot so gut angenommen wird. Denn es ist schließlich wissenschaftlich bewiesen: „Einsamkeit macht krank, anfälliger für Herzinfarkt, Schlaganfall, Depressionen, Demenz und Krebs. Das betrifft derzeit viele. Die aktuellen Einschränkungen „machen einsam und sie drücken aufs Gemüt“, bedauerte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier diese Woche in einer Ansprache.
Einsam? Senioren sollen unbedingt online gehen
Deshalb wirbt Christina dafür, dass immer mehr Senioren sich trauen, online zu gehen – wie sie. „Das ist kein Zauberwerk“ und eröffne so viele Möglichkeiten. Silvester zum Beispiel. Da bleibt sie zwar – wie es sich in Corona-Zeiten gehört – allein zu Haus, aber es gibt’s dennoch ’ne fette Party. „Meine Freunde und ich feiern per Zoom. Jeder hat eine Flasche Champagner auf dem Tisch, es wird gesungen und viel erzählt.“ Ach ja, auch mit ihren alten Kolleginnen treffe sie sich einmal wöchentlich im Netz.
Christina nutzt die Möglichkeit zum virtuellen Austausch aber auch für ein ernstes Thema. „Nach meiner Nahtoderfahrung habe ich in Köln das »Café Mortel«, das die Künstlerin Tina Damm initiiert hat, kennengelernt. In unterschiedlichen Locations haben wir uns bis zum Lockdown getroffen und über den Tod geredet.“ Auch das geht jetzt übrigens virtuell (anmeldung@cafe-mortel). Wundert sich da noch einer, dass der Tag für die Powerfrau ruhig 48 Stunden haben könnte?
Lockdown: Einfach am Telefon plaudern
Über zehn Millionen Menschen sind bundesweit immer noch offline – in über 75 Prozent der Fälle handelt es sich dabei um Rentner. Doch auch für sie gibt es Hilfe. Das Silbernetz (Telefon 0800/470 80 90) machte den Anfang, ist wegen der großen Resonanz über die Feiertage von Heiligabend von 8 Uhr morgens bis Neujahr um 22 Uhr durchgehend erreichbar.
In Köln gibt’s seit November das Plaudertelefon (0221/954 91263), wo Senioren donnerstags und sonntags zwischen 16 und 19 Uhr (Heiligabend 15 bis 18 Uhr) erzählen können, was ihnen am Herzen liegt.