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Neid und ZoffWenn die Beziehung zwischen erwachsenen Geschwistern eskaliert

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Leider keine Seltenheit: Brüder und Schwestern sind im Dauerstreit, nerven sich zu Tode, haben keine Lust auf den anderen oder hassen sich so sehr, dass sie den Kontakt abbrechen.

Köln – Es könnte doch alles so schön sein: Erwachsene Geschwister, die sich treu zur Seite stehen, dem anderen Ansprechpartner und Helfer in jeder Lebenslage sind. Schließlich kennt man sichschon ein Leben lang. Die Realität aber sieht oft ganz anders aus: Brüder und Schwestern sind im Dauerstreit, nerven sich zu Tode, haben keine Lust auf den anderen oder hassen sich so sehr, dass sie den Kontakt abbrechen.

Die Journalistin Susann Sitzler hat ein Buch über „Geschwister“ geschrieben und weiß, warum bei vielen Brüdern und Schwestern im Erwachsenenalter der Familiensegen schief hängt. Und warum Geschwisterbeziehungen oft von Unmut, Neid und Missgunst bestimmt sind. Ein Gespräch.

Es gibt Geschwister, die seit Jahren keinen Kontakt haben. Oder sich abgrundtief hassen. Warum ist die Beziehung zwischen erwachsenen Geschwistern oft so problematisch?

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Susann Sitzler

Susann Sitzler: Weil sie Konflikte aus der Kindheit im Erwachsenenalter weiterführen. Unter Geschwisterkindern haben Neid und Rivalität in der Regel noch spielerischen Charakter. Sie gehören sogar dazu. Wenn man diese Streitpunkte aber auf Dauer nicht löst und sich nicht abgrenzen lernt, kann sich das ins spätere Leben weitertragen. Dann fechten Geschwister einen kindlichen Kampf aus, aber mit den Mitteln und der Ernsthaftigkeit eines Erwachsenen. Und das kann ziemlich ausarten.

Dann liegt einem Streit zugrunde, dass einer damals immer „Papas Liebling“ war…?

Sitzler: Dass eines von den Eltern bevorzugt wurde, ist natürlich der Klassiker unter den Vorwürfen. Ein solcher Eindruck hat aber häufig mit der eigenen Sicht zu tun. Wenn man als Erwachsener diese Dinge gemeinsam mit den Geschwistern noch einmal reflektiert, zeigt sich vielleicht, dass der „Liebling“ selbst total darunter gelitten hat, weil er Vorbild sein und immer alles super machen musste. Dass das, was die einen als Privileg erlebt haben, der andere vielleicht sogar als Last empfunden hat. Oft ist es den Geschwistern auch gar nicht bewusst, dass sie in einem früheren Stadium von sich selbst feststecken – und den Bruder oder die Schwestern vielleicht gar nicht so sehen, wie er wirklich ist.

Was kann in dem Fall helfen?

Sitzler: Mit seinen Geschwistern erwachsen zu werden, bedeutet auch, die Rollen, die man als Kind hatte, zu hinterfragen. Zu verstehen, dass vieles damit zu tun hat, was die Eltern den Kindern an Eigenschaften zugeschrieben haben. Davon sollte man sich lösen. Und sich fragen: Wer ist der andere eigentlich wirklich? An diesem Punkt entscheidet es sich, ob daraus eine erwachsene Beziehung werden kann oder es eine kindliche bleibt.

Wie ich als Kind den Tod meines kleinen Bruders erlebte (jetzt lesen)

Muss man dafür mit den Geschwistern ins Gespräch kommen?

Sitzler: Man kann es grundsätzlich auch mit sich selbst lösen, aber es hilft natürlich ungeheuer, wenn Geschwister miteinander sprechen. Einmal anzuhören, was das andere denkt oder wie es die Situation beurteilt. Gerade bei Geschwisterbeziehungen ist es aber häufig so, dass viele dieser Konfliktpunkte unausgesprochen und unreflektiert bleiben, weil sie oft nicht bemerkt werden. An Weihnachten bei den Eltern verfallen Geschwister vielleicht sofort in die alten Rollen, stellen das aber nicht in Frage.

Woran entzünden sich brodelnde Geschwistergefühle im Erwachsenenalter dann oft?

Sitzler: Wenn die Eltern alt werden oder sterben und es um Grundsatzentscheidungen wie die Pflege oder das Erbe geht, also die Kinder plötzlich in die Verantwortung kommen, dann brechen die Konflikte oftmals richtig auf. Das Problem ist, dass genau dann die Zeit drängt und schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen. Es ist kein Raum da, um sich mit seinen Geschwistern an einen Tisch zu setzen und eine Beziehung zu klären.

Diese Sache entscheidet, wer das Lieblingskind in der Familie ist (hier erfahren)

Verschärft der Druck, zusammenarbeiten zu müssen, alte Geschwister-Probleme?

Sitzler: Häufig ja. Und dann eskalieren die Beziehungen. Die Zuschreibungen und Vorurteile aus der Kindheit verselbständigen sich. Die Schwester denkt vielleicht: „Immer muss ich alles machen!“. Der Bruder: „Immer bestimmt die!“

Neid, Missgunst, Abneigung – warum sind Emotionen zwischen Geschwistern oft so extrem?

Sitzler: Mit dem Geschwister lernt man als Kind die allermeisten Gefühle zum ersten Mal kennen. Das ist die erste Beziehung auf Augenhöhe. Hier können Kinder in sicherem Rahmen üben, sich abzugrenzen, zu konkurrieren, zu streiten. Für Kinder ist ja alles immer total ernst, sie können noch nicht distanzieren. Jedes Gefühl ist hundert Prozent präsent.

Erwachsene können sich normalerweise besser regulieren. Ist aber der Bann schon gebrochen, wie es bei Geschwistern der Fall ist, dann geht man in der Regel nicht mehr dahinter zurück. Weil man sich vertraut ist und es einfach immer so gemacht hat. Und dann brüllt und kämpft man wie früher. Es krachen auf einmal zwei erwachsene Kräfte aufeinander. Und diese emotionale Wucht kann eine Beziehung beschädigen oder zerstören.

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Kann auch die Liebe ein Grund sein, warum Geschwister sich so intensiv streiten?

Sitzler: Ich würde eher sagen, es hat mit dem Vertrauen zu tun, dass der andere da ist und bleibt. Es ist nicht automatisch so, dass alle Geschwister sich lieben, das bestätigt auch die Forschung. Das ist eher ein Ideal. Aber das Vertrauen entsteht relativ unweigerlich. Und das ist auch der Grund, warum man beim Streiten mit Geschwistern in die Vollen geht.

Stichwort „der bleibt da“ – ist nicht auch die Angst berechtigt, dass man sich doch verliert?

Sitzler: Man kann ja Geschwister in dem Sinne nicht verlieren. Man kann den Kontakt abbrechen, was zuweilen vorkommt. Doch der andere bleibt immer ein Geschwister. Es ist vielleicht keine Beziehung, auf die ich im Alltag setze, aber das Verhältnis bleibt.

Manche Geschwister haben sich entfremdet oder kein übermäßiges Interesse am anderen – vielleicht weil sie einfach so unterschiedlich sind. Sollte man das trotzdem intensivieren?

Sitzler: Das muss jeder persönlich entscheiden. Es ist aber nicht so, dass man automatisch miteinander kann, nur weil man miteinander aufgewachsen ist. Manche Geschwisterbeziehungen dümpeln so dahin. Auch das ist vollkommen in Ordnung. Geschwisterliebe ist ein Glück und ein Geschenk, aber nicht selbstverständlich.

Häufig ist es so, dass Geschwister, wenn sie selbst Kinder kriegen, die Verbindung wieder intensivieren. Weil sie sich wünschen, das die oder der andere als Tante oder Onkel im Leben der Kinder zu haben. Das Verhältnis wird dann eher rituell gepflegt als aus einem Bedürfnis heraus. Je nachdem, wie hoch man familiäre Werte hängt. Manche finden ihr Geschwister aber vielleicht auch so schräg oder langweilig, dass sie diesen Menschen nicht als Bezugsperson für die eigenen Kinder haben wollen.

Das heißt, man muss nicht jede Geschwisterbeziehung pflegen?

Sitzler: Viele zweifeln daran, ob sie sich von ihrem Bruder oder ihrer Schwestern distanzieren dürfen. Es ist eine schwierige Frage. Aber klar ist, dass auch eine Geschwisterbeziehung einen beschädigen kann, wenn etwa schwere Konflikte nicht lösbar sind. Dann ist es sinnvoller, auf Distanz zu gehen.

Sehr häufig spielt hier auch die Erwartung der Eltern eine Rolle, ihr Wunsch, dass Geschwister guten Kontakt miteinander haben sollen. Das kann aber paradoxerweise Geschwisterkonflikte noch verstärken. Geschwister, die nicht miteinander können, weichen sich eigentlich automatisch aus. Wenn die Eltern das nicht ertragen und den Druck erhöhen, geht das oft nach hinten los.

Birgt die Abwesenheit der Eltern die Chance, zusammenzurücken oder sich zu lösen?

Sitzler: Genau, das sind die beiden Optionen, die auftreten sobald die Eltern ihre Definitionsmacht verlieren. Häufig kommt die Klärung dann, wenn man sich von den Zuschreibungen der Eltern löst. Oder wenn sie sterben. Nach dem Grundsatz: „Jetzt kann ich selber bestimmen, was ich in dieser Familie sein will!“ Es kann sein, dass sich Geschwister dann neu kennenlernen und positiv überrascht sind. Oder auch, dass sie ohne Zwang einfach kein Interesse mehr aneinander haben.

Wenn man jetzt wirklich den Kontakt abbricht, tut es doch trotzdem weh, oder?

Sitzler: Ja. Mit Geschwistern geht das immer sehr tief. Sie sind in die eigene Identität, in die soziale DNA, eingeschrieben. Man ist mit ihnen aufgewachsen und definiert sich auch im Vergleich zu ihnen. Wenn man sich selbst aus diesem Zusammenhang herausnimmt, dann bleibt da eine Lücke. Und das kann extrem schmerzhaft sein. Ich glaube, so einen bewussten Bruch macht keiner einfach so.

Es gibt auch Geschwister, die sich als Erwachsene gut verstehen. Welche Chance steckt in der Geschwisterbindung?

Sitzler: Es ist eine ganz tiefe, komplexe Beziehung, die das ganze Leben umfasst. Das ist ein großer Schatz, einen Menschen zu haben, der einen so lange kennt. Geschwister sind ja auch eine Art Familienarchiv, sie teilen Erinnerungen, Gefühle und Geschichten aus der gesamten Lebensspanne.

Und es ist eine sehr entwicklungsfähige Beziehung. Man kann miteinander ganz viele Phasen durchlaufen. Allein schon deswegen lohnt es sich, sich auch später nochmal neu kennenzulernen. Man lernt auch viel über sich selbst, wenn man sich zu einem Geschwister neu positioniert.Und wenn es gut läuft, können Geschwister ja auch so eine Art „Super-Freund“ werden, der alles für den anderen tun würde.

Vielen Dank für das Gespräch.