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10 FragenSo ist es, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen

Vater, Mutter, Kind. Auf den ersten Blick sieht auch eine Pflegefamilie aus, wie eine ganz gewöhnliche Familie.

Jessica hat Muttergefühle, obwohl sie nicht Mo's Mutter ist. Aber irgendwie ist sie das ja doch. Der Sechzehnjährige wohne insgesamt drei Jahren bei ihr – als Pflegekind. Heute lebt der junge Mann in einer eigenen Wohnung ganz in der Nähe.

„Ich wurde von einem auf den anderen Tag Teeniemutter“, sagt Jessica, die noch eine dreijährige leibliche Tochter hat. „Das ging alles sehr schnell und plötzlich durfte ich mich neben den Trotzphasen meiner Tochter auch noch um den Liebeskummer des Großen kümmern.“ Heute seien ihre beiden Kinder ein Herz und eine Seele. „Da passt kein Blatt mehr dazwischen“, sagt sie. Auch wenn es natürlich manchmal ordentlich knallt bei ihnen zu Hause.

Welche Schwierigkeiten können auftauchen?

„Meist ist es ein solides Fundament wenn schon Kinder da sind“, sagt Timm Boldt, Diplom-Psychologe und systemischer Familientherapeut aus Kolkwitz. Aber es kann eben auch anders als in Jessicas Familie zu Konflikten führen, wenn sich etwa das nicht-leibliche Kind benachteiligt fühlt im Vergleich zu den Geschwistern. Oder wenn die Schicht, aus der das Pflegekind kommt, eine ganze andere ist und es sich dadurch unterlegen fühlt.

Wie reagieren die Kinder?

Die räumliche - und manchmal auch emotionale - Trennung von der Herkunftsfamilie ist für Kinder und Jugendliche immer ein einschneidendes Erlebnis. Viele Kinder reagieren mit Verunsicherung. Auch können Schuldgefühle, Angst, Wut und Gefühle der Hilflosigkeit entstehen. Kinder brauchen dann ganz besonders Geborgenheit, Sicherheit, Liebe, Verständnis, Anerkennung und Hilfe. „Das sollten Familien wissen, die überlegen, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen“, sagt Ute Ducrée vom Pflegekinderdienst des Jugendamts Essen.

Wie gehe ich mit der Vergangenheit um?

Mal ist es gar nicht so leicht, den Alltag mit Pflegekindern zu bewältigen. Es braucht Hilfen von außen.  

Kinder fordern uns heraus, das gilt nicht nur für Pflegekinder, sondern auch für leibliche. Der Unterschied ist, dass Pflegekinder mit einer Geschichte in die neue Familie kommen. Sie haben die Erfahrung eines Verlustes durchgemacht und möglicherweise existentielle Krisen durchlebt. Das hinterlässt Spuren. Pflegeeltern müssen lernen, im Alltag mit besonderen Situationen umzugehen. Pflegemutter Jessica beschreibt es als Achterbahn. „Mit der Zeit habe ich gelernt, die Hochphasen mehr zu schätzen, um in den Tiefphasen davon zu zehren.“ Liebe allein reiche nicht, das sagt auch Psychologe Timm Boldt. Es brauche viel Geduld und Durchhaltevermögen.

Wer kann Pflegefamilie werden?

Anders als bei der Adoption ist die Lebensform der Pflegeeltern nicht entscheidend. Pflegeeltern werden können verheiratete und unverheiratete Paare, gleichgeschlechtliche Paare, aber auch Einzelpersonen mit oder ohne eigene Kinder. Sie müssen allerdings gewisse formale Voraussetzungen erfüllen: Der Altersunterschied zwischen Pflegekind und -eltern sollte so sein, dass sie auch die leiblichen Eltern sein könnten. Sie sollten in gesicherten finanziellen Verhältnissen leben und ihre Wohnung sollte groß genug sein.

Was müssen Pflegeeltern mitbringen?

Das Pflegekind benötigt außerdem kontinuierliche Bezugspersonen. Die Pflegeeltern müssen Zeit haben oder sich diese nehmen. Des Weiteren wird ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis erwartet. So weit die Formalitäten.

Es gilt aber auch, einige persönliche Voraussetzungen zu erfüllen: Einfühlungsvermögen, Geduld und Durchhaltevermögen, Belastbarkeit und Konfliktfähigkeit und Flexibilität sind unabdingbar. Außerdem sollten Pflegeeltern altersentsprechend auf ihr Kind eingehen können und der Herkunftsfamilie– falls noch Kontakt besteht – Akzeptanz und Respekt entgegen bringen.

Jessica kann das nur unterschreiben. Sie sagt aber auch: „Die Theorie kann einen nie ganz auf die Realität vorbereiten.“

Es nicht unüblich, dass die Emotionen in Pflegefamilien schon einmal hochkochen. Da kann es auch mal Tränen geben.  

Was sollten Pflegeeltern-Anwärter vorab bedenken?

Wer überlegt, ein Kind aufzunehmen, sollte sich einige Dinge vorab überlegen: „Gehen Sie in sich und überlegen Sie genau, welche Motive Sie haben, um ein Pflegekind bei sich aufzunehmen", rät Timm Boldt, der in seiner Praxis oft mit Pflegeeltern zu tun hat. Die Entscheidung für ein Pflegekind sollte gut durchdacht sein. Das brauche Zeit. Ute Ducrée sagt, die ganze Familie müsse dahinter stehen, die Geschwister, Oma und Opa. „Damit alle zusammenstehen können, falls doch Probleme auftauchen.“

Pflegekinder sind Kinder, die mit einer Vorgeschichte in die neue Familie kommen. Und es sind Kinder, die noch andere Eltern haben. Traue ich es mir zu, einen Menschen mit all seinen Eigenschaften aufzunehmen?

„Wichtig ist es, dass Eltern dem Kind das Gefühl geben, dass sie es so akzeptieren, wie es ist“, sagt Timm Boldt. Mit all seinen positiven und negativen Eigenschaften.

Welche Schritte sind erforderlich, um ein Kind bei sich aufzunehmen?

Ja, wir wollen: Was muss man tun?

Wer sich entschieden hat, sich als Pflegeeltern zu bewerben, wendet sich zunächst einmal an das Jugendamt. Dort wird ein erstes Gespräch vereinbart – zum Kennenlernen. Es folgen weitere intensive Gespräche zur Vorbereitung, darin geht es um pädagogische, psychologische, rechtliche und formale Themen. Aber auch um das Kennenlernen, um einzuschätzen, welches Kind zur Familie passen könnte, nicht umgekehrt. Es folgen Seminare zur Vorbereitung, „bis es zur Vermittlung kommt, vergeht oft ein Jahr“, sagt Ducrée.

Bei Jessica war es anders: Sie hatte sich gar nicht als Pflegemutter beworben, Mo stand einfach irgendwann vor der Tür. Er gehörte zum erweiterten Familienkreis, es ist also eine Verwandtschaftspflegestelle. Der Kontakt zum Jugendamt erfolgte dann nachträglich, Schritt für Schritt.

Was kann Pflegeeltern helfen?

„Bei uns läuft es im Grunde bestens, trotzdem komme auch ich immer wieder an meine Grenzen“, sagt Jessica. Wichtig sei deshalb der Austausch mit anderen Pflegeeltern. Das bestätigt auch Ute Ducrée. Gruppenangebote und Stammtische zum Austausch seien sehr wichtig. „Wir bieten vom Jugendamt auch Fortbildungsangebote für die Pflegeeltern, die sehr gut angenommen werden.“ Jessica mag an diesen Treffen, dass sie mit anderen ihre Ängste, Sorgen und Emotionen austauschen kann. „Da ist auch Raum für Trauer oder Wut“.

Und wenn doch alles schief läuft? Wie oft kommen Abbrüche vor? „Nicht oft“, sagt Ducrée, das liege an der intensiven Vorbereitung und Auswahl der Kinder für die Familie, aber auch an der dauerhaften stetigen Hilfe für die Pflegeeltern. „Wir geben uns sehr viel Mühe, das gut zu begleiten“, sagt sie. Die Familien hätten einen festen Ansprechpartner, den sie jederzeit erreichen könnten.

Wer hilft bei Unstimmigkeiten?

Bei Problemen sollten sich Eltern frühzeitig trauen, Hilfe einzufordern, empfiehlt Ducrée. Dann, wenn es noch gar nicht zu größeren Unstimmigkeiten in der Familie gekommen sei. Die Pubertät etwa könne eine schwierige Zeit sein. Die Pflegekinder machten sich auf die Suche nach ihrer Identität, da könnten die Emotionen schon mal hochkochen.

Auf was sollte ich mich vorbereiten?

Im ersten halben Jahr kommt es meist noch nicht zu Problemen. „Erst danach trauen sich viele Pflegekinder auch mal, ihre nicht so guten Seiten zu zeigen. „Das kann man vergleichen mit einer neuen Partnerschaft. Da zeigen sich ja auch die meisten Menschen von ihrer Sonnenseite und erst später lernt man sich wirklich kennen“, sagt Ducrée. Sie sieht das aber nicht kritisch, im Gegenteil: Wenn die Kinder sich trauten, auch mal zu rebellieren, dann sei das ein Zeichen dafür, dass sie angekommen sind, dass sie eine erste Bindung aufgebaut haben. Geduld und Durchhaltevermögen seien auch hier gefragt.

„Ich wachse immer noch in die Rolle der Pflegemutter hinein, auch nach Jahren noch“, sagt Jessica. Liebe allein reiche nicht, weiß sie. „Aber: Wo Liebe ist, da ist auch Familie.“

Über ihre Erfahrungen als Pflegemutter berichtet Jessica auch in ihrem Blog Feiersun.

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