Über 500.000 Überwachungskameras gibt es in Deutschland. Viele davon überwachen den privaten Raum, zum Beispiel Hauseingänge. Aber ist das immer erlaubt?
Überwachungskameras filmen inzwischen überall: an öffentlichen Plätzen, am Arbeitsplatz, in Banken oder Supermärkten, an Tankstellen und in Parkhäusern, Bussen, Bahnen und in Autos - ja sogar im Wald zur Wildkontrolle. Etwa über eine halbe Million Kameras nehmen inzwischen deutschlandweit ihre Umwelt auf – und zwar vor allem privat.
Und das Ausmaß wächst, weil die Geräte immer günstiger und leistungsfähiger werden. Beim Kamera-Kauf zählen vor allem Preis, Ausstattung und die vermeintlich gewonnene Sicherheit. Die rechtliche Seite interessiert hingegen kaum. Sicherheit rechtfertigt schließlich staatliche Überwachung im großen Stil, behaupten Befürworter. Und „Big Brother“ im Fernsehen zeigt, dass Überwachung sogar unterhaltsam ist. Ist also alles erlaubt? Muss ich Nachbars Kamera, die mir direkt ins Schlafzimmer blickt, hinnehmen?
Was darf überwacht werden?
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass private Videokameras öffentliche und fremde private Flächen nicht erfassen dürfen (Az.: V ZR 265/10). Das gilt auch für einen gemeinsam mit anderen genutzten Zugang zum eigenen Grundstück. Denn die Beobachtung verletzt Betroffene in ihrem besonders geschützten, allgemeinen Persönlichkeitsrecht – konkret im sogenannten Recht am eigenen Bild und im Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Ersteres sorgt dafür, dass man fremde Personen nur mit deren Einwilligung abbilden darf. Jeder Mensch soll selbst bestimmen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Zwischen dem Persönlichkeitsrecht und dem Überwachungsinteresse ist zwar stets abzuwägen. Das Interesse am Kamerabetrieb muss jedoch schon überragend wichtig sein, damit es stärker wiegt. Ein Beispiel wäre ein naheliegender, nicht anders abwendbarer und schwerwiegender Angriff.
Der NRW-Datenschutzbeauftragte Ulrich Lepper hat vor einer zunehmenden Überwachung des öffentlichen Raums durch Bürger gewarnt. Private Kameras - wie die in Autos installierten Dashcams - verstießen gegen den Datenschutz. Es sei nicht zulässig, Videoaufnahmen auf Vorrat für den Fall eines Unfalls zu machen, der möglicherweise nie passiere. „Das ist ein Blockwartverhalten, das ich überhaupt nicht gutheißen kann“, sagte Lepper. Als Beispiele für private Überwachung nannte er neben den sogenannten Dashcams Videokameras an Häuserwänden oder an Gartenzäunen.
Ein Gericht im bayrischen Ansbach verhandelte Mitte September 2014 über die Klage eines Autofahrers, der mit einer solchen Kamera den Straßenverkehr gefilmt hatte. Das bayrische Landesamt für Datenschutzaufsicht hatte ihm die Dashcam-Nutzung verboten. Befürworter von Auto-Kameras argumentieren dagegen, die Aufnahmen könnten im Falle eines Unfalls als Beweismittel genutzt werden. Der NRW-Datenschutzbeauftragte Lepper kritisierte, die Filmaufnahmen verletzten die Rechte der anderen Verkehrsteilnehmer.
„Wir haben das Recht, uns im öffentlichen Raum frei zu bewegen. Wenn überall Kameras installiert werden, ist diese Freiheit nicht mehr gegeben“, so Lepper. Videoaufnahmen könnten nur unter engen Voraussetzungen stattfinden und seien insbesondere auf Vorrat nicht zulässig. Auch für die Überwachung des öffentlichen Raums durch Polizei und Behörden müssten hohe Hürden gelten. So forderte Lepper, Filmaufnahmen an Kriminalitätsschwerpunkten nur zuzulassen, wenn die Polizei auch mit Einsatzkräften vor Ort ist. „Was hat es für einen Sinn, eine Gefahr oder Straftat zu fotografieren, wenn man nicht sofort einschreiten kann?“
In den allermeisten Fällen dürfte es keinen solchen Grund geben, und die Überwachung öffentlicher und fremder privater Flächen muss unterbleiben. Sie ist nicht erlaubt, wenn eine Kameralinse intime Lebensbereiche erfasst - etwa wenn sie Einblicke in eine fremde Wohnung gewährt. Außerhalb davon liegende Bereiche lassen sich - sofern nicht anders möglich - durch angebrachte Sichtblenden an der Kamera schützen.
Betroffene können die Unterlassung übrigens auch schon verlangen, wenn sie eine Überwachung befürchten müssen. Dazu bedarf es aber konkreter Tatsachen, zum Beispiel einen heftigen Streit mit dem Kamerabetreiber. Erst dann lässt sich eine drohende Verletzung des Persönlichkeitsrechts annehmen. Diese kann in schweren Fällen neben Schadensersatz auch zu einer Entschädigung in Geld als Genugtuung führen.
Wie darf überwacht werden?
Nicht erlaubt sind Kameras, die man mit einer Fernsteuerung unbemerkt aufs Nachbargrundstück oder auf den öffentlichen Raum richten kann. Problematisch sind auch Kameras mit einer blickdichten Abdeckung. Grund dafür ist der Persönlichkeitsrechtsschutz. Das bedeutet konkret: Bereits den Verdacht, beobachtet zu werden, muss niemand hinnehmen.
Auch Veränderungen bei der Kamera-Ausrichtung müssen Außenstehende immer erkennen können. Ob ich tatsächlich aufgezeichnet werde oder mich jemand unmittelbar am Bildschirm beobachtet, spielt dabei keine Rolle. Denn die Gerichte bewerten den Überwachungsdruck in beiden Fällen gleich. Das gilt im Übrigen auch für Kamera-Attrappen, deren Funktionsfähigkeit Betroffene nicht erkennen können.
Wozu darf überwacht werden?
Mit seinem Eigentum kann jeder nach Belieben verfahren. Dementsprechend darf jeder seinen eigenen Grund und Boden auch überwachen. Davon Betroffene müssen aber erkennen können, dass sie ein Grundstück nicht einfach so betreten dürfen. Wer filmt, muss also eine erkennbare Absperrung oder entsprechende Hinweise anbringen.
Ob die Überwachung im Übrigen abschreckend (zum Beispiel für Diebe) wirkt oder zum späteren Beweis eines Vorfalls erfolgt, spielt keine Rolle. Bewusst unrechtmäßiges Verhalten, wie etwa Voyeurismus, müssen Gefilmte nicht hinnehmen - hier zieht das Persönlichkeitsrecht eine Grenze.
Der Gastautor Christian Günther ist Assessor und Redakteur bei anwalt.de.