Von Berlin in den BuschDiese Frau fand ihr Glück als Rangerin in Südafrika
Gesa Neitzel lebt in einer Stadt, in der viele junge Menschen gerne leben würden: Berlin. Sie hat einen Job, um den sie viele beneiden: Sie ist Fernseh-Redakteurin. „Ich habe meine eigene kleine Wohnung und mache einmal im Jahr eine Reise“, schreibt Neitzel in ihrem Buch „Frühstück mit Elefanten“. „Ich habe eine Handvoll guter Freunde und einen Park vor der Tür“. Kurzum: Sie lebt das Leben, das viele gerne leben würden. Und trotzdem fehlt ihr etwas.
Da ist so eine Sehnsucht in ihr
Da ist so eine Sehnsucht in ihr. Wenn die 29-Jährige morgens auf dem Weg in die Redaktion in die Bahn steigt, ist sie besonders groß. Erst will sie es unterdrücken, dieses Gefühl. Sie tut es ab als Phantomschmerz ihrer Generation Y: „Meine Generation schwimmt in einem ‚Mehr‘, kann nicht zufrieden sein und fragt sich stets, was hinter der nächsten Straßenecke wartet.“ Aber die Sehnsucht ist stärker als die Verdrängungsversuche, immer wieder kämpft sie sich an die Oberfläche.
Die Berlinerin fragt sich, wann sie das letzte Mal so richtig zufrieden war und erinnert sich sofort an ihren letzten Urlaub: „Vor drei Wochen war ich in Südafrika und saß auf dem offenen Träger eines Pick-ups, der über holprige Straßen ins Nirgendwo fuhr. In der Ferne brüllte eine Löwin, schrien Affen, spielten die Zikaden ein Lied. Nur die Sterne über mir und Fahrtwind in meinen Haaren.“
„Ich will durch Wälder wandern und wilden Tieren begegnen“
Aber ist das nicht einfach nur der typische Büro-Blues, der jeden ereilt, der gerade aus dem Urlaub zurück ist? Auch Gesa Neitzel glaubt das zunächst. Aber sie wird das Gefühl nicht los. Die Unzufriedenheit nimmt Überhand: „Ich will mich auf einfache Freuden und naturbewusste Lebensweisen besinnen, und ich will nicht länger in dieser Blase leben, in der Unzufriedenheit mit Konsum betäubt wird. Ich will durch Wälder wandern und wilden Tieren begegnen und Steinchen übers Wasser springen lassen. Ich will mit der Sonne aufstehen und der Welt zuschauen, wie sie jeden Morgen aufs Neue erwacht.“
Neitzel beschließt, nach Südafrika zu gehen und Rangerin zu werden. Dort will sie Safari-Gästen die großen Wildtiere Afrikas zeigen. Dabei sprechen nicht besonders viele Argumente für ihre Qualifikation: Neitzel campt nicht, sie hat kein großes Interesse an Biologe. Und: „Ich ekele mich vor Krabbeltieren.“ Die Reaktionen ihres Umfelds sind auch nicht gerade ermutigend: „Afrika? Sag mal, hackt’s?!“ Oder: „Aber Du hasst Camping…!“ Oder: „Da gibt’s doch überall Ebola und Malaria … Aids!“
Kein Internet, kein Badezimmer, keine Türen
Doch all das kann die junge Frau nicht abhalten, ihren Entschluss in die Tat umzusetzen: Sie lässt sich in Südafrika zur Safari-Rangerin ausbilden. „Das bedeutet: fast ein Jahr in einfachen Zeltlagern übernachten, ohne Internet, ohne Badezimmer, ohne Türen – dafür mit Zebras, Erdferkeln und Skorpionen.“ In ihrem Buch „Frühstück mit Elefanten“ und auf ihrem Blog „Wonderful Wild“ berichtet sie von ihren Erfahrungen in der Wildnis.
Der Busch ist das Gegenteil von Berlin: Die Nacht ist hier schwarz, kein künstliches Licht ist zu sehen. „In Berlin hätte ich mich nur zögerlich ohne Schminke vor die Tür gewagt. Hier erscheint es mir aber maximal unnötig, mich morgens anzumalen. Es gibt Wichtigeres zu tun. Das Feuer löschen zum Beispiel und die abgebrannten Kohlen im Sand vergraben.“
Sternenkunde, Spurenlesen und Schießtraining
Von nun an trifft sie mehr Tiere als Menschen: Warzenschweine, Antilopen oder Giraffen. Sie lernt es, Fährten zu lesen, sich in der Wildnis zu orientieren, mit einem Pick-up querfeldein zu fahren. Auf dem Stundenplan stehen Sternenkunde, Spurenlesen, aber auch Schießtraining.
Bevor sie selbst mit dem Gewehr in der Hand Touristen durch den Busch führen darf, lernt sie die „goldenen Regeln“ für den Marsch durch die Wildnis: Der Guide laufe immer mit dem Gewehr vorweg und die Gäste im Gänsemarsch hinterher. Beim Marschieren werde nicht gesprochen, damit Warnsignale früh gehört würden.
Niemals weglaufen, wenn man einen Löwe sieht
Und ganz wichtig: niemals weglaufen. „Bei einem Zusammenstoß mit einem Löwen wegzulaufen, ist das Dümmste, was man machen kann.“ Auf diese Regel muss Neitzel sich relativ schnell zurückbesinnen. Am Ufer des Selatis springt sie mit ihrer Gruppe von einem Stein zum nächsten – bis sie abrutscht und fällt.
„Plötzlich höre ich ein markerschütterndes Brüllen nur wenige Meter nördlich von uns.“ Die junge Frau erschrickt und springt hastig auf. „Die allerwichtigste Buschregel ‚Niemals rennen‘ ist irgendwo ganz weit in meinem Hinterkopf gerückt.“ Nur ihr Führer, der „Head-Instructor“, hält sie zurück.
Ein stattlicher Löwe jagt aus dem Busch
„Aus den Augenwinkeln sehe ich einen stattlichen Löwen aus dem Busch jagen. […] Vier Löwinnen folgen ihm aus dem Gebüsch. Das wird ja immer besser. Wir weichen vorsichtig zurück und stehen jetzt wie eine Herde aufgeschreckter Impalas auf einem Felsen zwischen fünf Löwen und zwei Elefanten.“ Die Gruppe mit den Ranger-Schülern tritt den Rückzug an, der „Head-Instructor“ richtet sein Gewehr auf die Löwen, sorgt schließlich dafür, dass die Situation nicht eskaliert.
Das könnte Sie auch interessieren:
Es ist nur eine der brenzligen Situationen, die das „Stadtmädchen“ im Busch erlebt. Trotzdem entscheidet sich die heute 30-Jährige schließlich, dauerhaft als Safari-Guide zu arbeiten. Und das hängt wohl auch mit Momenten wie diesem zusammen: „Als ich schließlich Hulukulu erreiche, sehe ich aus einiger Entfernung ein Kudu am Wasserloch, in den Ästen der Fieberbäume tollen ein paar Pavianjunge und eine Warzenschweinfamilie grunzt durchs Unterholz. Ich pirsche mich langsam heran und setze mich leise unter meine liebste Maulbeer-Feige, lehne mich an ihren Stamm und schaue durch die Baumkrone in den Himmel“, schreibt Neitzel.
Berlin ist weit weg, aber sie ist ganz da
Berlin ist weit weg, aber sie ist ganz da. „Ich ziehe meine Schuhe aus und vergrabe meine nackten Füße im Matsch. Und in diesem Moment fühle ich mich so frei wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich spüre meinen Atem. Ich höre meinen Herzschlag. Ich bin ein ganz natürlicher Teil von allem, was mich umgibt. Ich bin.“
(rer)
Das könnte Sie auch interessieren: