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Sie will vier Millionen EuroEx-Olympionikin Pechstein mit Erfolg vor Gericht: „Ich wurde gedemütigt“

Claudia Pechstein formt ein Herz in die Kamera und lächelt

Eisschnelllauf-Legende Claudia Pechstein, hier am 5. Februar 2022 bei den Olympischen Winterspielen in Peking, hat einen wichtigen Erfolg vor Gericht gefeiert.

Seit mehr als zehn Jahren kämpft Eislauf-Star Claudia Pechstein vor Gericht um ihre Rehabilitation – und mittlerweile auch um eine unfassbare Schadenersatz-Summe. Jetzt feierte sie einen wichtigen Erfolg.

Es ist einer der auf­se­hen­er­re­gendsten Justiz-Fälle der Sportwelt: Seit mehr als zehn Jahren kämpft Eisschnelllauf-Star Claudia Pechstein (50) vor Gericht um ihre Rehabilitation als Sportlerin – und mittlerweile auch um jede Menge Geld.

Nun hat die fünffache Olympia-Siegerin, die im Februar 2009 wegen vermeintlichen Dopings für zwei Jahre gesperrt worden war, einen wichtigen Erfolg gefeiert.

Denn wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag (12. Juli 2022) mitteilte, wurde einer Verfassungsbeschwerde Pechsteins stattgegeben. Das bedeutet: Ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom 7. Juni 2016 wird aufgehoben, der damals entschieden hatte, dass Pechsteins Klage insgesamt unzulässig sei und sie keinen Anspruch mehr auf Zugang zu deutschen Gerichten habe.

Nun, sechs Jahre später, die Kehrtwende: Pechstein darf ab sofort weiter vor einem deutschen Zivilgericht, in diesem Fall dem Münchner Oberlandesgericht, gegen den Eislauf-Weltverband ISU klagen.

Claudia Pechstein schöpft neue Hoffnung auf Schadenersatz

Als Pechstein vom Urteil erfahren habe, sei sie vor Glück in Tränen ausgebrochen, berichtet sie. „Ich wurde gedemütigt und öffentlich hingerichtet. Deshalb verspüre ich jetzt eine unglaubliche Erleichterung, meinen Fall vor einem deutschen Gericht unter rechtsstaatlichen Regeln verhandeln zu dürfen. Auch wenn ich in den zurückliegenden 13 Jahren nach der Unrechtssperre durch die ISU schwere Krisen und harte Rückschläge erleiden musste, haben mein Team und ich immer an die Gerechtigkeit geglaubt. Ich bin überglücklich über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.“ Pechstein kündigte zudem an: „Sollte meine Schadensersatzklage gegen die ISU erfolgreich sein, wird jeder Spender, der mir den Gang durch die Instanzen ermöglicht hat, wie versprochen sein Geld von mir zurückbekommen.“

Das Oberlandesgericht München, vor dem das Verfahren nun weitergeht, hatte im Januar 2015 nach einem zähen Ringen vor verschiedenen Instanzen Pechsteins Klage in einem Zwischenurteil für zulässig erklärt. Die Eisschnellläuferin wollte vom Weltverband seinerzeit 3,5 Millionen Euro Schadenersatz und 400.00 Euro Schmerzensgeld für den Zeitraum ihrer Sperre – also fast vier Millionen Euro! Mittlerweile sollen sich die Forderungen sogar auf mehr belaufen.

Denn: Ihrer Meinung nach wurde Pechstein 2009 zu Unrecht gesperrt, die Polizeibeamtin aus Berlin bestreitet bis heute beharrlich jegliche Doping-Vorwürfe.

Das war passiert: Bei den Mehrkampf-Weltmeisterschaften in Hamar war 2009 in Blutproben der Läuferin ein auffällig hoher Retikulozytenanteil (junge rote Blutkörperchen) festgestellt worden, der deutlich über dem zulässigen Höchstwert lag. Allerdings: Ein Jahr später bescheinigten Mediziner Pechstein eine vererbte Blutanomalie. Laut Aussage der Ärzte sei eine Sperre daher haltlos, hieß es damals.

Pechstein klagte daraufhin vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS, doch dieser bestätigte die Sperre. Pechstein ging in Revision – doch auch diese wurde vom Schweizer Bundesgericht abgewiesen. Was folgte, war ein beispielloser Ritt durch die Instanzen, der letztendlich auch zu Pechsteins Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht führte. Dieses entschied nun nach sechs Jahren: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes von 2016 verletzt den „Justizgewährungsanspruch“ der Ex-Olympionikin.

Claudia Pechstein darf vor Gericht weiterkämpfen

Konkret bemängelte das Verfassungsgericht, dass der BGH seinerzeit nicht berücksichtigt hatte, dass es vor dem CAS keinen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung gegeben habe. Schiedsgerichtsverfahren müssten aber rechtsstaatlichen Mindeststandards genügen. Sonst dürfe der Staat die Entscheidungen nicht anerkennen und vollstrecken.

Im Jahr 2018 hatte Pechstein vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof deswegen bereits eine Entschädigung in Höhe von 8000 Euro zugesprochen bekommen. Auch der damalige DOSB-Präsident Alfons Hörmann (61) entschuldigte sich persönlich bei der Sport-Legende, die aufgrund ihrer Sperre die Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver verpasst hatte. Nun darf sie vor Gericht weiterkämpfen.

Francesco Friedrich und Claudia Pechstein tragen die deutsche Fahne ins Stadion in Peking

Großer Moment für Claudia Pechstein: Am 4. Februar 2022 trug sie gemeinsam mit Bob-Star Francesco Friedrich die deutsche Fahne bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Peking.

„Nach 13 Jahren Kampf haben wir ganz viel Respekt, Achtung und Demut vor dieser Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts“, erklärte Matthias Große (54), Präsident der Deutschen Eisschnelllauf- und Shorttrack-Gemeinschaft und Pechsteins Lebensgefährte, am Dienstag nach Bekanntwerden der Entscheidung.

Linke-Politiker und Jurist Gregor Gysi (74) nannte die Entscheidung einen „historischen Erfolg“ und ergänzte: „Der Internationale Sportgerichtshof, die Sportgerichtsbarkeit insgesamt müssen ihre Allmachtsgefühle aufgeben und sich künftig ebenfalls der Rechtsprechung unterwerfen.“ Pechstein sei „über lange Zeit ihrer sportlichen Möglichkeiten beraubt“ worden. (kos, dpa, sid)