Die Debatte um die „One Love“-Binde überschattet die WM in Katar. Am zweiten Turnier-Tag äußerten sich auch Schiedsrichter-Experten zu den angedrohten sportlichen Sanktionen seitens FIFA.
Gelb? Spiel-Abbruch? Punkt-Abzug?Binden-Skandal bei WM: Top-Schiris erklären mögliche Strafen
Es war der große Skandal am zweiten WM-Tag in Katar: Sieben Top-Nationen – darunter auch die deutsche Nationalmannschaft – beugten sich schließlich doch der Ansage der FIFA, die den Teams das Tragen der „One Love“-Binde auf dem Rasen untersagt hatte.
Es folgten hitzige Diskussionen – und auch heftige Kritik an Spielern und DFB. Der Grund-Tenor: Mannschaft und Verband seien eingeknickt, hätten es versäumt, trotz angedrohter Sanktionen vonseiten des Weltverbandes ein echtes Zeichen zu setzen.
WM 2022: Top-Schiris äußern sich zur Debatte um „One Love“-Binde
Die Debatte um den Binden-Skandal von Katar bestimmte daraufhin den WM-Tag – auch bei den übertragenden Sendern ZDF und MagentaTV. Eine der hitzig diskutierten Fragen: Welche Sanktionen hätte die FIFA gegenüber den Teams am Ende tatsächlich durchsetzen können?
Zwei Schiedsrichter-Experten klärten am Montag (21. November 2022) auf. So erläuterte der ehemalige Top-Schiri Manuel Gräfe (49) beim ZDF: „Die Binde ist von der FIFA für den Wettbewerb vorgegeben. Sie würde die Schiedsrichter dann anweisen, eine andere Binde nicht zu gestatten. Sollte ein Spieler dann das Feld dennoch mit der Binde betreten, wäre das ein unsportliches Verhalten und würde von den Schiedsrichtern wahrscheinlich mit einer Gelben Karte sanktioniert werden.“
Gräfe weiter: „Wenn der Spieler die Binde nicht abnimmt, steht ein Abbruch im Raum. Es würde nicht bei der Gelben Karte bleiben.“ Dennoch schränkt Gräfe ein: „Einen Abbruch würde man im Rahmen der Verhältnismäßigkeit wohl nicht machen. Aber der Schiedsrichter würde es entsprechend im Spielbericht vermerken müssen. Und dann würde die FIFA-Disziplinarkommission den Fall auswerten.“ Dann kämen laut Gräfe „ein Sanktionskatalog von Geldstrafe über Punktabzug“ infrage. „Da gibt es viele Möglichkeiten.“
Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich: „Traurig und unfassbar“
Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich (43) hatte noch am Montagmorgen getwittert: „Ich suche nach der Regelgrundlage für die Entscheidung seitens der FIFA, das Tragen der One-Love-Binde mit Gelb zu sanktionieren… Ich finde sie nicht. Alle werden instrumentalisiert. Traurig und unfassbar!“
Am Abend erklärte Ittrich dann bei MagentaTV: „Wenn du auf den Platz gehst, erfolgt eine Sanktion, die im Vorwege festgelegt ist. Und da wir nicht wissen, was diese Sanktion ist, müssen wir darüber nur spekulieren.“
Gräfe, der in seiner Karriere unter anderem 289 Bundesliga-Spiele geleitet hat, kritisierte aber auch den deutschen Verband. „Der DFB hätte die Spieler vielleicht vorher mitnehmen und über die Regularien aufklären müssen. Das hat man nicht getan“, meinte er. „Ich glaube auch, dass man versäumt hat, sich vorher zu überlegen: Wenn wir bereit sind, Schritt A zu gehen. Sind wir dann auch bereit, Schritt B zu gehen? Dass die FIFA das bei einem Heim-Turnier, und dann noch in Katar, so nicht akzeptieren würde, war jetzt so nicht überraschend.“ Die FIFA sehe die „One Love“-Binde als Provokation.
Zuvor hatten zahlreiche prominente Beobachter – auch ZDF-Moderator Jochen Breyer (40) – klare Kritik am Einknicken des DFB geäußert. „Ein Zeichen, das man nur dann setzt, wenn man dadurch keinerlei Konsequenzen zu befürchten hat, ist kein Zeichen“, hatte er getwittert.
Experte Christoph Kramer (31) wiederum hatte das Team verteidigt, gesagt: „Das, was Funktionäre jahrelang verbockt haben, dürfen die Spieler jetzt nicht geraderücken müssen.“ (kos, tsc)