Antisemitismus auf deutschem Boden. So etwas sollte es nach dem Ende des 2. Weltkriegs nie wieder geben. Doch die Realität sieht anders aus. Bei Union Berlin soll es in der Conference League zu einem Vorfall gekommen sein.
Antisemitismus-EklatBestürzung über Vorfälle in Berlin – Union und Polizei kündigen Reaktion an
Berlin. Beim Conference-League-Spiel am Donnerstagabend (30. September 2021) zwischen dem 1. FC Union Berlin und dem israelischen Vertreter Maccabi Haifa (3:0) soll es im Olympiastadion zu antisemitischen Vorfällen gekommen sein. Das berichtet das „Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft“. Beschuldigt werden einzelne Union-Anhänger.
„Im gemischten Block wurden wir von Union-Fans bedroht, mit Bier beworfen und u.a. als ‚scheiß Juden‘ beleidigt“, hieß es am späten Donnerstagabend bei Twitter. Ein Union-Fan habe versucht, die Israelfahne einer Zuschauerin anzuzünden. Dies sei durch das Einschreiten von Zivilpolizisten verhindert worden, hieß es dort außerdem.
Berlins Justizsenator Dirk Behrendt hat entsetzt auf die Berichte über Vorfälle reagiert. Der Grünen-Politiker bezeichnete diese am Freitag als „bestürzend“. „Antisemitismus darf auch im Fußball keinen Platz haben. Meine Solidarität gilt den Fans des israelischen Meisters Maccabi Haifa“, sagte der 50-Jährige. Für den Nachmittag kündigten Union und die Berliner Polizei jeweils eine Einordnung der Vorfälle an.
Das Berliner Olympiastadion – erbaut von den Nationalsozialisten
Ob es noch weitere antijüdische Übergriffe am Donnerstag gab, ist bisher noch nicht bekannt. Klar ist nur, dass antisemitische Übergriffe und Beleidigung auch im Deutschland des 21. Jahrhundert keine Seltenheit sind. Im April 2017 erregten Fans vom FC Energie Cottbus mediale Aufmerksamkeit, als sie beim Spiel gegen den SV Babelsberg 03 Parolen wie „Arbeit macht frei, Babelsberg 03!“ skandierten, den Hitlergruß zeigten oder auch „Zecken, Zigeuner und Juden!“ in Richtung der Potsdamer Fans riefen.
Nun wieder zum Fall in Berlin: Andere Berliner Fans hätten sich jedoch klar gegen das antisemitische Verhalten ausgesprochen, vermeldete das Junge Forum. Der 1. FC Union Berlin reagierte auf die Vorfälle auf seinem Twitter-Account und forderte die Nennung von Block- und Sitzplatznummern zur Identifizierung der betreffenden Zuschauer.
Das Gastspiel von Maccabi Haifa war der erste Auftritt einer israelischen Fußball-Mannschaft in dem von den Nationalsozialisten erbauten Berliner Olympiastadion. Das Stadion wurde für die Olympischen Spielen 1936 errichtet. Union Berlin darf wegen UEFA-Regularien zu Zuschauerkapazitäten seine Heimspiele nicht im eigenen Stadion an der Alten Försterei im Stadtteil Köpenick bestreiten.
Maccabi Haifa: „Vielen Dank für die tolle Gastfreundschaft“
Maccabi Haifa äußerte sich zu den Vorwürfen noch nicht, lobte aber die generell friedliche Atmosphäre. „Vielen Dank für die tolle Gastfreundschaft. Es war ein aufregendes Spiel vor eurem und auch vor unserem Publikum und auch in diesem Stadion, das seine Bedeutung hat. Vielen Dank und auf ein Wiedersehen in Israel“, schrieb der israelische Meister bei Twitter.
Während der Partie herrschte unter den 23.324 Zuschauern eine überwiegend euphorische Stimmung. Rund 1000 Haifa-Fans feuerten ihr Team ebenso leidenschaftlich an wie die Union-Fans ihre Mannschaft. Am Spieltag hatte eine hochrangige Delegation der Eisernen die Gäste aus Israel im eigenen Stadion empfangen. Am Mittwoch hatten Vertreter von Maccabi Haifa das Holocaust-Mahnmal in Berlin besucht und einen Kranz niedergelegt.
Hintergrund: Antisemitismus
Unter dem Begriff Antisemitismus ist das Phänomen der Feindschaft gegenüber Juden und dem, was ihnen zugeschrieben wird, zu verstehen. Den religiös motivieren Antijudaismus gibt schon seit Jahrhunderten: Juden wurden als Mörder Jesu, Brunnenvergifter und Kindermörder verunglimpft; im Mittelalter wurden ihnen handwerkliche Tätigkeiten verboten, weswegen sie gezwungen waren, Geldgeschäfte zu betreiben, was wiederum den Christen untersagt war. Daraus leitete sich später das Vorurteil ab, Juden würden den Finanzmarkt kontrollieren.
Der „moderne Antisemitismus“ beruht hingegen auf den im Nationalsozialismus propagierten pseudowissenschaftlichen Rassenunterschieden zwischen Juden und Ariern. Im NS wurde der Antisemitismus zur Staatsdoktrin, über sechs Millionen Juden fielen den Nazis zum Opfer. Ein Großteil der Juden starb im Vernichtungslager Auschwitz.
Judenfeindlichkeit stellt jedoch kein reines Phänomen der rechtsextremen Szene dar, sondern ist tief in der Mitte der Gesellschaft verankert. Ebenso sind judenfeindliche Ressentiments in antizionistischen Argumentationsmustern von politisch Linken und Islamisten zu finden. Oft werden judenfeindliche Ressentiments allerdings nicht offen ausgelebt, sondern über Chiffren und Codes zum Ausdruck gebracht. Es findet eine sogenannten Umwegkommunikation statt. (dpa/red)