Vor vier Jahren verstarb sein SohnKölner Profi-Triathlet spricht erstmals über Trauer

Schramm

Till Schramm, hier bei einem Trainingslager in Dubai im Februar 2020, hofft bald wieder bei Triathlon-Wettkämpfen starten zu können.

von Uwe Bödeker  (ubo)

Köln – Till Schramm (35) zählt zu den erfolgreichsten Triathleten Deutschlands. Der gebürtige Kölner feierte sechs Siege auf der Ironman-Distanz. Seit 2010 ist er als Profi aktiv, erreichte dabei auch diverse internationale Erfolge.

Im Jahr 2016 verlor Till Schramm seinen dreijährigen Sohn Henry, der sich im Kindergarten an einer Möhre verschluckt hatte (hier mehr lesen).

Seitdem kämpft sich Schramm mit seiner Frau und Sohn Theo durchs Leben. Wir sprachen mit dem Ausdauer-Athleten über die Corona-Krise, Motivation und den Verlust des eigenen Kindes.

Wie ist die Situation als Individual-Sportler derzeit?

Man fühlt sich als Sportler ohne Wettkämpfe etwas wie ein zahnloser Tiger. Es ist schon schwer, den Spannungsbogen zu halten ohne ein belastbares Ziel.

Ohne Wettkämpfe gibt’s auch keine Preisgelder – können Sie das finanziell noch länger aushalten?

Ich habe zum Glück ein paar starke Partner, mit denen ich durch Dick und Dünn gehe. Allen voran Alpecin. Natürlich ist es bei mir finanziell kein tolles Jahr, aber solange der Kühlschrank voll ist, ist alles okay.

Wie wird die Corona-Krise den Spitzensport verändern?

Dies hängt davon ab, wie lange die Situation anhält. Ohne Breitensport keinen Spitzensport – und dies insbesondere im Langdistanz-Triathlon, wo das Profirennen immer in den normalen Wettkampf der Hobbysportler integriert ist, ebenso im Laufsport, Beispiel Marathon. Ich erwarte, dass diese Pandemie einiges auf allen Ebenen ändern wird. Jetzt ist Flexibilität angesagt.

Till Schramm: Ich wäre gerne für Henry gestorben

Ihr habt vor gut vier Jahren Euren Sohn Henry verloren. Geht man nach so einem Schicksalsschlag anders mit der Corona-Krise um?

Das kann ich sicher mit JA beantworten. Wir empfinden die aktuelle Situation nicht als schlimme Krise für uns persönlich und haben ganz im Gegenteil die Familienzeit sehr genossen. Ich denke, es geht vielen so, dass sie jetzt wissen, wie sie nicht mehr leben wollen.

Schramm und Sohn Theo

Till Schramm überquert mit Sohn Theo die Ziellinie beim Ostseeman 2019. Er gewann das Rennen. Theo ist für ihn nach dem Tod von Sohn Henry ein wichtiger Anker im Leben.

Ist es überhaupt möglich, nach dem Tod eines Kindes seinen Frieden zu finden?

Mit der Antwort könnte und werde ich vielleicht Bücher füllen. Aber kurz und knapp sei gesagt, dass Henry immer fehlt, aber auch immer bei uns und nie vergessen ist. Ich wäre gerne für ihn gestorben. Dennoch: Er hatte dreieinhalb wunderbare Jahre und würde nicht wollen, dass wir den Rest unseres Lebens „ableben“. Das wäre auch seinem Bruder Theo gegenüber mehr als unfair. Ich hoffe also, dass er die Welt durch unsere Augen sehen kann und wünsche mir über alles, ihn in einer anderen Sphäre noch mal zu treffen.

Till Schramm: Tiefe Depression zwei Jahre nach dem Tod des Sohnes

Wie verändert sich der Schmerz?

Am Anfang steht regungsloser Schock und dann beginnt ein langes und langsames Verarbeiten. Bei mir persönlich kam ziemlich genau zwei Jahre nach dem Unfall eine tiefe Depression, als der Schock und das mechanische Funktionieren der lähmenden Realität wich. Mittlerweile habe ich meinen Frieden gefunden, auch wenn ich es nie wirklich akzeptieren kann.

Wie gehen Sie in die Zukunft, was haben Sie noch für Ziele?

Ich habe immer noch Ziele und Spaß am Profisport, wenn auch mir manchmal der geistige Ausgleich etwas fehlt. Ich möchte noch ein paar gute Jahre haben und dann langsam den Wechsel in die zweite Karriere einleiten. Ich bin 35 und kann noch fünf Jahre Rennen gewinnen, denke aber, dass es mir auch nicht schadet, schon etwas Neues nebenher aufzubauen.

Wie können Sie momentan ohne Wettkämpfe die Motivation hochhalten?

Das gelingt mir ganz gut. Zum einen mache ich immer ein paar Tage Pause, wenn ich merke, es wird richtig hart, zum anderen hatte ich mit der Verbesserung meiner Schwimmperformance die ganze Corona-Zeit über ein Ziel, was auch ohne Wettkampf funktioniert. Und letztendlich habe ich mich gegen Everesting Challenge und überlange Radfahrten entschieden, um frisch zu sein, wenn es wieder eine Startnummer gibt.

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Haben Sie Angst vor einer zweiten Infektionswelle? Was sollten alle Menschen beherzigen, um dies zu vermeiden?

Aus ökonomischer Sicht habe ich Angst, ja. Aus gesundheitlicher Sicht nein. Es wird ja fast nur noch von  Corona-Infektionen gesprochen, und viele andere Krankheiten werden momentan etwas unter den Teppich gekehrt. Man kann sich nicht einsperren. Wenn man das tun würde, wäre es ein sehr tristes Ableben, zu Hause neben der Handwaschpaste zu hocken. Man muss einfach besser aufeinander aufpassen und nicht arbeiten, ins Fitnessstudio oder auf eine Feier gehen, wenn man krank ist. Dies galt vorher für mich aber auch schon, und ich verabscheue Egoisten und Impfgegner, die sich auf dem Buckel der Gesellschaft ausruhen, um vermeintliche Vorteile für sich zu beanspruchen und ihre Freiheit ausleben.