Ist dieser Deal faul? Nach der Einigung von Jannik Sinner mit der Wada über eine dreimonatige Dopingsperre werden die kritischen Stimmen immer lauter.
„Rest-Anstand über Bord geworfen“Zverev irritiert über Sinner-Deal – Doping-Experte schlägt Alarm
Der Fall Jannik Sinner (23) hat die Tennis-Welt erschüttert. Nach der Einigung des Weltranglisten-Ersten mit der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) auf eine dreimonatige Sperre werden die kritischen Stimmen lauter.
Alexander Zverev (27), der im Januar im Finale der Australian Open von Sinner klar geschlagen worden war, kommentierte den Deal am Rande des ATP-Turniers in Rio de Janeiro als „seltsam“.
Djokovic über Sinners Doping-Deal: „Mehrheit der Spieler denkt, dass es eine Bevorzugung gibt“
Entweder man habe sich „nichts zuschulden kommen lassen, dann sollte man überhaupt nicht gesperrt werden“, sagte Zverev bei einer Pressekonferenz: „Aber wenn man sich etwas zuschulden kommen lässt, dann sind drei Monate für die Einnahme von Steroiden keine Sperre, oder?“
Sinner war im März 2024 positiv getestet worden. Der Italiener hatte angegeben, dass das verbotene Mittel Clostebol bei einer Massage über die Hände eines Betreuers in seinen Körper gelangt sei. Die verantwortliche Tennis-Agentur Itia sah kein vorsätzliches Verschulden und keine Fahrlässigkeit und verzichtete auf eine Sperre. Dagegen ging die Welt-Anti-Doping-Agentur vor.
Am Samstag war bekanntgeworden, dass sich Sinner mit der Wada auf eine dreimonatige Sperre geeinigt hat. Bis zum 4. Mai darf der 23-Jährige keine Turniere spielen – rechtzeitig vor den French Open, die am 25. Mai in Paris beginnen, endet die Sperre.
„Wenn es nicht sein Fehler war, dann sollte er keine dreimonatige Sperre bekommen“, sagte Zverev. „Aber wenn es seine Schuld ist, dann ja. Das ist irgendwie seltsam, der ganze Prozess, die ganze Situation, die es seit fast einem Jahr gibt, das ist einfach seltsam.“
Noch deutlicher wurde Novak Djokovic (37). „Eine Mehrheit der Spieler denkt, dass es nicht fair ist. Eine Mehrheit der Spieler denkt, dass es eine Bevorzugung gibt“, sagte der Serbe. „Es scheint, dass du beinahe den Ausgang beeinflussen kannst, wenn du ein Topspieler bist, wenn du Zugang zu Topanwälten hast.“
„Es ist kein gutes Bild für unseren Sport, das ist sicher. Es gibt eine Mehrheit an Spielern, mit denen ich in der Umkleide gesprochen habe – nicht nur in den vergangenen Tagen, sondern auch den vergangenen Monaten – die nicht glücklich sind, wie mit dem gesamten Prozess umgegangen wurde“, sagte Djokovic. „Aktuell gibt es grundsätzlich ein Mangel an Vertrauen sowohl von männlichen als auch weiblichen Tennisprofis gegenüber der Wada und der Itia und dem gesamten Prozess.“
Doping-Experte: „Form von Selbstaufgabe“ der Wada
Doping-Experte Fritz Sörgel sieht nach dem Deal „verheerende“ Folgen für den Anti-Dopingkampf. „Man muss es so hart sagen: Was die Wada da gemacht hat, bedeutet das Ende des Anti-Doping-Systems in seiner bisherigen Form“, sagte Sörgel bei Sport1.
Der Nürnberger Pharmakologe bezeichnete die Dreimonatssperre als eine „Form von Selbstaufgabe“ der Wada. Sörgel erklärte: „Das Ausmaß, in dem sie Sinner hier entgegenkommt, ist im Ergebnis die völlige Aushebelung des Prinzips der ‚Strict Liability‘, der kompromisslosen Eigenverantwortung des Athleten, welche Substanzen in seinen Körper kommen.“
Die Folgen? „Verheerend. Damit verliert das System einen Anker. Auf den Fall Sinner und einige andere wird sich in Zukunft jeder berufen und eine milde Strafe für einen positiven Dopingtest einfordern können - solange ihm irgendeine dürre Ausrede dafür einfällt.“
Die Wada ließ ihre Klage vor dem Sportgerichtshof CAS fallen, weil sie bei Sinner nur eine Teilschuld und bei der Menge des gefundenen Steroids Clostebol keine leistungssteigernde Wirkung erkannt habe.
Eine Erklärung, die Sörgel irritiert. „Wir reden hier vor allem davon, dass die in die Muskulatur eingedrungene geringe Menge Clostebol eine Beschleunigung der Regeneration bewirkt“, und die sei von entscheidender Bedeutung. Zudem müsse man bedenken: „Gefunden wurde die Substanz bei einem Urintest, der gar keine präzise Aussage darüber geben kann, wie hoch die Konzentration des Clostebol an der Stelle war, wo sie zum Einsatz kam, bevor es dann über den Blutkreislauf aus dem Muskel abtransportiert und von der Niere ausgeschieden wurde.“
Auch im Fall der Weltranglistenzweiten Iga Swiatek (23) hatte es Vorwürfe mangelnder Transparenz gegeben. Die Polin war im vergangenen Jahr für einen Monat gesperrt worden. Laut Itia wurde Swiatek positiv auf die verbotene Substanz Trimetazidin getestet. Die frühere Nummer eins erklärte dies mit einem nicht verschreibungspflichtigen Medikament gegen die Folgen von Jetlag. Die Verunreinigung dieses Medikaments habe zum positiven Testergebnis geführt.
Djokovic betonte, dass er nicht die Unschuld von Sinner und Swiatek in Zweifel ziehe. Er forderte die Sport-Institutionen jedoch auf, den Prozess zur Behandlung von Dopingfällen zu überarbeiten, „weil das System und die Strukturen offensichtlich nicht funktionieren“.
Für Sörgel steht fest: „Was den Anti-Doping-Kampf angeht, hat der Tennissport schon früher keine ruhmreiche Rolle gespielt, in diesem Fall hat er seinen Rest-Anstand über Bord geworfen.“ (are/sid/dpa)