40. JahrestagSchleyer-Entführung: Das RAF-Massaker von Köln-Braunsfeld
Köln – Der Deutsche Herbst war eines der dramatischsten Kapitel der BRD-Geschichte. Zum 40. Jahrestag erinnert der EXPRESS mit einer Serie an die Schauplätze, Opfer und Zeugen der Ereignisse, die mit dem Schleyer-Attentat am 5. September 1977 begannen.
In unserer interaktiven Grafik (siehe oben) können Sie sich durch die Chronologie des Deutschen Herbstes klicken, scrollen und wischen.
Heute vor 40 Jahren verübte ein vierköpfiges Kommando der RAF (Rote Armee Fraktion) ein Attentat auf den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Hanns Martin Schleyer.
Zum 40. Jahrestag: Der deutsche Herbst – wie der RAF-Terror in Köln begann. Die neue große Serie im EXPRESS.
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Tatort war die Vincenz-Statz-Straße in Köln-Braunsfeld. Die linksextremen Täter erschossen die vier Begleiter Schleyers (Fahrer und drei zivile Personenschützer der Polizei) und entführten den damals höchsten Repräsentanten der deutschen Wirtschaft. Sechs Wochen später wurde Schleyer ermordet.
Detaillierte Beschreibung zum Bild vom Tatort
Auf dem linken Bürgersteig hatte das Tatkommando das Fluchtauto (VW-Bus) geparkt. Von dieser Seite eröffneten die RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock, Willy-Peter Stoll und Sieglinde Hofmann das Feuer. Die Waffen hatten sie zuvor in einem Kinderwagen versteckt.
Vorne das Auto des Begleitschutzes, ein Mercedes 280 E. Polizist Reinhold Brändle (†41) saß am Steuer, Kollege Helmut Ulmer (†24) auf dem Beifahrersitz, ein weiterer Kollege Roland Pieler (†20) hinten rechts.
In der Mitte Schleyers Dienstwagen, ein Mercedes 450 SEL. Am Steuer Heinz Marcisz (†41), Schleyer saß hinten rechts.
Hinten der Mercedes 300 D, der zur Falle wurde. Stefan Wisniewski setzte das Auto zurück, als Schleyers Konvoi in die Vincenz-Statz-Straße einbog, versperrte so den Weg. Als Schleyers Wagen abrupt bremste, fuhr das Begleitauto von hinten auf. Dann fielen die Schüsse.
Kommandozentrale im Kölner Unicenter
Das Attentat war der Höhepunkt der „Offensive 77“ der RAF, mit dem 62-jährigen Schleyer als Geisel sollten elf Gesinnungsgenossen aus deutschen Gefängnissen freigepresst werden.
Eine Wohnung im 26. Stock des Unicenters wurde zur Kommandozentrale: Logistische Basis, Versteck, Konferenzraum.
Hier plante die RAF unter der Führung von Brigitte Mohnhaupt ihre „Aktion Spindy“: Codewort für die Entführung von Schleyer und die Freipressung von elf RAF-Inhaftierten. Allen voran die RAF-Gründer Andreas Baader (34) und Gudrun Ensslin (37). Sie waren im April 1977 in Stuttgart-Stammheim zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Das Codewort der Aktion verspottete das Opfer. Denn Schleyer war alles andere als spindelig und dürr. In den Augen der aus der 68er-Studentenbewegung entstandenen Stadtguerilla, die Deutschland den Krieg erklärt hatte, war er ein wohlgenährter Manager und ein Wahrzeichen von Ausbeutung und Kapitalismus.
Tat wurde akribisch vorbereitet
Das „Spindy“-Team besorgte falsche Pässe, Waffen, Autos. Man kaufte oder stahl folgende Tatfahrzeuge: Einen Alfa Romeo (für Schleyers Observation genutzt), in Porz einen Mercedes 300 D (das Sperrfahrzeug, mit dem die Schleyer-Kolonne gestoppt wurde) und in Forsbach einen Mercedes 230 (der Kofferraum wurde für den Transport Schleyers präpariert). Außerdem einen VW Bus.
Aus den Arsenalen besorgten sich die Täter die Waffen, darunter Schnellfeuergewehre. Die RAF verfügte über bis zu elf Erddepots in der BRD, darunter eines mit dem Tarnnamen „57 ende“ bei Köln.
Die Terroristen spähten wochenlang Schleyers Gewohnheiten aus. Vor allem seine Fahrtroute zwischen dem Büro am Oberländer Ufer 72 und der Wohnung in der Raschdorffstraße 10 am Stadtwald.
EXPRESS rekonstruiert Schleyers letzten Tag in Freiheit und den Ablauf des Anschlags.
Das Protokoll des RAF-Massakers von Köln
Mitternacht in Köln: Treffen der RAF-Terroristen in einer konspirativen Wohnung am Wiener Weg in Junkersdorf. Sie entscheiden, heute loszuschlagen. Rolf Heißler wird ersetzt. Er hat Skrupel, Schleyers Begleiter zu erschießen.
3 Uhr: Das RAF-Kommando hat alle Details durchgespielt und das erste Bekennerschreiben aufgesetzt. Die Täter begeben sich von Junkersdorf ins Unicenter, wo sich im 26. Stock ihre konspirative Zentrale befindet.
7.30 Uhr: Schleyer verlässt sein Haus in Stuttgart. Ein Dienst-Jet fliegt ihn nach Köln.
Gegen 9 Uhr: Schleyer betritt das Gebäude des Arbeitgeberverbandes (BDA, Oberländer Ufer 72) zeitgleich mit Thea Wisniewski (heute 82) aus der Versandabteilung: „Er grüßte, freundlich wie immer.“ Schleyers Arbeitstag beginnt mit der „Morgenandacht“ (Treffen der wissenschaftlichen Mitarbeiter).
12 Uhr: In der Kommandowohnung im Unicenter treffen Angelika Speitel und Silke Maier-Witt ein. Sieglinde Hofmann nimmt mehrere Male ihr Schnellfeuergewehr Marke Heckler & Koch auseinander und baut es wieder zusammen.
13 Uhr: Beim BDA herrscht zu Wochenbeginn Betriebsamkeit. In der Kantine gibt es wie jeden Montag Eintopf. Schleyers angestammte Sekretärin ist im Urlaub auf Texel.
14 Uhr: Auf der Ehrenfelder Wache, damals am Melatener Weg, beginnt der 22-jährige Polizist Gottfried Plützer seinen Dienst. Er bekommt einen Zettel ausgehändigt, um „Wachschutzmaßnahmen“ in der Raschdorffstraße 10 durchzuführen: Es ist Schleyers Dienstwohnung. Keine Auffälligkeiten.
14.30 Uhr: Im „Blauen Salon“ des BDA tagt der Gesamtverband der Arbeitgeber der Metallindustrie zum Strategiegespräch. Mit dabei der spätere Bahnchef Heinz Dürr: „Schleyer sagte noch zu mir: Dürr, bleib so wie du bist, fahr' die Linie durch.“
15.50 Uhr: Adelheid Schulz überweist die Septembermiete für die Wohnung am Wiener Weg.
16 Uhr: In Zweiergruppen postieren sich Rolf Heißler und Silke Maier-Witt (am Raderthalgürtel) und Adelheid Schulz und Angelika Speitel (in der Nähe des BDA) entlang Schleyers Fahrtstrecke.
Die Kommandomitglieder Hofmann, Peter-Jürgen Boock, Willy-Peter Stoll und Stefan Wisniewski fahren in das Eiscafé Stass, Aachener Straße 507 in Lindenthal.
Sie warten hier auf den vereinbarten Anruf mit der Mitteilung, dass Schleyer unterwegs ist. Das Codewort dafür ist „Mendocino“, bekannt als Schlagertitel von Michael Holm.
ca. 17.10 Uhr: Schleyer ist auf dem Sprung, früher als sonst. Als er aus dem Gebäude tritt, sind sein Fahrer und seine zivilen Personenschützer gar nicht da. Nur der Fahrer von Hauptgeschäftsführer Fritz-Heinz Himmelreich, Friedrich Nordhorn (heute 77): „Herr Schleyer fragte, wo sie alle seien. Ich sagte, sie würden hinten Skat spielen. Dann habe ich sie gerufen.“
ca. 17.15 Uhr: Schleyers Konvoi ist jetzt unterwegs. Das Telefon im Café Stass klingelt. Der Anrufer will „Herrn Müller“ sprechen. Wisniewski nickt, bekommt den Hörer, hört das Codewort und sagt es selbst: „Mendocino.“ Das Kommando steigt in die Autos.
ca. 17.20 Uhr: Streifenpolizist Plützer und sein Kollege Engelbert Martin haben gerade ein Bagatellverkehrsdelikt an der Scheidtweiler Straße aufgenommen. Über Funk kommt die Mitteilung, dass Schleyer unterwegs ist. Die Streife bewegt sich jetzt auch dorthin. Noch acht Minuten bis zum Attentat.
17.25 Uhr: Boock parkt den VW Bus auf dem Bürgersteig an der Vincenz-Statz-Straße. Weil die Raschdorffstraße eine Einbahnstraße ist, muss Schleyers Konvoi durch diese Parallelstraße, um zum Ziel zu gelangen. Boock holt einen Kinderwagen aus dem Auto, in dem die Waffen versteckt sind.
Wisniewski stellt den Mercedes bei laufendem Motor als Sperrfahrzeug auf den Gehweg gegenüber. Stoll steigt aus und postiert sich auf dem linken Bürgersteig, wo Boock und Sieglinde Hofmann als Paar getarnt am Kinderwagen stehen. Sobald Hofmann Schleyers Kolonne sieht, schiebt sie den Kinderwagen auf die Straße – das Zeichen, loszuschlagen.
17.28 Uhr: Schleyers Konvoi ist gestoppt. Die Terroristen eröffnen das Feuer.
Schleyers Fahrer Heinz Marcisz (†41) wird von fünf Schüssen, Polizist Reinhold Brändle (†41) von 23, Polizist Helmut Ulmer (†24) von 24, Polizist Roland Pieler (†20) von 26 Geschossen getroffen – sie alle sterben im Kugelhagel.
Ulmer und Pieler geben mit ihren Waffen acht Schüsse ab, aber sie haben keine Chance.
Die Täter zerren den unverletzten Schleyer aus dem Auto, schleppen ihn zum VW Bus. Alle steigen ein. Boock rast über die Friedrich-Schmidt-Straße stadtauswärts. Ziel: die Tiefgarage am Wiener Weg. Schleyer wird mit einer Spritze betäubt.
17.35 Uhr: Gottfried Plützer und sein Kollege sind die ersten Polizisten, die durch den dichten Verkehr den Tatort erreichen.
Plützer: „Ein Kollege bewegte sich noch. Wegen der Einschüsse, die er hatte, entstand beim Ein- und Ausatmen ein grauenhaftes Geräusch, das ich nie vergessen werde. Er ist vor meinen Augen verstorben.“ Streifenwagen haben die Verfolgung der Täter aufgenommen, nachdem Zeugen vom VW Bus berichtet haben.
18.03 Uhr: Das Bundeskriminalamt und der Bundeskanzler werden unterrichtet. Der später so genannte „Deutsche Herbst“ hat begonnen.
Befreiung der „Landshut“ beendet Deutschen Herbst
Als die Bundesregierung unter Führung von Kanzler Helmut Schmidt die RAF hinhält, verbünden sich die deutschen Terroristen mit arabischen Gruppen.
Um den deutschen Staat doch noch in die Knie zu zwingen, entführt ein palästinensisches Kommando am 13. Oktober die Lufthansamaschine „Landshut“ auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt.
Die Boeing mit 86 Passagieren landet nach einer fünftägigen Odyssee über Rom, Zypern und dem Jemen in Mogadischu/Somalia. Dort werden die Geiseln durch einen Zugriff der deutschen Eliteeinheit GSG9 befreit.
Damit hat die RAF verloren. Im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim begehen drei RAF-Gründer (Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe) Selbstmord. Die Geisel Hanns Martin Schleyer wird durch RAF-Täter erschossen.
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(exfo)