Konzert in KölnHerbert Grönemeyer wie entfesselt – da vergaß er sogar den Text der Kult-Hymne

Herbert Grönemeyer bei seinem Auftritt in der Lanxess-Arena.

Herbert Grönemeyer bei seinem Auftritt am 27. Mai 2023 in der Kölner Lanxess-Arena.

Herbert Grönemeyer hat in der Kölner Lanxess-Arena ein dreistündiges Konzert gegeben. Der Musiker präsentierte viele Songs aus dem Album „Das ist los“ und zahlreiche Klassiker.

von Marcel Schwamborn  (msw)

Vier Jahre war Herbert Grönemeyer (67) quasi eingesperrt. Erst die Pandemie, dann die eigene Corona-Erkrankung. Deutschlands erfolgreichster Musiker konnte nicht für sein Publikum spielen. Doch nun rollt die „Herbie“-Welle wieder durch das Land.

Am Samstag (27. Mai 2023) war Grönemeyer-Zeit in der mit 17.000 Fans ausverkauften Lanxess-Arena in Köln. Es wurde ein dreistündiger Konzert-Abend voller denkwürdiger Momente, mit einem Hauptdarsteller in beeindruckender Form.

Herbert Grönemeyer erinnerte sich an seine Kölner Zeit

Mit der schönen Klavierballade „Tau“ ging es noch ruhig los. Das E-Piano klappte am vorderen Bühnensteg nach oben und eröffnete den Abend melancholisch-schön. Doch in Grönemeyer brodelte es. Immer wieder ballte er die Fäuste, pumpte dazu mit den Armen, strahlte in die Menge und presste die typischen Laute wie „Go!“ raus.

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„Wir geben alles, damit es leichtfüßig wird – und rheinisch“, kündigte er an. Schließlich verbindet ihn viel mit Köln, wo er zu Beginn seiner Kariere am Rudolfplatz gewohnt hat. Dort hat er die Erfolgsalben „Gemischte Gefühle“, „4630 Bochum“, „Sprünge“ und „Ö“ – oder wie er sagt „quasi alles“ – geschrieben. Am 17. März 1982 fand in der Schlosserei sein erster Auftritt statt.

Herbert Grönemeyer in der Lanxess-Arena.

Herbert Grönemeyer begann sein Konzert am E-Piano am vorderen Ende des Bühnenstegs.

Vielleicht lag es an diesen besonderen Erinnerungen, vielleicht auch am aufwühlenden Fußball-Nachmittag, dass der erklärte VfL-Bochum-Fan anfangs die Sache überdreht anging. „Es ist ein herrlicher Abend: Der VfL ist nicht abgestiegen. Alles andere sage ich jetzt besser nicht“, sagt der Ruhrgebiets-Star in Anspielung auf das Dortmunder Meister-Fiasko und den Schalke-Abstieg.

Die Videoleinwände blieben anfangs durch einen Vorhang bedeckt. Den Star konnten die Fans in den weiter entfernten Plätzen in der Arena nur erahnen. Bei „Kopf hoch, tanzen“ vergaß der Sänger ein paar Zeilen, beim dann folgenden „Bochum“ folgte der totale Blackout. Die Band spielte tapfer weiter, Grönemeyer starrte bei der Kult-Hymne irritiert ins Leere und musste die Strophe neu starten.

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Doch dann lief der 67-Jährige zur Betriebstemperatur auf. „Männer“, „Was soll das“, „Vollmond“, „Musik nur, wenn sie laut ist“ – Grönemeyer haute die Hits raus, tanzte in der ihm gewohnten Weise und spaßte mit den Fans. „Ich bin erst durch Köln so schön geworden, wie ich es heute immer noch bin. Ich sehe unfassbar gut aus und habe sehr schöne Beine, eine wahnsinnig schöne rechte Oberschenkelmuskulatur, die ist sehr stramm, zieht sich sehr weit nach oben“.

Aber er hatte nicht nur seine Klassiker im Gepäck. Gleich elf Titel des wunderbaren neuen Studioalbums „Das ist los“ mixte er ins Programm. Und da wurde es auch mal politischer. Um Flucht und Migration geht es in „Der Schlüssel“. Seine eigene Mutter komme selbst aus Estland. Viele Menschen hätten mehrere Heimaten.

Auch die Politik bekam mehrmals vom Songschreiber die Meinung gegeigt. „Es ist elementar, dass endlich wieder eine junge Generation anfängt zu kämpfen, den Finger auf Wunden zu legen, sich um das Klima Sorgen zu machen, weil es ihre Zukunft ist. Die Politik hat in ihrer pathetischen Art nichts Besseres zu tun, als irgendeinen Schwachsinn zu veranstalten, statt in die Füße zu kommen und sich zu bewegen“, schimpfte er vor „Oh Oh Oh“.

Herbert Grönemeyer mit dem Sold-out-Award.

Arena-Geschäftsführer Stefan Löcher (r.) überreichte Herbert Grönemeyer und Tour-Veranstalter Dirk Becker den Sold-out-Award für eine rappelvolle Köln-Show.

Die Single „Deine Hand“ kündigte er ebenfalls nachdenklich an: „In diesen Zeiten steht das Gehirn am Anschlag. Wir waren drei Jahre extrem gefordert und sind es immer noch. Wir wissen nicht mehr genau, geht es nach links oder rechts. In solchen Phasen ist es wichtig, dass wir begreifen, dass wir einander haben und wir uns füreinander Gedanken machen.“

Doch die Fans waren eher nicht für politische Belehrungen gekommen. Tanzen, Träumen, Tränen – das wollen sie von ihren „Herbie“. Und der hatte alles im Angebot. Der über 20 Jahre alte Trauer-Song „Der Weg“ zum Krebstod seiner Ex-Frau Anna berührt nach wie vor. Beim gigantischen Saxofon-Solo von „Alkohol“ stand keiner mehr still. „Freiheit, Neuzeit. Vor allem angstfrei – In der Unruhe liegt die Kraft“, singt er. Diese Unruhe verkörpert keiner so wie er.

Herbert Grönemeyer präsentierte seinen Fans 15 Zugaben

Als die Fans nach zwei Konzertstunden erste Ermüdungserscheinungen zeigten, wurden sie von ihrem Herbert wieder aufgeputscht. „Ist das alles? Wart ihr alle im Stadion, oder was?“, rief er. Und stimmte die Zeit, in der sich „was dreee-heeet, was dreee-heeet, was dreee-heeet“ an.

„Zauberhaft. Klasse. Auf den Punkt“, lautete das Grönemeyer-Fazit. „Er geht mir zu Herzen. Es ist schwer zu beschreiben, was ich jetzt fühle, aber das geht einem durch und durch, durch Mark und Bein. Das ist wundervoll.“

In dieser euphorischen Stimmung wollte er gar nicht mehr Schluss machen. Statt der ursprünglich geplanten neun (!) Zugaben wurden es am Ende 15! Auch Fan-Lieblinge wie „Moccaaugen“ oder „Currywurst“ gab es noch. Mehr Grönemeyer geht nicht. „Das ist Sekundenglück gestreckt auf drei Stunden“, sagte er bewegt.