Exklusiv

Erst arbeitslos, dann obdachlosSchicksal bewegt die Menschen im Kölner Süden – Karnevalisten helfen

Hans Baars mit der Obdachlosenzeitung „Draussenseiter“.

Hans Baars als Verkäufer der Obdachlosenzeitung „Draussenseiter“ auf dem Maternusplatz in Rodenkirchen. In der aktuellen Ausgabe ist ein Porträt über den Kölner zu finden.

Der Kölner Hans Baars hat erst den Arbeitsplatz und dann seine Wohnung verloren. Die Karnevalsgesellschaft „Der Reiter“ wurde auf das Schicksal aufmerksam und startete eine große Hilfsaktion.

von Marcel Schwamborn  (msw)Daniela Decker  (dd)

„Denn he hält mer zesamme, ejal wat och passeet“, singen die Bläck Fööss im „Veedel“. Dass der Spruch „Köln lässt keinen im Stich“ nicht nur eine leere Worthülse ist und dass Karneval viel mehr bedeutet als feiern, schunkeln und trinken, das zeigt sich in diesen Tagen im Kölner Süden.

Hans Baars kam 1960 in Sürth zur Welt, verbrachte dort eine schöne Kindheit. Später jobbte er in einer Gärtnerei, bei der Metro und auf einem Schiff. Zuletzt arbeitete er sechs Jahre als Zeitungsausträger, doch da wurde ihm Ende April 2024 ohne Vorwarnung gekündigt.

Hans Baars: „Plötzlich stand ich auf der Straße und war obdachlos“

Von 1600 Euro Nettoeinkommen im Monat ging es runter auf null Euro. Zudem verweigerte der Arbeitgeber die Ausstellung eines Kündigungsschreibens, was auf den Ämtern bis heute für Probleme sorgt.

Alles zum Thema Dreigestirn

Schnell geriet er deshalb mit den Mietzahlungen seiner Wohnung in der Wilhelmstraße, wo er 16 Jahre gelebt hatte, in Rückstand. „Mitten im Sommer stand ich plötzlich auf der Straße und war obdachlos“, blickt er im EXPRESS.de-Gespräch zurück.

„Ich bin dann erst mal mit meinem Fahrrad weg, weil ich keine Lust auf die Blicke der Menschen im Veedel hatte“. Die Familie hatte den Kontakt ebenfalls abgebrochen. Doch Baars kam nur bis Königswinter, dann zog es ihn wieder zurück nach Köln.

Sein Hab und Gut transportiert er in seinem Fahrradanhänger. Eine Plane, zwei Isomatten, zwei Schlafsäcke, zwei Schlabberhosen und Werkzeug sind darin verstaut. „Auch meinen größten Schatz, mein Laptop, habe ich immer bei mir“. Anfangs schlief der 65-Jährige wie einige andere Obdachlose in einem Wäldchen am Heinrich-Lübke-Ufer auf einer Bank.

Rolf Richter und Hans Baars stehen zusammen am Marktplatz.

Hans Baars mit Rolf Richter (l.). Der Präsident der KG „Der Reiter“ hat kräftig bei der Wohnungssuche für den Obdachlosen mitgeholfen und sorgt nun für Öffentlichkeit, um Spenden zu sammeln.

„Das war jedoch gefährlich“, berichtet er. „Mehrmals kamen nachts Personen, die uns ausrauben wollten. Einmal habe ich die Polizei gerufen, da sind die auf E-Scootern schnell abgehauen“. Ein 73-Jähriger, der neben ihm lag, gab einen entscheidenden Tipp. „Er sagte mir, dass ich mich an die Streetworker des Vereins Oase wenden soll. Die haben mir als Anlaufstelle und mit einer Postanschrift geholfen“.

Zudem verkauft Baars seitdem auf den Wochenmärkten in Weiß, Rodenkirchen und Sürth für die Oase die Obdachlosenzeitung „Draussenseiter“. Von den 3,40 Euro Verkaufspreis darf er zwei Euro behalten.

Das Rodenkirchener Dreigestirn mit Hans Baars.

Bei der Eröffnung des Straßenkarnevals in Rodenkirchen traf Hans Baars das Dreigestirn mit Jungfrau Ulla (l.), Prinz Andy I. und Bauer Marcus (r.).

Auf dem Markt kam er auch mit den Betreibern des Hermannshofs ins Gespräch. Für die hatte er in der Corona-Zeit Werbezettel verteilt, nun ließen sie ihn im Gegenzug seit Januar auf dem Hof im Hahnwald übernachten.

Als im Februar auf dem Maternusplatz der Straßenkarneval eröffnet wurde, nahm der Obdachlose seinen Mut zusammen und bat das Dreigestirn der Altgemeinde Rodenkirchen, das in der Session von der KG „Der Reiter“ gestellt wurde, um ein Foto. „Ich bin ein Jeck, liebe Karneval und mag vor allem die alte kölsche Musik“, sagt er.

Karnevalisten renovieren eine Wohnung.

Gemeinsam packten die Mitglieder der KG „Der Reiter“ an, um die Wohnung für Hans Baars zu renovieren und einzurichten.

Es entwickelte sich ein Gespräch mit Prinz Andy I. (Andreas Richter), Bauer Marcus (Marcus Rura) und Jungfrau Ulla (Michael Joist) über seine Situation. Zudem entdeckten die Jecken einen Beitrag der Rodenkirchener Journalistin Ute Schmidt in der „Stadtteilliebe“.

„Das Schicksal hat uns tief getroffen und nicht mehr losgelassen“, sagt KG-Präsident Rolf Richter im EXPRESS.de-Gespräch. „Beim Zug an Karnevalssamstag haben wir uns darüber unterhalten und haben uns auf die Suche nach einer Unterkunft gemacht.“ In Immendorf wurden die Karnevalisten fündig.

Die Mitglieder der KG „Der Reiter“ in der neuen Wohnung.

Andreas Richter und Delf Freitag (h.v.l.) sowie Frederic Jene, Claudia und Jürgen Bündgens (v.v.l.) freuen sich über das Vorankommen in der Wohnung.

Die Familiengesellschaft „Der Reiter“ aus Hochkirchen besteht aus 137 Mitgliedern und nutzte ihr Netzwerk, um Möbel und weitere Gegenstände für die Wohnung aufzutreiben. Mit knapp 20 Mann machte man sich an die Arbeit, um die Bleibe im Dachgeschoss zu renovieren. Zudem wurde eine Spendenaktion ins Leben gerufen, mit dem Ziel, 5555 Euro für das Notwendigste zu sammeln.

„Jeder Cent, der reinkommt, hilft“, sagt Richter. „Wir möchten auch gern ein paar Gutscheine für den Supermarkt oder die Metzgerei überreichen, um Hans beim Neustart in ein geordnetes Leben weg von der Straße zu helfen.“ Am Osterwochenende soll die Wohnung bezugsfertig sein.

Angi Edelmann und Steffi Schwarz streichen die Wohnung.

Angi Edelmann und Steffi Schwarz bei den Renovierungsarbeiten in der Wohnung.

„Ich freue mich schon so auf eine warme Dusche und die Nächte in einem richtigen Bett. Obwohl ich einen dicken Pulli trage, ist mir immer kalt“, sagt der 65-Jährige. „Den Karnevalisten bin ich so dankbar für die Hilfe“. Ein befreundeter Anwalt hat ihn zudem dabei unterstützt, den Antrag auf Erwerbsminderungsrente zu stellen. So ist auch die Miete für die neue Bleibe gesichert.

„Die Zeitung werde ich weiterhin verkaufen“, sagt der Kölner. „Ich möchte nicht betteln. Durch den Kontakt zu Menschen behalte ich außerdem das Gefühl, irgendwie dazuzugehören. Und zudem hilft mir meine Lebenseinstellung: Man muss immer positiv denken“.