Beim Richtfest wurden die Motivwagen für den Kölner Rosenmontagszug erstmals der Öffentlichkeit gezeigt. Ein Wagen sorgt schon im Vorfeld für Wirbel. Das Festkomitee beklagt zudem den hohen Kostendruck.
„Wir wollen provozieren“Kirchen-Wagen bleibt trotz hitziger Debatte im Zoch – Wirbel um Priester-Segnung
Das Kribbeln wächst, es geht auf die Zielgerade der Karnevalssession. Am Rosenmontag (3. März 2025) wird wieder der Zug durch Köln ziehen. Zwischen den 12.500 Teilnehmenden werden sich 19 Persiflagewagen einreihen.
Am Dienstag fand beim Festkomitee das traditionelle Richtfest für den Zoch statt. Die Band Scharmöör spielte und die Präsidenten der Gesellschaften durften in der Wagenbauhalle einen ersten Blick auf 17 Werke werfen, die der neue Zugleiter Marc Michelske mit seinem Team erstellt hat.
Rosenmontagszug Köln: Sparzwänge sorgen für 19 statt 25 Motivwagen
Obwohl es in der Halle einen Heizungsausfall gab und die Aufbauten nicht trocknen konnten, ist alles fertig geworden. Bis nachts um 1.30 Uhr war an den Persiflagen noch gearbeitet worden, nach der Präsentation ging es direkt weiter. Zwei Motive sind nämlich noch geheim und sollen unter anderem aktuell das Ergebnis der Bundestagswahl thematisieren.
An Position 58 im Zug wird auch der Wagen mitfahren, um den es im Vorfeld die wildesten Debatten gab. Der weltweite Missbrauchsskandal in der Kirche wird durch das Motiv „Jesus liebt dich“ thematisiert. Mehrere Politiker rund um Kölns Ex-Oberbürgermeister Fritz Schramma (77) hatten einen Protestbrief an Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn verfasst, weil sie die Darstellung „geschmacklos und peinlich“ finden.
Das Erzbistum Köln hat sich in einem offenen Brief ebenfalls an die Festkomitee-Spitze gewandt. Stein des Anstoßes ist der Satz „Jesus liebt dich“ am Beichtstuhl.
Damit, so Frank Hüppelshäuser, Amtsleiter von Kardinal Rainer Woelki, werde „Jesus, also Gottes Sohn, direkt mit dem Missbrauch in Verbindung gebracht“. Es werde „suggeriert, dass Jesus selbst im Beichtstuhl sitzt und den Messdiener durch Handzeichen dort hineinziehen will; zumindest wird Jesus hier instrumentalisiert.“
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Dieser Wagen sorgt für die Diskussionen: Eine Hand im Priestergewand lockt einen jungen Messdiener in den Beichtstuhl.
Weiter schreibt er: „Wenn man dem Sohn Gottes ein Mitverschulden an den schrecklichen Missbrauchstaten, die auch und gerade in der katholischen Kirche geschehen sind, unterstellt, ist eine Grenze überschritten, die mit keinem Grund der Welt zu rechtfertigen ist.“

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Stadtdechant Robert Kleine (l.) und Stadtsuperintendent Bernhard Seiger segneten den Rosenmontagszug und äußerten sich zur Debatte um den Kirchen-Wagen.
Der Wagen wird dennoch in der geplanten Form und mit dem Schriftzug „Jesus liebt dich“ an den Start gehen. Der Kölner Stadtdechant Robert Kleine für die katholische und Dr. Bernhard Seiger für die evangelische Kirche segneten am Dienstag die Wagen – auch den heiß diskutierten.
„Ich erbitte seit Jahren den Segen für einen unfallfreien Rosenmontagszug und ich segne nicht die dargestellten Motive“, sagte der 57-jährige Stadtdechant. „Auch ich persönlich finde den Wagen, der in der Kritik steht, missverständlich und die Bemühungen der Kirche um Aufarbeitung der furchtbaren Missbrauchsverbrechen nicht in den Blick nehmend. Aber der Wagen legt den Finger zu Recht in die Wunde.“

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Kölner Verkehrswende für'n Arsch ist das Motto dieses Wagens, der anprangert, dass die KVB personell auf der Felge fahre und das Verkehrschaos in der Stadt groß sei.
Deshalb teilt er die Kritik. „Ich hätte mir eine eindeutige und nicht mehrdeutige Darstellung gewünscht, die viele Jecke am Rand in der Kürze der Zeit am Rosenmontag vielleicht in ihrer Komplexität nicht erfassen“, sagte er. „Ich habe auch den Verantwortlichen des Festkomitees meine Kritik an dem Wagen und mein Vorschlag zur Veränderung mitgeteilt.“
Der jetzige Segen bedeute eben nicht, dass er die Darstellungen absegne oder gutheiße. Das sei auch nicht seine Aufgabe. „Es wäre auch anmaßend und übergriffig, in die Wahl der Wagen einzugreifen.“ Bis kurz vor dem Richtfest-Termin habe es noch manche Aufforderung an ihn gegeben, die Segnung nicht durchzuführen. „Aber ich sehe es als meine Aufgabe, Wagen zu segnen.“
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Elon Musk hat Alice Weidel auf der Wippe.
Stadtsuperintendent Seiger pflichtete dem bei: „Dass Menschen in unserer Kirche gelitten haben, ist eine Wahrheit. Daher ist es wichtig, dass das ausgesprochen und ausgehalten wird und dass wir alles Denkbare dafür tun, dass das in Zukunft nicht mehr passiert. Der Karneval trägt dazu bei, Wahrheiten auszusprechen. Wie gut, dass das so ist“.
Auch Präsident Kuckelkorn äußerte sich zu der Debatte: „Wir haben unglaublich viel Post bekommen. Es gab Menschen, die Anstoß an dem Wagen genommen haben, aber wir haben fast noch mehr Unterstützung bekommen. Es gab einen Pfarrer, der gerne auf dem Wagen mitfahren möchte, um dem Thema Öffentlichkeit zu geben. Ein Pfarrer hat sich gemeldet, der in den nächsten Tagen ein Missbrauchsopfer bestattet und der in seinem Leben nicht mehr erfahren hat, dass es aufgearbeitet wird.“
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Marc Michelske steht vor seiner Premiere als Zugleiter. Gleich zum Start gibt es Wirbel um einen seiner Motivwagen.
Im Grunde habe das Festkomitee mit dem Motiv sein Ziel erreicht. „Es gibt eine sehr differenzierte und unterschiedliche Wahrnehmung des Wagens, aber genau das wollen wir erreichen. Wir wollen wach rütteln, ein wenig provozieren und Themen am Kochen halten, damit etwas passiert“, sagte Kuckelkorn zu EXPRESS.de.
Angesichts der hitzigen Debatte fiel die Aufmerksamkeit für die anderen Motive etwas ab. So gibt es Elon Musk als Wagenfigur, AfD-Politikerin Alice Weidel fährt mit Sahra Wagenknecht vom BSW als siamesische Zwillinge. „Liebesgrüße aus Moskau“, lautet das Motto.
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Donald Trumps „Freak Show“ in den USA wird auch im Rosenmontagszug thematisiert.
„Wir haben mit unseren Wagen Themen aufgegriffen, die regional, national und international wichtig für die Gesellschaft sind. Dazu gehören die Verwahrlosung der Stadt Köln genauso wie der deutschlandweite Bildungsnotstand, die Bundestagswahlen oder die politische Situation in den USA und der Ukraine“, sagte Michelske, der das Amt von Holger Kirsch übernommen hat.
Der Vorgänger wurde für seine Leistungen – sei es den Hänneschen-Zug oder den zum Jubiläum von der Deutzer Seite – mit stehenden Ovationen gewürdigt.
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Im kölschen Liedgut wird die Liebe zur Stadt immer wieder besungen. Doch die Realität sieht anders aus. Köln versinkt im Müll.
Dass in diesem Jahr nur 19 Motivwagen statt wie bisher 25 zu sehen sein werden, ist den Sparzwängen des Festkomitees geschuldet. Der Zoch sei mit seinen 3,5 Millionen Euro an Kosten defizitär und für eine gemeinnützige Organisation kaum noch zu stemmen.
Präsident Kuckelkorn betonte deshalb erneut, wie wichtig eine Erhöhung der Kulturförderung seitens der Stadt sei. „Es kann nicht sein, dass der hauptsächlich vom Ehrenamt getragene Karneval so ein großer Motor für die Stadt ist, aber kaum etwas zurückbekommt. Wir brauchen Unterstützung“.

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Wer auf die Deutsche Bahn wartet, muss meist damit rechnen, dass es etwas länger dauert. „Liebesent-Zug“ heißt daher der Wagen.
Mit einer frischen Studie wird derzeit die Wirtschaftskraft des Karnevals untersucht. Diese ist demnach um 42 Prozent von 600 Millionen Euro (2019) auf 850 Millionen Euro gestiegen. Die Ergebnisse würden zeigen, dass der Kölner Karneval eine enorme wirtschaftliche Bedeutung für den lokalen und überregionalen Tourismus in der Gastronomie und Hotellerie habe.
Beim Richtfest durfte auch das Dreigestirn erstmals die Aussicht von den beiden Festwagen genießen. Auf Wagen 77 werden Bauer Michael und Jungfrau Marlis stehen, auf Wagen 79 Prinz René I.
Kölner Dreigestirn besucht Grab von Marie-Luise Nikuta
„Wir freuen uns, Rosenmontag den Höhepunkt zu erreichen, auf unseren Wagen zu steigen, mit 1,5 Millionen Menschen am Straßenrand bei hoffentlich schönem Wetter friedlich und sicher zu feiern“, sagte der Prinz. Michelskes Einwurf, dass man von mehreren hunderttausend Menschen in der Stadt ausgehe, konterte René cool: „Ich habe 1,5 Millionen Anmeldungen“.
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Das Dreigestirn besuchte zum fünften Todestag das Grab von Marie-Luise Nikuta.
Unmittelbar vor dem Besuch in der Wagenbauhalle hatte das Trifolium noch einen besonderen Herzenstermin absolviert. Die drei legten auf dem Melatenfriedhof rote Rosen am Grab von Marie-Luise Nikuta nieder, riefen ein „Dreimol Alaaf“ aus und sangen den Straßenbahn-Song.
Die Mottoqueen war vor fünf Jahren im Alter von 81 Jahren verstorben und war eine große Förderin der StattGarde Colonia Ahoj. Zur Würdigung ihrer Leistung für die queere Karnevalsgesellschaft trägt die Jungfrau den Namen Marlis.