„Steht mir bis heute vor Augen“Kölner Soldat überlebte Bombenangriff – „17 Luftwaffenhelfer gefallen“

Ein Klassenfoto in schwarz-weiß.

Das Foto zeigt die 6. Klasse des Deutzer Gymnasiums zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Alle wurden zu Flakhelfern. Karl-Heinz Morschel steht als Zweiter von links in der zweiten Reihe.

Eine Tragödie aus dem Weltkrieg jährt sich dieses Jahr zum 80. Mal. Ein Überlebender erinnert sich.

Der 28. Januar 1945 hat sich tief in das Gedächtnis von Karl-Heinz Morschel (89) eingegraben. 17 seiner Flakhelfer-Kameraden lassen an dem Tag, der sich jetzt gejährt hat, ihr Leben, als alliierte Flieger den Flughafen in Ostheim mit einem Bombenteppich überziehen.

Morschel selbst überlebt. Er ist an diesem Tag von seiner übergeordneten Dienststelle nach Bayenthal abkommandiert worden – um Klavier zu spielen.

Köln: Zeitzeuge erinnert sich an Tragödie von Ostheim

Ende Januar 1945 ist es bitterkalt. Die 16- bis 17-jährigen Schüler des 2. Zuges sitzen in ihren Baracken. „Wir haben die Öfen tüchtig geheizt“, erinnert sich Morschel. „Nachts schliefen wir unter mehreren Decken auf unseren Holzpritschen, auf denen nur Strohsäcke lagen“.

Schon im November 1943 hatte die Wehrmacht ihre Soldaten vom Flugplatz abgezogen. Stattdessen sollten nun die jungen Flakhelfer, rekrutiert aus den Oberschulen in Deutz und Bergneustadt und aus der Mittelschule in Wiehl, an Flugabwehrgeschützen gegen die Bomber der Alliierten verteidigen.

„Anfangs gab es in den Stellungen noch Unterricht,“ sagt Morschel. „1945 längst nicht mehr. Wir waren das letzte Aufgebot, das die Nazis zur Verteidigung ihrer Stellungen hatten.“

Es kommt zur Tragödie. An jenem 28. Januar 1945, gegen Mittag, zerstört ein Angriff amerikanischer Bomberverbände das Flugfeld, die Abstellplätze, umliegende Flakstellungen und auch viele Baracken in Ostheim.

Ein älterer Mann sitzt auf einem Hocker vor einem Keyboard.

Karl-Heinz Morschel, hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2018, hat den Bombenangriff 1945 überlebt.

Ein Bomber trifft die Flakstellung am Rather Kirchweg. Morschels 17 Kameraden sind schon in den Schutzstollen geflüchtet. Aber sie kommen dort nicht mehr heraus, weil die Baracke über dem Stollen in Brand gerät und den Ausgang versperrt. 15 der Flakhelfer ersticken. Zwei können sich ins Freie retten, überleben aber nicht.

Ein schicksalhafter Umstand wenige Stunden zuvor hat Morschels Leben gerettet. In Ostheim wird angefragt, ob einer der Jungens Klavier spielen kann. Morschel meldet sich und muss am 28. Januar bei der übergeordneten Batterie in Bayenthal antreten. Er fährt mit dem Rad über die Rodenkirchener Brücke, die damals „Adolf-Hitler-Brücke“ heißt.

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„Als ich ankam, musste ich bei einem jungen Leutnant antreten und mich gleich an ein Klavier setzen. Auf dem Instrument lag ein Berg von Noten. Ich suchte mir ein Stück aus, das ich konnte. Aber der Leutnant unterbrach mich. Er meinte, das Stück sei ungeeignet – er brauche etwas Heroisches, das ich am 30. Januar, dem Tag, an dem sich Hitlers Machtergreifung zum 12. Mal jähren würde, spielen solle“.

Das Vorspiel endet bald. Der junge Mann wird aufgefordert, schnell mit in den Luftschutzkeller zu kommen, weil starke Bomber-Verbände im Anflug seien. „Viele ihrer Bomben landeten im Rhein, die Erschütterungen waren sehr stark zu spüren. Und dann stürzte die Brücke, über die ich noch etwa 30 Minuten vorher gekommen war, in den Rhein“, erinnert sich der heute 89-Jährige.

Ein Foto der eingestürzten Rodenkirchener Brücke in Köln.

Karl Heinz Morschel überlebte als einer von vier Flakhelfern einen Angriff der alliierten Bomber und erlebte, wie die Rodenkirchener Brücke einstürzte

Wenig später wird Morschel von einem Oberst angesprochen. Er fragt ihn, aus welchem Zug in Ostheim er komme. „Aus dem 2.“, antwortet Morschel. Der Oberst sagt: „Da ist etwas passiert – wir fahren sofort hin.“

„Es ging im Jeep über die Hohenzollernbrücke“, sagt Morschel. „Es war die einzige Brücke, die noch nicht zerstört war.“ In Ostheim angekommen, macht ein Zugführer Meldung: „Der 2. Zug steht mit zwei Soldaten und vier Luftwaffenhelfern hier. 17 Luftwaffenhelfer gefallen!“

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Drei haben überlebt, weil sie zum Essenholen abkommandiert waren, einer stand mit einem Soldaten an einem Geschütz. „Ich sah zwei meiner Kameraden tot neben dem Ausgang des Stollens liegen“, berichtet Morschel. „Das war ein so schrecklicher Anblick, der mir bis heute vor Augen steht.“ Dann sagt er: „Für die Feier am 30. Januar 1945 wurde ich nicht mehr angefordert. Ich bekam eine Woche Urlaub.“

Nach Ende des Krieges kommt Morschel für vier Monate in Gefangenschaft. Dann kehrt er zurück nach Köln und macht eine Ausbildung zum Bäcker, wird später Konditor und Patissier, arbeitet im Alten Wartesaal des Hauptbahnhofs. „Ich habe im Krieg immer gehungert. Also habe ich einen Beruf gewählt, der mich und meine Familie ernährt.“

Dieser Text von Inge Wozelka erschien am erstmals am 28. Januar 2018 im EXPRESS.