Ein unscheinbarer Container in Köln-Mülheim ist ein wichtiger, mitunter lebensrettender Anlaufpunkt für Obdachlose.
„Leben auf der Straße ist ein Killer“Ein Container voller Hoffnung für Obdachlose in Köln
von Laura Schmidl
Von außen ahnt man kaum, was sich im Inneren der Container befindet. Sie stehen in einem kleinen Areal unweit des Wiener Platzes in Köln. Zur Tür hinein, da offenbart sich seit 2022 eine kleine, aber voll ausgerüstete Praxis. Mit Wartezimmer, Behandlungsraum, Mitteln für Diagnostik, Medikamenten.
Für Wohnungslose und alle, die sich in eine handelsübliche Hausarztpraxis nicht hineintrauen. Und für diejenigen, die trotz Pflicht nicht krankenversichert sind. In Deutschland sind das etwa 61.000 Menschen.
Medizinische Hilfe für Obdachlose in Köln
Die Praxis für Wohnungslose und Bedürftige „Caya“ – nach dem Nirvana-Song „Come As You Are“ (dt.: „Komm wie du bist“) – ist ein gemeinnütziges Projekt von Kölner Ärzten, darunter Heinz-Wilhelm „Doc“ Esser und Mark Oette, Chefarzt im Krankenhaus der Augustinerinnen in Köln. Wohnungslose und Bedürftige bekommen in der Praxis kostenlos und unbürokratisch professionelle medizinische Hilfe. Für Köln ist das in der Form einzigartig.
Doc Esser sagt: „Wir haben nach wie vor eine zu geringe Versorgung wohnungsloser Menschen. Das ist nicht nur hier in Köln so, sondern deutschlandweit.“ Dabei steige der Bedarf durch eine immer höhere Zahl Obdachloser. „Es ist eine sehr vulnerable Gruppe Menschen, die durch ihren Lebensstil ein höheres Risiko für viele Erkrankungen hat, beispielsweise Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen. Dazu kommt, dass sie oft schlecht ernährt oder süchtig sind.“
Insbesondere stehe die Wundversorgung im Mittelpunkt: „Der Klassiker sind offene Beine und offene Wunden. Verletzungen heilen nicht gut, entzünden sich, Verbände werden schnell nass und es kommt Ungeziefer rein“, erzählt Esser. Sein Kollege und Chef des Vereins, Mark Oette, formuliert es drastisch: „Das Leben auf der Straße ist ein Killer.“
Obdachlosen-Praxis in Köln: Von Neurologie bis Gynäkologie
Tatsächlich haben Obdachlose ein bis zu vierfach erhöhtes Risiko, verfrüht zu sterben. Für Oette und Esser der Grund, sich zu engagieren. Oette: „Ich mache Obdachlosenmedizin schon seit Mitte der 90er-Jahre. Wir beide kennen dieses Leid seit dem ersten Tag unserer beruflichen Tätigkeit und haben immer gesehen, dass die Krankenhäuser da zu wenig tun.“
Am Anfang fuhren sie im Bus an Brennpunkte. „Das war zu wenig. Wir haben Almosen verteilt. Ich will das nicht kleinreden – aber Sie würden nicht akzeptieren, wenn Sie in einer Hausarztpraxis so versorgt würden. Deshalb die Praxis. Das ist auch eine Respektsbezeugung gegenüber den Klienten“, sagt er. „Wir können fast alle Fachrichtungen bespielen. Wir haben Neurologen und Gynäkologen hier, bieten auch eine Gesprächstherapie an“, sagt Doc Esser.
Und sie retten Leben, wie Mark Oette erzählt: „Meine Frau, ebenfalls Ärztin, hatte hier einen Mann, der kurz vor einem Schlaganfall stand. Den hat sie ins Krankenhaus gebracht, er ist noch am selben Tag an der Halsschlagader operiert worden.“ Oder Gliedmaßen, die nur durch die Versorgung durch das Team gerettet werden konnten. Beileibe mache das nicht immer Freude. „Es ist nicht spaßig, im Gestank zu stehen und eitrige Wunden zu versorgen. Dort, wo die meisten Menschen sich nicht trauen, hinzugucken, fassen wir hin. Aber es ist ungemein befriedigend, wenn man sieht, dass es den Leuten besser geht.“
Herausfordernd bleibt die Arbeit dennoch. Doc Esser sagt: „Obwohl wir hier die Standards einer Praxis halten, ist es natürlich anders. Die Klientel ist etwas Besonderes und braucht eine etwas andere Ansprache.“ Allein eine regelmäßige Medikamenteneinnahme sei für Obdachlose oft nicht so einfach. Etwa, weil sie damit beschäftigt sind, einen Unterschlupf zu finden. Auch die Behandlung selbst ist anspruchsvoll.
„So ein Verbandswechsel von offenen Beinen, wo die Wunde gesäubert wird, dauert locker eine halbe Stunde bis Stunde. Wir kommen auf ein paar tausend Patientenkontakte jedes Jahr. Tendenz dramatisch steigend“, sagt Esser.
Obdachlose haben eine Lebenserwartung von gerade mal 47 Jahren
Einige tausend Euro im Monat kostet der Betrieb der Praxis: Verbrauchsmaterial geht ins Geld, die Medizinischen Fachangestellten sind – anders als die Ärztinnen und Ärzte, die hier allesamt ehrenamtlich helfen – festangestellt. „Wir wollen uns weiterentwickeln. Wir haben gerade einen Bus gekauft, der zu einer mobilen Praxis umgebaut wird.“
Die medizinische Versorgung für Obdachlose in Deutschland bleibt unzureichend. Mark Oette: „Hier schaffen wir es, eine kontinuierliche Betreuung der Menschen zu erreichen. Die durchschnittliche Lebenserwartung auf der Straße beträgt 47 Jahre. Das ist ein Skandal. Unser Beitrag dagegen ist diese kleine Praxis.“ Caya finanziert sich allein aus Spenden. Wer helfen will, kann das tun: IBAN: DE20 3806 0186 4954 4570 15.