Bonn – Jakob Klaas ist seit Mai 2014 Leitender Oberstaatsanwalt, Chef über 60 Ankläger.
Nach acht Monaten im Amt: Wie fällt ein erstes Fazit aus?
Die Bonner Staatsanwaltschaft ist eine ausgesprochen angenehme Behörde: Wir sind gut aufgestellt, haben eine kollegiale Stimmung vom Wachtmeister bis zum Behördenleiter. Was uns drückt, ist die räumliche Situation. Das Haupthaus ist schlicht zu klein. Aber unterm Strich macht es große Freude, in Bonn zu arbeiten.
Wie viele Fälle kommen im Jahr rein?
In einem vollen allgemeinen Dezernat sind es 870 bis 880 pro Jahr und Staatsanwalt. Die Belastung ist sehr sehr hoch, liegt aktuell bei etwa 125 Prozent.
Ist das noch richtiges Ermitteln oder „Akten-Wegschaffen“?
Es ist immer noch vernünftiges Ermitteln. Man muss dabei aber die Möglichkeiten, die uns die Strafprozessordnung gibt, nutzen. Aus der Sicht des Anzeigenerstatters oder des Beschuldigten ist alles wichtig. Es gibt aber nun einmal Fälle, in denen wir den Rechtsfrieden nicht herstellen können, indem wir jemanden anklagen.
Wie werden die Probleme beim Bürger spürbar?
Als Staatsanwalt sitzt man immer zwischen den Stühlen. Für die einen sind wir die „Strafvereitler im Amt“ und für die anderen „Verfolger von Unschuldigen“. Natürlich kann eine Beleidigung im Straßenverkehr verletzend sein, doch wenn jemand mit dem Messer auf einen anderen losgeht, hat das eben eine andere Qualität. Es ist unsere Aufgabe, das zu bewerten. Natürlich kommt es da auch zu Beschwerden. Doch offen gesagt ärgert mich das Bild des Staatsanwalts in Film und Fernsehen. Da hat der gewöhnliche Staatsanwalt ein Büro so groß wie meins als Behördenleiter, fährt ’nen 7er BMW als Dienstwagen und hat nur drei Akten auf dem Tisch. Ich rege mich darüber so auf, dass meine Frau sagt, mit mir könne man keinen Krimi mehr in Ruhe ansehen. (lacht)
Was wünschen Sie sich von der Landesregierung?
Der Minister weiß, dass wir etwas anders untergebracht sein müssten, er will sich der Sache annehmen. Und natürlich brauchen wir noch mehr Stellen. Wir haben Verfahren, die länger dauern, obwohl wir uns wünschten, sie schneller abschließen zu können. Unsere Leute sind an der Grenze.
Wie bewerten Sie die Kriminalität in Bonn? Wo liegen Besonderheiten und Unterschiede zu Ihrer alten Wirkungsstätte Köln?
Ich bin mit der Polizeipräsidentin einer Meinung: Bonn als Hauptstadt der Einbrecher zu bezeichnen, trifft es nicht. Statistisch mag das zwar stimmen, doch man muss bedenken, dass die gute Infrastruktur, wohlhabende Wohnviertel und die Verkehrsanbindung Anreize für Täter bieten. Wie in Köln gibt es soziale Brennpunkte, wobei die in Bonn kleiner sind. Ich will die Situation in Bonn aber gar nicht kleinreden.
Da einhakend: Ist das Jugendstrafrecht noch zeitgemäß?
Es ist noch zeitgemäß, dadurch, dass es den Erziehungsgedanken in den Fokus stellt. Aber es geht auch um das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit. Da ist es teilweise schwer, den Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts zu „verkaufen“. Ich habe viel Verständnis für diejenigen, die selbst betroffen sind. Aber es kann eben keine Selbstjustiz geben. Bei gravierenden Einzelfällen, die uns alle entsetzen, kann man nicht einfach nach schärferen Gesetzen schreien.
Was sind für Sie die spannendsten Bonner Prozesse und Verfahren der letzten Zeit?
Schon in Köln habe ich den WCCB-Prozess mit allem, was dazugehört, verfolgt. Besonders beeindruckend waren auch die Verfahren mit den ermordeten Ehefrauen. Das sind Sachen, die einen sehr anrühren. Oder denken Sie an das Ehepaar Hagen – so etwas bewegt einen. Und wir haben immer die Herausforderung, dass wir die Sachverhalte trotz allem objektiv betrachten müssen, um den Fall bestmöglich aufklären zu können.
Gab es Situationen, in denen Sie bedroht wurden?
Bedroht worden sind wir alle schon mal. Ich habe auch schon einen unter 21-Jährigen erlebt, der sagte: „Wir sehen uns wieder, wenn ich rauskomme.“ Das kommt immer wieder vor, man muss das einzuordnen wissen.
Zum Abschluss: Wie gefällt Ihnen eigentlich Bonn?
Klar, ich wohne hier nicht...
Das könnte man ja ändern.
(inbrünstig) Nein! (lacht) Ich wohne in dem Ort, wo ich geboren bin, da bin ich daheim. Meine Frau könnte sich einen Umzug in die Stadt vorstellen, ich bin da eher das „Landei“. Wenn ich mal Zeit habe, würde ich gerne die Unterschiede zwischen der Bonner und der Kölner Oper austarieren. Beruflich ist hier auch die Zusammenarbeit mit den Richtern und den Rechtsanwälten ausgesprochen angenehm. Ich fühle mich wohl hier.