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Jung, gewalttätig, skrupellosSo mächtig sind NRWs kriminelle Familienclans
Drogenhandel, Erpressung, Gewaltattacken.
Auch in NRW hat sich eine kriminelle Parallelgesellschaft meist arabischer Großfamilien etabliert.
Das Düsseldorfer Landeskriminalamt (LKA) zählt 100 Sippen in NRW.
Aufgelistet wurden 6449 Tatverdächtige aus dem Milieu, die bis 2018 binnen zwei Jahren 14.225 Straftaten begangen haben sollen.
Essen/Düsseldorf – Bilal H. rastete aus: „Schlampe“, herrschte er die Mitarbeiterin des Ordnungsamtes in der Essener City laut Polizeiprotokoll an. Während der bullige Mann auf die Frau zustürmte und zum Faustschlag ausholte, schob er noch zahlreiche schlimmere Beschimpfungen hinterher. In letzter Sekunde stellten sich Kollegen der städtischen Mitarbeiterin dazwischen, um den tobenden Angreifer zu bremsen: Bilal H., vielfach vorbestraft, Mitglied des berühmt, berüchtigten Al-Zein-Clans.
Spitzname „Pumpgun Bilal“
Der verängstigten und zitternden Frau brüllte er den Ermittlungen zufolge noch einige Flüche hinterher: „Verpiss Dich, wenn ich Dich hier nochmal treffe, schlag ich Dich kaputt.“ Einem Polizisten in Zivil, der zufällig vor Ort war, ging der Berufsverbrecher noch an den Kragen, weil der die Szene per Handy gefilmt hatte.
Bilal H., Spitzname „Pumpgun Bilal“, weil er seinen Vater einmal mit einer derartigen Flinte bedroht hat, ließ keinen Zweifel daran, wer seiner Meinung nach in dem Viertel das Sagen hat: der Clan.
Der Grund für den Ausraster: Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes hatten eine Spielhalle in der Essener Innenstadt kontrolliert und dabei H. mit seinem kleinen Sohn angetroffen. Kinder dürfen nicht in die Räume, sagte die Frau vom Amt – und die Situation eskalierte.
Vor Gericht verantworten musste H. sich deshalb aber nicht. Denn bei der Essener Justiz ist der wuchtige Schläger gefürchtet. In einem Vermerk plädierte ein Amtsrichter dafür, die Anklagen in der Spielhallen-Sache und weiteren Fällen von Beleidigung, des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Bedrohung und vorsätzlicher Körperverletzung nicht zu verhandeln.
Zu hoch erschien ihm das Sicherheits-Risiko durch Tumulte seitens des Angeklagten und seiner Familie im Gerichtssaal. Im Falle eines Prozesses seien wohl ein Dutzend Justizwachtmeister nebst Polizeiaufgebot nötig, „um eventuelle bedrohliche Situationen zum Nachteil der geladenen Zeugen, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft oder auch des Gerichts zu unterbinden.“
Bilal H. kam deshalb mit einem Strafbefehl über siebeneinhalb Monate auf Bewährung davon.
Miri, Omeirat, Remmo, Abou Chaker, El Kadi, Serhan, Nemr und Tamr, El Kurdi: Die Namen haben bundesweit in der Unterwelt großes Gewicht bekommen. Bei weitem nicht jeder Angehörige geht illegalen Geschäften nach.
Der Arm der kriminellen Familienzweige reicht jedoch von der Spree, über die Weser bis an die Ruhr und den Main. Das weit verzweigte Sippen-Netz verläuft vom südlichen Schweden über Deutschland, Belgien, Niederlande bis zur Türkei und den Libanon.
Die vier Hauptclans
Al-Zein: Die Großfamilie ist eine der mächtigsten in Berlin und im Ruhrgebiet, besonders in Essen. Zu dem Clan zählen etwa 5000 Mitglieder. Ihr Oberhaupt ist Mahmoud Al-Zein, selbst ernannter „Pate von Berlin“.
Omeirat: Die Familie ist hauptsächlich im Ruhrgebiet aktiv. 2015 wurde Boxer Manuel Charr von einem Mitglied der Al-Zein-Familie angeschossen. Womit die Familie ihr Geld verdient, ist unklar.
Miri: Ramadan A., Anführer des Clans mit Schwerpunkt in Bremen, wurde im Herbst 2018 festgenommen. Die Familie soll mit Marihuana und Koks in Bochumer Shisha-Bars handeln.
Remmo: Die Familie Remmo soll vor allem mit Immobilien gehandelt haben. Einige Objekte wurden beschlagnahmt. Zu, Clan zählen 500 Mitglieder in Berlin und Essen.
Allein in NRW 100 Sippen
Auch die Ruhrschiene ist mittlerweile Clan-Land. Das Düsseldorfer Landeskriminalamt (LKA) zählt 100 Sippen in NRW. Aufgelistet wurden 6449 Tatverdächtige aus dem Milieu, die bis 2018 binnen zwei Jahren 14.225 Straftaten begangen haben sollen.
Jung, gewalttätig, skrupellos, ohne Respekt vor der Staatsmacht: Das ist der Prototyp eines Clanmitglieds. Typen wie Bilal H. eben. Von einem Wettbüro-Betreiber soll er im Jahr 2014 150.000 Euro gefordert haben. Zudem sollte der Bedrohte zwei Zockerbuden der Familie übergeben und 10.000 Euro monatliches Schutzgeld bezahlen, andernfalls sei er ein toter Mann.
Wettbüro-Besitzer erpresst
So zumindest legen es Vermerke nahe, die EXPRESS vorliegen. Jahrelang versuchte die Essener Staatsanwaltschaft Bilal H. und seine Verwandten, die die Vorwürfe stets bestritten, wegen Erpressung zu belangen.
Letztlich aber wurden die Angeklagten wegen Ermittlungsfehlern und aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Der Bundesgerichtshof verwarf 2018 die Revision der Ankläger. Der 37-jährige Araber gehört zu den großen Problemfällen an der Ruhr. H. gilt als einer der führenden Figuren im libanesischen Al-Zein-Clan der Reviermetropole.
Sein Vater ist eines der Oberhäupter der Großfamilie mit geschätzt 5000 Mitgliedern, die in Berlin und an der Ruhr Hunderte Strafakten füllt. „Die Heimat ist der Clan“, erläutert Essens Polizeipräsident Frank Richter. „Der deutsche Staat mit seiner Werteordnung wird verachtet. Er gilt als schwach.“
Null-Toleranz-Strategie
Seit seinem Amtsantritt 2017 forciert NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) eine „Null-Toleranz-Strategie“ mit zahlreichen Razzien in Clan-eigenen Shisha-Bars, Spielhallen, Imbissbuden, Lokalen bis hin zu Gewerbebetrieben oder Mietshäusern, die sich im Besitz der Groß-Sippen befinden.
Reul will über „die Politik der Hundert Nadelstiche“ die Lufthoheit im Ruhrgebiet zurückgewinnen. „Es ist eine Mammutaufgabe, den Clans das Handwerk zu legen“, bekennt der Minister.
Clans teilen Territorien untereinander auf
Die Clans teilen den Einfluss untereinander auf. „Beinahe turnusmäßig treffen sich die Oberhäupter der wichtigsten Familien in Düsseldorf, um ihre Geschäfte zu besprechen und ihre Territorien abzustecken“, berichtet ein hochrangiger Ermittler dem EXPRESS.
Nach Angaben der Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik geht in der Hauptstadt jede vierte Tat im Bereich Organisierter Kriminalität (OK) auf das Konto arabischer Clans. Ähnlich aktiv scheinen die NRW-Ableger zu sein, die längst ihre Operationsfelder weit über das Ruhrgebiet hinausgeschoben haben.
Bilal H. indes kann auf das Wohlwollen seines Bewährungshelfers zählen. Trotz aller Rückfälle stellte der ihm im Herbst 2016 ein positives Zeugnis aus.