Österreich jagt in der Corona-Krise von einem Negativrekord zum nächsten und nicht nur Krankenhäuser sind zunehmend überlastet, sondern auch die kleineren Praxen. Ein Arzt aus der Steiermark erklärt EXPRESS.de, wie sehr sein Team am Limit arbeitet. Und dass nicht nur Ungeimpfte, sondern auch Geimpfte zur aktuellen Lage beitragen.
Corona-Drama in ÖsterreichArzt kann nicht mehr: „Auch Geimpfte sorgen für diese schreckliche Entwicklung“
Neumarkt in Steiermark. Die kleine Gemeinde Neumarkt in der Steiermark, zwischen den Seetaler Alpen im Osten und der Grebenzen gelegen, ist mit seinen rund 5000 Einwohnern ein wahres Bergidyll. Und im Normalfall ein herrlicher Ort, um ein Landarzt zu sein. Doch Dr. Wolfgang Auer, der eine kleine Praxis im Ort betreibt, kann schon längst nicht mehr die Ruhe genießen.
Die Corona-Lage in Österreich wird auch in der Steiermark zunehmend zu einem Drama: Die Infektionszahlen jagen von einem Negativrekord zum nächsten, die Intensivstationen füllen sich immer weiter – und auch Auer und sein Team stehen kurz vor der Belastungsgrenze, wie er im Gespräch mit EXPRESS.de erzählt.
Normalerweise ist Auer der Familienarzt der Gemeinde, kümmert sich zusammen mit zwei weiteren Ärzten und sechs Mitarbeitern um seine Patienten. Doch seit Neuestem kümmert sich das Team auch um die Corona-Schutzimpfungen und die Corona-Infizierten. Die Inzidenz in dem kleinen Ort liegt derzeit bei über 600. „Wir haben derzeit zwischen 200 und 300 Patientenkontakten – pro Tag. Das ist kaum mehr zu bewältigen.“
So wie die gesamte medizinische Versorgung im Land sind auch seine Möglichkeiten „am Limit“, wie er sagt. „Auch nach anderthalb Jahren Pandemie hat sich die Lage in keiner Weise verbessert: Es ist kein Spitalarzt dazu gekommen, es gibt nicht mehr niedergelassene Ärzte. Das Pflegepersonal pfeift aus den letzten Löchern. In der intensivmedizinischen Versorgung hat sich die Lage eher verschlechtert als verbessert.“
Arzt in Österreich: „Auch Geimpfte verbreiten das Virus jetzt weiter“
Ein weiteres Problem: die Teststruktur. Viele Tests, die Zuhause durchgeführt werden oder die Tests in den Apotheken sind teilweise nicht valide oder werden falsch abgenommen. „Daher werden Menschen, die getestet worden sind, in falscher Sicherheit gewogen.“ So würden auch Falsch-Getestete oder auch Geimpfte die Pandemie antreiben, bei denen eine mögliche Durchbruchsinfektion nicht erkannt wurde. „Geimpfte lassen sich in Österreich nicht mehr testen, sie könnten aber kurzzeitig noch immer eine hohe Viruslast haben und das Virus weiterverbreiten.“
Es gebe noch immer viele Impfverweigerer, die eine Spritze ablehnen. Allein in seiner Gemeinde sind es etwa zehn bis 16 Prozent der Menschen, erklärt er. „In Österreich ist jetzt auch eine Zwangsimpfung in der Diskussion, Impfunwillige werden von der Politik für die gesamte Situation verantwortlich gemacht. Doch ich merke in den Gesprächen mit den Menschen, dass dieser Druck, der jetzt immer mehr auf sie ausgeübt wird, zu einem Gegendruck führt. Er ändert nichts an ihrer Einstellung: Sie lassen sich partout nicht impfen.“
Der starke Druck, er sei er kontraproduktiv, so Auer. Seit Montag herrscht in Österreich der Lockdown für Ungeimpfte. Doch Auer prognostiziert: Das wird die Welle nicht brechen. „An einem harten Lockdown, bei dem noch einmal alles heruntergefahren wird, wird kein Weg vorbeiführen. Wir haben teilweise Sieben-Tages-Inzidenzen mit über 2500 in bestimmten Regionen. Wir müssen die Kurve abflachen.“ Sollten keine einschneidenden Maßnahmen beschlossen werden, befürchtet Auer auch für das ganze Land Inzidenzen jenseits der 1000er-Marke.
In etwa zwei Wochen werde dann erkennbar, wie sehr sich diese Inzidenzen auf die jetzt schon überlasteten Intensivstationen auswirken werden. „Wir stehen vor einer Überbelastung, auch weil das Gesundheitssystem nicht ausgebaut, sondern eher gespart wurde.“
Arzt in Österreich: Auch Geimpfte führen zur Spaltung der Gesellschaft
Zwar steigt die Impfquote in Österreich, doch wie lassen sich Impfverweigerer in Österreich doch noch überreden? Jedenfalls nicht mit Angst, erklärt Auer. „Menschen zur Impfung zu zwingen, das wird nicht funktionieren. Wir brauchen eine adäquate Kommunikation, die sich an alle Menschen richtet. Das ist sehr wichtig, gerade in einer Pandemie.“ Auer wünsche sich mehr Nüchternheit, mehr Professionalität auch in der Politik, vor allem in der Kommunikation. „Damit die Botschaften bei den Menschen richtig ankommen.“
Doch ähnlich wie in Deutschland werden auch in Österreich aggressive Grabenkämpfe ausgefochten – im Netz, auf der Straße, in den Kommentarspalten. Sowohl die Impfbefürworter als auch die Verweigerer haben sich argumentativ verbarrikadiert, es findet kein Austausch mehr statt. „Es gibt nicht nur extreme Impfgegner, es gibt eben auch jene Extreme, die sagen, alle Ungeimpften müssten ins Gefängnis. Das ist wirklich das größte Problem: die Spaltung der Gesellschaft. Die Gräben werden immer tiefer. Es wird schwer werden, so diese Pandemie zu bewältigen. Druck ruft Gegendruck hervor.“