Deutschland befindet sich mitten in der vierten Welle – und die Politik will nicht nur den De-facto-Lockdown für Ungeimpfte, sondern auch eine Impfpflicht. Doch wie sehr treiben Ungeimpfte wirklich die Pandemie an? Eine neue Studie gibt jetzt interessante Einblicke.
Neue Studie mit überraschenden ZahlenWie sehr treiben auch Geimpfte diese Pandemie voran?
Die Corona-Lage ist dramatisch wie nie und die Politik diskutiert nicht nur über knallharte Maßnahmen vor allen Dingen für Ungeimpfte, sondern auch über eine allgemeine Impfpflicht. Derzeit sind rund 57 Millionen Deutsche vollständig geimpft – das macht rund 69 Prozent aus.
Viele Millionen Menschen haben aber noch keine Spritze bekommen. Wie sehr gerade sie für die aktuelle Lage verantwortlich sind, zeigt nun eine neue Studie von Forschern um den Wissenschaftler Dirk Brockmann von der Humboldt-Universität in Berlin. Gleichzeitig zeigt sie auch auf, welche Risiken von Geimpften ausgehen.
Der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach von einer „Pandemie der Ungeimpften“. Und tatsächlich zeigen die Berechnungen von Brockmann, die er zusammen mit Forschern im Zeitraum vom 11. Oktober bis zum 7. November durchführte, dass etwa Dreiviertel aller Corona-Infektionen von Ungeimpften ausgeht. Die Experten gehen davon aus, dass 67 bis 76 Prozent aller Neuinfektionen von ungeimpften Menschen verursacht werden.
Studie: Dreiviertel der Corona-Infektionen geht von Ungeimpften aus
Die Studie zeigt auch: 24 bis 33 Prozent der Neuinfektionen gingen von den Geimpften aus, 9 bis 16 Prozent fanden zwischen den Geimpften statt. Ungeimpfte Menschen sind damit an acht bis neun von zehn Neuinfektionen beteiligt, heißt es demnach.
Das heißt: Ungeimpfte sind tatsächlich die Treiber der Pandemie. Aber auch Geimpfte tragen zu einem gewissen Teil am derzeitigen Infektionsgeschehen bei. Auch sie können das Virus weitergeben: Laut der Studie beträgt der Anteil der Impfdurchbrüche gemessen an der Gesamtzahl der Infektionen 41 Prozent.
Corona: Impfstoffe sind laut Studie das wirksamste Mittel
„Zusammenfassend deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung, das heißt die Ungeimpften, einen erheblichen Anteil an der Infektionsdynamik trägt und sie damit Haupttreiber der sich derzeit verschärfenden Gesundheitskrise in Deutschland und vermutlich auch in anderen Ländern sind“, so das Ergebnis der Studie. Impfstoffe seien damit „das wirksamste Arzneimittel zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie.“
Durch gezielte Maßnahmen sollte daher, so der Vorschlag, die Übertragbarkeit bei den Ungeimpften verringert werden. Das bewirke eine Abnahme des R-Werts. Dazu müsste nicht nur die Impfquote erhöht werden, sondern auch die Kontakte reduziert – vor allen Dingen zwischen Geimpften und Ungeimpften.
Experten: Nicht nur Impfung, auch Kontaktreduktion nötig
Zusammengenommen unterstreichen die Ergebnisse, so die Wissenschaftler, „die Bedeutung kombinierter Maßnahmen wie Impfkampagnen und Kontaktreduktion, um eine Seuchenkontrolle zu erreichen und eine Überlastung der öffentlichen Gesundheitssysteme zu verhindern.“
Das Robert Koch-Institut kommt in seinem jüngsten Wochenbericht vom 25. November zu einem ähnlichen Ergebnis: Besonders bei den Ungeimpften sind die Inzidenzen deutlich höher als bei Geimpften. Wie sehr sie sich unterscheiden, zeigt das Beispiel Bayern, wo die Zahlen besonders hoch sind: In der vergangenen Woche (24. November) lag die Inzidenz der Geimpften dort bei 112,7 – und damit nur minimal über der Inzidenz in der Vorwoche. Der Wert bei den Ungeimpften hingegen stieg deutlich an auf 1.726,3. In der Vorwoche lag er noch bei 1468,9.
Ungeimpfte landen wesentlich häufiger auf der Intensivstation
Ungeimpfte kommen laut RKI-Zahlen auch um ein vielfaches häufiger mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus wie vollständig Geimpfte. So lag die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz (Krankhauseinweisungen pro 100.000 Menschen und Woche) zuletzt in der Altersgruppe ab 60 Jahren bei Ungeimpften 5,25 Mal höher als bei Geimpften. Bei den 18- bis 59-Jährigen betrug der Faktor 6,75, bei 12- bis 17-Jährigen 6,33.
Der Anteil der Impfdurchbrüche liegt hier bei den 18- bis 59-Jährigen ebenfalls bei rund 49 Prozent. Bei den Älteren, von denen viele bereits im Frühjahr geimpft worden sind, ist er noch höher: rund 71 Prozent. Allerdings ist hier der Anteil der Geimpften auch besonders hoch: rund 88 Prozent der Über-60-Jährigen ist vollständig geimpft. Je höher die Impfquote, desto höher auch der Anteil der Impfdurchbrüche.
Dass Geimpfte zwar erkranken können, sie aber dennoch ein sehr viel niedrigeres Risiko haben, zeigt auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, vor einiger Zeit in einem Tweet – mit Hilfe von zwei Grafiken: Ungeimpfte Menschen ab 60 Jahren haben demnach eine drei- bis viermal so hohe Wahrscheinlichkeit für eine Covid-Infektion mit Symptomen wie Geimpfte in dem Alter. Das Risiko für Ungeimpfte dieses Alters, in eine Klinik zu kommen, ist sogar siebenmal höher. Da sind sich alle einig: Die Corona-Impfung schützt effektiv vor schweren Verläufen oder Tod.
Experten: Es ist keine „Pandemie der Ungeimpften“
Die neue Studie um den Wissenschaftler Dirk Brockmann zeigt aber auch: Zwar treiben die Ungeimpften die Pandemie wesentlich voran, doch auch Geimpfte tragen einen Anteil daran. Ein Grund, warum der Begriff „Pandemie der Ungeimpften“ unlängst für Unmut bei den Experten sorgte: „Es ist in diesem Herbst und Winter trügerisch zu glauben, dass ein Geimpfter sich nicht infizieren kann und das Virus nicht an seine Großmutter weitergeben kann, die vielleicht noch keine Booster-Impfung bekommen hat“, sagt etwa der Bonner Virologe Hendrik Streeck. Und auch der Virologe Christian Drosten sagte: „Wir haben eine Pandemie, zu der alle beitragen – auch die Geimpften, wenn auch etwas weniger.“ (mg)