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„Leben ist vorbei“19-Jährige Ukrainerin berichtet vom Horror auf und nach der Flucht

Geflüchtete Kinder aus der Ukraine liegen in der Notunterkunft auf ihren Feldbetten und vertreiben sich die Zeit.

Die meisten Geflüchteten aus der Ukraine kommen erstmal in einer Notunterkunft unter. Das Foto wurde am 21. März 2022 in einer Notunterkunft in Bad Kreuznach aufgenommen.

Die Geflüchteten aus der Ukraine mussten reinen Horror durchleben. In den Notunterkünften sind die Menschen jetzt zwar sicher, aber mit ihren Gedanken und Gefühlen sind sie allein. Was geht in den Köpfen der Geflüchteten vor?

Bereits tausende Menschen sind vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet und haben Platz in einer der zahlreichen Notunterkünfte in Deutschland gefunden. Das bewahrt die Geflüchteten zwar vor körperlichen Schäden, doch der seelische Schmerz ist für viele beinahe unerträglich.

Die Gedanken der dort aufgenommenen Geflüchteten sind nämlich in ihrer Heimat. „Allein damit klar zu kommen, ist völlig unmöglich“, sagt die 19-jährige Daria, welche in einer Notunterkunft in Bad Kreuznach untergekommen ist. Wie gehen die Geflüchteten mit ihrer aktuellen Situation um?

Flucht aus der Ukraine war für viele Menschen sehr schwer

Stockbetten, voneinander getrennt mit Bauzäunen und Planen, dazwischen Koffer und Reisetaschen. Auf dem Kopfkissen liegen ein paar private Fotos. Viel ist es nicht, was die aus der Ukraine geflüchteten Menschen in einer Turnhalle mitten in Bad Kreuznach noch an ihre Heimat erinnert, die sie in dem am 24. Februar von Russland begonnenen Krieg fluchtartig verlassen haben.

Die 19-jährige Daria aus Kyjiw ist seit einer Woche in der Notunterkunft. Zusammen mit zwei jüngeren Schwestern, ihrer Mutter und einer Tante sei sie über Warschau und Stettin mit dem Zug nach Frankfurt geflohen und schließlich in Bad Kreuznach gestrandet, erzählt sie. Tage ohne Schlaf liegen hinter der jungen Frau, die sich mit ihrem modischen Haarschnitt von den älteren Frauen abhebt, die ihr gegenüber auf einem Feldbett sitzen und tuschelnd auf einem Tablet-Computer durch die Seiten einer ukrainischen Nachrichten-Website scrollen.

19-jährige Ukrainerin berichtet von Kriegsbeginn

„Meine Mutter hat mich angerufen und gesagt: „Es geht los!““, erinnert sich die junge Frau an den Abend, an dem der Krieg in ihr Leben kam. „Der Himmel war in der Ferne orange gefärbt von den Explosionen, über unser Haus flogen die Kampfjets hinweg.“ Diese Momente hätten sich in ihr Gedächtnis eingeprägt. „Dann wachst du auf und dein Leben ist vorbei.“

Die Ukrainerin Daria (l) und ihre Schwester Bohdana sitzen auf ihrem Feldbett.

Die Ukrainerin Daria (l) und ihre Schwester Bohdana sitzen auf ihrem Feldbett. Das Foto wurde am 21. März 2022 in der Notunterkunft in Bad Kreuznach aufgenommen.

Bis die ersten Bomben fielen, hatte Daria davon geträumt, nach einem Studium Figuren für Computerspiele zu entwickeln, ihr Englisch zu verbessern, Zeit mit Freunden zu verbringen und durch die Welt zu reisen. Jetzt vergeht kaum eine Minute, in der sie nicht an ihre Freunde denkt, die noch in der Ukraine sind. Über ihr Handy hält sie auch Kontakt zu ihren Eltern, die in der Heimat bleiben wollen „bis alles vorbei ist“. Zwar seien viele ihrer Bekannten mittlerweile in kleinere Dörfer außerhalb Kyjiws geflohen, doch „es ist auch dort sehr, sehr schlimm“.

Schweigend hat sich ihre elfjährige Schwester Bohdana neben ihr auf das blaue Feldbett gesetzt. In ihrem riesigen Hoodie wirkt die Schülerin neben ihrer großen Schwester fast noch kleiner, als sie eigentlich ist. Daria kitzelt ihre Schwester, greift ihr an die Nase, bringt sie damit zum Lachen. „Gerade die etwas älteren Kinder begreifen ganz genau, was hier vor sich geht“, resümiert Daria und blickt ihrer Schwester nach, die sich mit einem anderen Mädchen in die improvisierte Spielecke der Turnhalle zurückgezogen hat.

Helferinnen und Helfer stellen sich auf längerfristiges Projekt ein

Fast alle der rund 50 Geflüchteten, die sich zum Mittagessen versammelt haben, sind Kinder, Jugendliche und Frauen. Die wenigen Männer haben sich an einen kleinen Tisch am Rand zurückgezogen. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir hier ein längerfristiges Projekt stemmen müssen“, sagt Chris Snehotta vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), der sich die Arbeit vor Ort mit Kammerer teilt. Zum Glück kämen noch immer viele Freiwillige, die die ehrenamtlichen Helfer vor Ort unterstützen wollten.

„Da kommen dann auch Seelsorger aus der russischen Gemeinde und Kinderärzte aus dem Ort vorbei, um nach den Menschen hier zu sehen - das ist wirklich toll“, sagt Snehotta. „Auch wenn sie nach außen hin vieles überspielen können, kann niemand sagen, wie es in ihren Köpfen aussieht.“

Keine psychologische Betreuung in Notunterkünften

Zeit, um den Schrecken des Erlebten auch nur ansatzweise zu verarbeiten, hatte bisher wohl kaum einer der Menschen, die in der Theodor-Fliedner-Halle von Mitarbeitern des DRK und des ASB gemeinsam betreut werden. Eine psychologische Betreuung vor Ort gibt es in der Notunterkunft nicht. „Allein damit klar zu kommen, ist völlig unmöglich“, sagt Daria.

Bis sie vom Sozialamt mit ihrer Familie in einer passenden Wohnung untergebracht werden kann, versucht sie, sich in der Notunterkunft nützlich zu machen. Sie spielt mit den zahlreichen Kindern, hilft beim Übersetzen und versucht, sich inmitten des allgegenwärtigen Provisoriums ein bisschen Privatsphäre zu erhalten. „Ich vermisse meine Heimat, meine Eltern, mein Haus“, sagt sie leise und blickt durch die geöffnete Tür ins Nichts. (dpa)